Sehen Sie, Herr Oberregierungsrath, an meinem armen Velten habe ich erst als Neunzigjährige gelernt, daß es eine Dummheit ist, wenn man sagt: der Mensch braucht nur zu wollen. Dieser wilde Mensch konnte nicht mehr wollen, und so hätte ihn auch Schwester Leonie mit dem besten Willen nicht wieder auf die Füße stellen und in den Tumult draußen in unserer Dorotheenstraße stoßen können, selbst wenn sie gewollt hätte! Aber wenn Eine auch schon aus dem Menschenlärm heraus ist, so ist das meine Leonie, meine Leonie des Beaux! Sie ist zuerst mit ihrem Bruder gekommen; aber dann auch allein. -- Oh, wenn ich an die alte Zeit in dem alten Vorder¬ hause denke, wie schön sie war, ich meine meine Leonie, und wie schön sie spielte und ihre alten französischen Lieder sang und Alles mitten in diesem Berlin wie ein fremdländisches Märchen war -- oh! . . . Aber nun war dies jetzt noch tausendmal mehr wie aus einer andern Welt heraus, als wie das Frühere. Stellen Sie sie sich nur vor, die Beiden, gerade die Beiden, die so wieder aus ihren jungen Tagen und Phantasien sich so wieder bei der Fechtmeisterin Feucht zusammenfinden mußten und nichts mehr um sich und in sich von der Erde Herrlichkeit und was sonst der Mensch zu seinem Wohlbehagen und seiner Freude als sein Eigenthum um sich festhält und für es
Sehen Sie, Herr Oberregierungsrath, an meinem armen Velten habe ich erſt als Neunzigjährige gelernt, daß es eine Dummheit iſt, wenn man ſagt: der Menſch braucht nur zu wollen. Dieſer wilde Menſch konnte nicht mehr wollen, und ſo hätte ihn auch Schweſter Leonie mit dem beſten Willen nicht wieder auf die Füße ſtellen und in den Tumult draußen in unſerer Dorotheenſtraße ſtoßen können, ſelbſt wenn ſie gewollt hätte! Aber wenn Eine auch ſchon aus dem Menſchenlärm heraus iſt, ſo iſt das meine Leonie, meine Leonie des Beaux! Sie iſt zuerſt mit ihrem Bruder gekommen; aber dann auch allein. — Oh, wenn ich an die alte Zeit in dem alten Vorder¬ hauſe denke, wie ſchön ſie war, ich meine meine Leonie, und wie ſchön ſie ſpielte und ihre alten franzöſiſchen Lieder ſang und Alles mitten in dieſem Berlin wie ein fremdländiſches Märchen war — oh! . . . Aber nun war dies jetzt noch tauſendmal mehr wie aus einer andern Welt heraus, als wie das Frühere. Stellen Sie ſie ſich nur vor, die Beiden, gerade die Beiden, die ſo wieder aus ihren jungen Tagen und Phantaſien ſich ſo wieder bei der Fechtmeiſterin Feucht zuſammenfinden mußten und nichts mehr um ſich und in ſich von der Erde Herrlichkeit und was ſonſt der Menſch zu ſeinem Wohlbehagen und ſeiner Freude als ſein Eigenthum um ſich feſthält und für es
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Sehen Sie, Herr Oberregierungsrath, an meinem
armen Velten habe ich erſt als Neunzigjährige gelernt,
daß es eine Dummheit iſt, wenn man ſagt: der
Menſch braucht nur zu wollen. Dieſer wilde Menſch
konnte nicht mehr wollen, und ſo hätte ihn auch
Schweſter Leonie mit dem beſten Willen nicht wieder
auf die Füße ſtellen und in den Tumult draußen in
unſerer Dorotheenſtraße ſtoßen können, ſelbſt wenn
ſie gewollt hätte! Aber wenn Eine auch ſchon aus
dem Menſchenlärm heraus iſt, ſo iſt das meine
Leonie, meine Leonie des Beaux! Sie iſt zuerſt mit
ihrem Bruder gekommen; aber dann auch allein. —
Oh, wenn ich an die alte Zeit in dem alten Vorder¬
hauſe denke, wie ſchön ſie war, ich meine meine Leonie,
und wie ſchön ſie ſpielte und ihre alten franzöſiſchen
Lieder ſang und Alles mitten in dieſem Berlin wie
ein fremdländiſches Märchen war — oh! . . . Aber
nun war dies jetzt noch tauſendmal mehr wie aus
einer andern Welt heraus, als wie das Frühere.
Stellen Sie ſie ſich nur vor, die Beiden, gerade die
Beiden, die ſo wieder aus ihren jungen Tagen und
Phantaſien ſich ſo wieder bei der Fechtmeiſterin Feucht
zuſammenfinden mußten und nichts mehr um ſich
und in ſich von der Erde Herrlichkeit und was ſonſt
der Menſch zu ſeinem Wohlbehagen und ſeiner Freude
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/310>, abgerufen am 24.11.2024.
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