Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

meine Mutter hatte sie auf dem Sofa auf dem
Schooße und tröstete sie Beide. Da habe ich mich ge¬
drückt, denn den ganzen Nachmittag so was auszu¬
halten, konnte Keiner von mir verlangen. Na,
Mitleid will ich ja wohl gerne mit haben, wie meine
Mutter verlangt; aber kriegt sie mich, dieser neuen
fremden Nachbarschaft wegen, auch noch an das
Englische, so werfe ich auf. An dem Latein und
dem Französischen haben wir gerade genug in der
Schule. Puh, Mitleiden! Hat da jemals Einer mit
uns Mitleiden gehabt, Karlchen?"

"Nee," sagte ich.

"Aber wie sollen wir uns denn mit der Kröte
verständlich machen, wenn wir kein Englisch können?
Auf unsern Buckel laden sie sie doch ab; darauf
nehme ich jetzt schon Gift. Übrigens habe ich auch
versprechen müssen, nicht den ganzen Nachmittag vom
Hause wegzubleiben. Drunten in unserer Laube sitzt
die ganze Prostemahlzeit beisammen und hat Mitleid.
Deine Mutter auch, Krumhardt."


Nun bin ich mit meinen Erinnerungen wieder
am Abend jenes Tages, an welchem wir in Hart¬
lebens Gartenhaus den Tod des Themistokles auf¬

W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 3

meine Mutter hatte ſie auf dem Sofa auf dem
Schooße und tröſtete ſie Beide. Da habe ich mich ge¬
drückt, denn den ganzen Nachmittag ſo was auszu¬
halten, konnte Keiner von mir verlangen. Na,
Mitleid will ich ja wohl gerne mit haben, wie meine
Mutter verlangt; aber kriegt ſie mich, dieſer neuen
fremden Nachbarſchaft wegen, auch noch an das
Engliſche, ſo werfe ich auf. An dem Latein und
dem Franzöſiſchen haben wir gerade genug in der
Schule. Puh, Mitleiden! Hat da jemals Einer mit
uns Mitleiden gehabt, Karlchen?“

„Nee,“ ſagte ich.

„Aber wie ſollen wir uns denn mit der Kröte
verſtändlich machen, wenn wir kein Engliſch können?
Auf unſern Buckel laden ſie ſie doch ab; darauf
nehme ich jetzt ſchon Gift. Übrigens habe ich auch
verſprechen müſſen, nicht den ganzen Nachmittag vom
Hauſe wegzubleiben. Drunten in unſerer Laube ſitzt
die ganze Proſtemahlzeit beiſammen und hat Mitleid.
Deine Mutter auch, Krumhardt.“


Nun bin ich mit meinen Erinnerungen wieder
am Abend jenes Tages, an welchem wir in Hart¬
lebens Gartenhaus den Tod des Themiſtokles auf¬

W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0043" n="33"/>
meine Mutter hatte &#x017F;ie auf dem Sofa auf dem<lb/>
Schooße und trö&#x017F;tete &#x017F;ie Beide. Da habe ich mich ge¬<lb/>
drückt, denn den ganzen Nachmittag &#x017F;o was auszu¬<lb/>
halten, konnte Keiner von mir verlangen. Na,<lb/>
Mitleid will ich ja wohl gerne mit haben, wie meine<lb/>
Mutter verlangt; aber kriegt &#x017F;ie mich, die&#x017F;er neuen<lb/>
fremden Nachbar&#x017F;chaft wegen, auch noch an das<lb/>
Engli&#x017F;che, &#x017F;o werfe ich auf. An dem Latein und<lb/>
dem Franzö&#x017F;i&#x017F;chen haben wir gerade genug in der<lb/>
Schule. Puh, Mitleiden! Hat da jemals Einer mit<lb/>
uns Mitleiden gehabt, Karlchen?&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Nee,&#x201C; &#x017F;agte ich.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Aber wie &#x017F;ollen wir uns denn mit der Kröte<lb/>
ver&#x017F;tändlich machen, wenn wir kein Engli&#x017F;ch können?<lb/>
Auf un&#x017F;ern Buckel laden &#x017F;ie &#x017F;ie doch ab; darauf<lb/>
nehme ich jetzt &#x017F;chon Gift. Übrigens habe ich auch<lb/>
ver&#x017F;prechen mü&#x017F;&#x017F;en, nicht den ganzen Nachmittag vom<lb/>
Hau&#x017F;e wegzubleiben. Drunten in un&#x017F;erer Laube &#x017F;itzt<lb/>
die ganze Pro&#x017F;temahlzeit bei&#x017F;ammen und hat Mitleid.<lb/>
Deine Mutter auch, Krumhardt.&#x201C;</p><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <p>Nun bin ich mit meinen Erinnerungen wieder<lb/>
am Abend jenes Tages, an welchem wir in Hart¬<lb/>
lebens Gartenhaus den Tod des Themi&#x017F;tokles auf¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">W. Raabe. Die Akten des Vogel&#x017F;angs. 3<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0043] meine Mutter hatte ſie auf dem Sofa auf dem Schooße und tröſtete ſie Beide. Da habe ich mich ge¬ drückt, denn den ganzen Nachmittag ſo was auszu¬ halten, konnte Keiner von mir verlangen. Na, Mitleid will ich ja wohl gerne mit haben, wie meine Mutter verlangt; aber kriegt ſie mich, dieſer neuen fremden Nachbarſchaft wegen, auch noch an das Engliſche, ſo werfe ich auf. An dem Latein und dem Franzöſiſchen haben wir gerade genug in der Schule. Puh, Mitleiden! Hat da jemals Einer mit uns Mitleiden gehabt, Karlchen?“ „Nee,“ ſagte ich. „Aber wie ſollen wir uns denn mit der Kröte verſtändlich machen, wenn wir kein Engliſch können? Auf unſern Buckel laden ſie ſie doch ab; darauf nehme ich jetzt ſchon Gift. Übrigens habe ich auch verſprechen müſſen, nicht den ganzen Nachmittag vom Hauſe wegzubleiben. Drunten in unſerer Laube ſitzt die ganze Proſtemahlzeit beiſammen und hat Mitleid. Deine Mutter auch, Krumhardt.“ Nun bin ich mit meinen Erinnerungen wieder am Abend jenes Tages, an welchem wir in Hart¬ lebens Gartenhaus den Tod des Themiſtokles auf¬ W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/43
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/43>, abgerufen am 25.11.2024.