amerika. Dem wollte es noch immer nicht wieder recht glücken, und aus meines Vaters Munde schnappte ich das Wort auf: "Gieb acht, Adolfine, und erinnere mich seiner Zeit an mein heutiges Wort: demnächst hören wir gar nichts mehr von ihm. Wir und die Stadt haben die Frau und das Mädchen allein auf dem Halse. Von Heimathberechtigung kann ja wohl nicht die Rede sein, aber wohin sollte die Kommune sie abschieben, wenn der Gauner seinen Verpflichtungen gegen seine Familie genügend nachgekommen zu sein glaubt, oder, was mir wahrscheinlicher ist, wenn sie ihn irgendwo da drüben an einem Strick an einem Baume in die Höhe gezogen haben werden. Nach oben strebte er ja auch schon hier zu Lande, aber hier hatte er doch nur mit den ordentlichen Behörden, Gerichten und nicht mit dem Lynchsystem zu thun."
In einem Hause, in welchem solche Reden über ihren Papa geführt wurden, fühlte sich weder die Mutter noch das Kind des exotischen Sünders so wohl und in verhältnißmäßiger Sicherheit, wie es sich für eine treue Nachbarschaft im Vogelsang eigent¬ lich gebührte. Da bot das Häuschen und Stübchen der Nachbarin Andres einen behaglicheren Unterschlupf. Es wurde dorten allen Sündern viel leichter ver¬ geben als -- bei uns. Ich habe eben wahr zu sein, wenn ich durch diese Blätter bei meiner Nach¬
3 *
amerika. Dem wollte es noch immer nicht wieder recht glücken, und aus meines Vaters Munde ſchnappte ich das Wort auf: „Gieb acht, Adolfine, und erinnere mich ſeiner Zeit an mein heutiges Wort: demnächſt hören wir gar nichts mehr von ihm. Wir und die Stadt haben die Frau und das Mädchen allein auf dem Halſe. Von Heimathberechtigung kann ja wohl nicht die Rede ſein, aber wohin ſollte die Kommune ſie abſchieben, wenn der Gauner ſeinen Verpflichtungen gegen ſeine Familie genügend nachgekommen zu ſein glaubt, oder, was mir wahrſcheinlicher iſt, wenn ſie ihn irgendwo da drüben an einem Strick an einem Baume in die Höhe gezogen haben werden. Nach oben ſtrebte er ja auch ſchon hier zu Lande, aber hier hatte er doch nur mit den ordentlichen Behörden, Gerichten und nicht mit dem Lynchſyſtem zu thun.“
In einem Hauſe, in welchem ſolche Reden über ihren Papa geführt wurden, fühlte ſich weder die Mutter noch das Kind des exotiſchen Sünders ſo wohl und in verhältnißmäßiger Sicherheit, wie es ſich für eine treue Nachbarſchaft im Vogelſang eigent¬ lich gebührte. Da bot das Häuschen und Stübchen der Nachbarin Andres einen behaglicheren Unterſchlupf. Es wurde dorten allen Sündern viel leichter ver¬ geben als — bei uns. Ich habe eben wahr zu ſein, wenn ich durch dieſe Blätter bei meiner Nach¬
3 *
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0045"n="35"/>
amerika. Dem wollte es noch immer nicht wieder<lb/>
recht glücken, und aus meines Vaters Munde ſchnappte<lb/>
ich das Wort auf: „Gieb acht, Adolfine, und erinnere<lb/>
mich ſeiner Zeit an mein heutiges Wort: demnächſt<lb/>
hören wir gar nichts mehr von ihm. Wir und die<lb/>
Stadt haben die Frau und das Mädchen allein auf<lb/>
dem Halſe. Von Heimathberechtigung kann ja wohl<lb/>
nicht die Rede ſein, aber wohin ſollte die Kommune<lb/>ſie abſchieben, wenn der Gauner ſeinen Verpflichtungen<lb/>
gegen ſeine Familie genügend nachgekommen zu ſein<lb/>
glaubt, oder, was mir wahrſcheinlicher iſt, wenn ſie<lb/>
ihn irgendwo da drüben an einem Strick an einem<lb/>
Baume in die Höhe gezogen haben werden. Nach<lb/>
oben ſtrebte er ja auch ſchon hier zu Lande, aber<lb/>
hier hatte er doch nur mit den ordentlichen Behörden,<lb/>
Gerichten und nicht mit dem Lynchſyſtem zu thun.“</p><lb/><p>In einem Hauſe, in welchem ſolche Reden über<lb/>
ihren Papa geführt wurden, fühlte ſich weder die<lb/>
Mutter noch das Kind des exotiſchen Sünders ſo<lb/>
wohl und in verhältnißmäßiger Sicherheit, wie es<lb/>ſich für eine treue Nachbarſchaft im Vogelſang eigent¬<lb/>
lich gebührte. Da bot das Häuschen und Stübchen<lb/>
der Nachbarin Andres einen behaglicheren Unterſchlupf.<lb/>
Es wurde dorten <hirendition="#g">allen</hi> Sündern viel leichter ver¬<lb/>
geben als — bei uns. Ich habe eben wahr zu<lb/>ſein, wenn ich durch dieſe Blätter bei meiner Nach¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">3 *<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[35/0045]
amerika. Dem wollte es noch immer nicht wieder
recht glücken, und aus meines Vaters Munde ſchnappte
ich das Wort auf: „Gieb acht, Adolfine, und erinnere
mich ſeiner Zeit an mein heutiges Wort: demnächſt
hören wir gar nichts mehr von ihm. Wir und die
Stadt haben die Frau und das Mädchen allein auf
dem Halſe. Von Heimathberechtigung kann ja wohl
nicht die Rede ſein, aber wohin ſollte die Kommune
ſie abſchieben, wenn der Gauner ſeinen Verpflichtungen
gegen ſeine Familie genügend nachgekommen zu ſein
glaubt, oder, was mir wahrſcheinlicher iſt, wenn ſie
ihn irgendwo da drüben an einem Strick an einem
Baume in die Höhe gezogen haben werden. Nach
oben ſtrebte er ja auch ſchon hier zu Lande, aber
hier hatte er doch nur mit den ordentlichen Behörden,
Gerichten und nicht mit dem Lynchſyſtem zu thun.“
In einem Hauſe, in welchem ſolche Reden über
ihren Papa geführt wurden, fühlte ſich weder die
Mutter noch das Kind des exotiſchen Sünders ſo
wohl und in verhältnißmäßiger Sicherheit, wie es
ſich für eine treue Nachbarſchaft im Vogelſang eigent¬
lich gebührte. Da bot das Häuschen und Stübchen
der Nachbarin Andres einen behaglicheren Unterſchlupf.
Es wurde dorten allen Sündern viel leichter ver¬
geben als — bei uns. Ich habe eben wahr zu
ſein, wenn ich durch dieſe Blätter bei meiner Nach¬
3 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/45>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.