Frau, die Wittwe Mungo, wie seiner Zeit Velten in seinem thür- und fensterlosen Hause im Vogelsang.
"Laß mich, bester Freund," sagte sie. "Was sollte die Wittwe Mungo bei Deinen lieben Kindern und Deiner guten Anna? Ich wollte Dich ja auch nicht bei seinem Begräbniß haben, Karl. Frage die alte Frau da draußen, wie glücklich ich hier -- jetzt -- in meinem Besitz, meinem Eigenthum, meinem Reichthum in der Welt gewesen bin. Was hätte die Heilige, die Französin, eure -- seine Leonie ihm noch in sein todtes, taubes Ohr flüstern können? Aber ich, ich habe das gekonnt, nachdem ich ihm die Augen zugedrückt hatte und ihn im Arm hielt, die Nacht durch. Ich habe ihm viel zu erzählen gehabt, wie es mir ergangen ist im Leben, seit dem Abend, an welchem er in meines Vaters Hause das Blatt aus dem Buche riß, und da hat er mir vergeben; denn weißt Du, wie er jetzt gelächelt hat in seinem be¬ friedigten Willen, das hat aus meinem wilden, albernen, kranken Hirn das Lächeln verscheucht, mit dem er mir in New York das Blatt hinhielt: Sei gefühllos! Siehst Du, das -- sein Gesicht, sein gutes Lachen eine Stunde nach seinem Tode, das gehört nun mir für alle Zeit, mein einziges Eigen¬ thum für alle Zeit. So mein Eigenthum, daß auch Niemand mit mir nur darüber reden soll, und des¬
Frau, die Wittwe Mungo, wie ſeiner Zeit Velten in ſeinem thür- und fenſterloſen Hauſe im Vogelſang.
„Laß mich, beſter Freund,“ ſagte ſie. „Was ſollte die Wittwe Mungo bei Deinen lieben Kindern und Deiner guten Anna? Ich wollte Dich ja auch nicht bei ſeinem Begräbniß haben, Karl. Frage die alte Frau da draußen, wie glücklich ich hier — jetzt — in meinem Beſitz, meinem Eigenthum, meinem Reichthum in der Welt geweſen bin. Was hätte die Heilige, die Franzöſin, eure — ſeine Leonie ihm noch in ſein todtes, taubes Ohr flüſtern können? Aber ich, ich habe das gekonnt, nachdem ich ihm die Augen zugedrückt hatte und ihn im Arm hielt, die Nacht durch. Ich habe ihm viel zu erzählen gehabt, wie es mir ergangen iſt im Leben, ſeit dem Abend, an welchem er in meines Vaters Hauſe das Blatt aus dem Buche riß, und da hat er mir vergeben; denn weißt Du, wie er jetzt gelächelt hat in ſeinem be¬ friedigten Willen, das hat aus meinem wilden, albernen, kranken Hirn das Lächeln verſcheucht, mit dem er mir in New York das Blatt hinhielt: Sei gefühllos! Siehſt Du, das — ſein Geſicht, ſein gutes Lachen eine Stunde nach ſeinem Tode, das gehört nun mir für alle Zeit, mein einziges Eigen¬ thum für alle Zeit. So mein Eigenthum, daß auch Niemand mit mir nur darüber reden ſoll, und des¬
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0325"n="315"/>
Frau, die Wittwe Mungo, wie ſeiner Zeit Velten in<lb/>ſeinem thür- und fenſterloſen Hauſe im Vogelſang.</p><lb/><p>„Laß mich, beſter Freund,“ſagte ſie. „Was<lb/>ſollte die Wittwe Mungo bei Deinen lieben Kindern<lb/>
und Deiner guten Anna? Ich wollte Dich ja auch<lb/>
nicht bei ſeinem Begräbniß haben, Karl. Frage die<lb/>
alte Frau da draußen, wie glücklich ich hier — jetzt<lb/>— in meinem Beſitz, meinem Eigenthum, meinem<lb/>
Reichthum in der Welt geweſen bin. Was hätte die<lb/>
Heilige, die Franzöſin, eure —ſeine Leonie ihm<lb/>
noch in ſein todtes, taubes Ohr flüſtern können? Aber<lb/>
ich, ich habe das gekonnt, nachdem ich ihm die Augen<lb/>
zugedrückt hatte und ihn im Arm hielt, die Nacht<lb/>
durch. Ich habe ihm viel zu erzählen gehabt, wie<lb/>
es mir ergangen iſt im Leben, ſeit dem Abend, an<lb/>
welchem er in meines Vaters Hauſe das Blatt aus<lb/>
dem Buche riß, und da hat er mir vergeben; denn<lb/>
weißt Du, wie er jetzt gelächelt hat in ſeinem be¬<lb/>
friedigten Willen, das hat aus meinem wilden,<lb/>
albernen, kranken Hirn das Lächeln verſcheucht, mit<lb/>
dem er mir in New York das Blatt hinhielt: Sei<lb/>
gefühllos! Siehſt Du, das —ſein Geſicht, ſein<lb/>
gutes Lachen eine Stunde nach ſeinem Tode, das<lb/>
gehört nun mir für alle Zeit, mein einziges Eigen¬<lb/>
thum für alle Zeit. So mein Eigenthum, daß auch<lb/>
Niemand mit mir nur darüber reden ſoll, und des¬<lb/></p></body></text></TEI>
[315/0325]
Frau, die Wittwe Mungo, wie ſeiner Zeit Velten in
ſeinem thür- und fenſterloſen Hauſe im Vogelſang.
„Laß mich, beſter Freund,“ ſagte ſie. „Was
ſollte die Wittwe Mungo bei Deinen lieben Kindern
und Deiner guten Anna? Ich wollte Dich ja auch
nicht bei ſeinem Begräbniß haben, Karl. Frage die
alte Frau da draußen, wie glücklich ich hier — jetzt
— in meinem Beſitz, meinem Eigenthum, meinem
Reichthum in der Welt geweſen bin. Was hätte die
Heilige, die Franzöſin, eure — ſeine Leonie ihm
noch in ſein todtes, taubes Ohr flüſtern können? Aber
ich, ich habe das gekonnt, nachdem ich ihm die Augen
zugedrückt hatte und ihn im Arm hielt, die Nacht
durch. Ich habe ihm viel zu erzählen gehabt, wie
es mir ergangen iſt im Leben, ſeit dem Abend, an
welchem er in meines Vaters Hauſe das Blatt aus
dem Buche riß, und da hat er mir vergeben; denn
weißt Du, wie er jetzt gelächelt hat in ſeinem be¬
friedigten Willen, das hat aus meinem wilden,
albernen, kranken Hirn das Lächeln verſcheucht, mit
dem er mir in New York das Blatt hinhielt: Sei
gefühllos! Siehſt Du, das — ſein Geſicht, ſein
gutes Lachen eine Stunde nach ſeinem Tode, das
gehört nun mir für alle Zeit, mein einziges Eigen¬
thum für alle Zeit. So mein Eigenthum, daß auch
Niemand mit mir nur darüber reden ſoll, und des¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/325>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.