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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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bin auch nur in der Stadt, weil er mich um eine
Säge hineingeschickt hat."

"Du weißt, wie ich ihm entgegengekommen bin,
Karl!" rief meine Frau. "Ich habe ganz gewiß
mein Möglichstes gethan, um ihn Deinetwegen gern
zu haben; aber hat mich nun mein innerliches Ge¬
fühl getäuscht? Jetzt magst Du sagen, was Du willst,
ich sage: großer Gott, wie kann nur ein Mensch so
sein wie dieser, Dein Freund? Und Dem hast Du
Dein Kind, meinen armen Jungen am Altar in die
Arme geben wollen! O Gott, wie kann ein Mensch,
ich meine, Gott sei Dank, nicht Dich, so ohne alles
Gefühl sein?"

"Es ist ein unbezahlbarer Mensch," meinte
Schlappe, der dazu kam, lachend. "Ob er je zu
irgend einer Zeit seines Lebens recht bei Troste ge¬
wesen ist, weiß ich nicht; aber sage mal, Schwager,
würde es unter diesen neuen Schnurren nicht doch
zu Deiner Freundespflicht werden, ihn unter Kuratel
stellen zu lassen? Eure Familie hat ja wohl schon
seit Generationen das Onus, das Haus Andres zu
bevormündeln?"

Ich war den Tag über wirklich nicht in meiner
Schreibstube zu entbehren und hatte mich durch viel¬
fachen und vielfarbigen Menschenverdruß, und viel
Menschenangst und Elend durchzuarbeiten, aber ich

bin auch nur in der Stadt, weil er mich um eine
Säge hineingeſchickt hat.“

„Du weißt, wie ich ihm entgegengekommen bin,
Karl!“ rief meine Frau. „Ich habe ganz gewiß
mein Möglichſtes gethan, um ihn Deinetwegen gern
zu haben; aber hat mich nun mein innerliches Ge¬
fühl getäuſcht? Jetzt magſt Du ſagen, was Du willſt,
ich ſage: großer Gott, wie kann nur ein Menſch ſo
ſein wie dieſer, Dein Freund? Und Dem haſt Du
Dein Kind, meinen armen Jungen am Altar in die
Arme geben wollen! O Gott, wie kann ein Menſch,
ich meine, Gott ſei Dank, nicht Dich, ſo ohne alles
Gefühl ſein?“

„Es iſt ein unbezahlbarer Menſch,“ meinte
Schlappe, der dazu kam, lachend. „Ob er je zu
irgend einer Zeit ſeines Lebens recht bei Troſte ge¬
weſen iſt, weiß ich nicht; aber ſage mal, Schwager,
würde es unter dieſen neuen Schnurren nicht doch
zu Deiner Freundespflicht werden, ihn unter Kuratel
ſtellen zu laſſen? Eure Familie hat ja wohl ſchon
ſeit Generationen das Onus, das Haus Andres zu
bevormündeln?“

Ich war den Tag über wirklich nicht in meiner
Schreibſtube zu entbehren und hatte mich durch viel¬
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[256/0266] bin auch nur in der Stadt, weil er mich um eine Säge hineingeſchickt hat.“ „Du weißt, wie ich ihm entgegengekommen bin, Karl!“ rief meine Frau. „Ich habe ganz gewiß mein Möglichſtes gethan, um ihn Deinetwegen gern zu haben; aber hat mich nun mein innerliches Ge¬ fühl getäuſcht? Jetzt magſt Du ſagen, was Du willſt, ich ſage: großer Gott, wie kann nur ein Menſch ſo ſein wie dieſer, Dein Freund? Und Dem haſt Du Dein Kind, meinen armen Jungen am Altar in die Arme geben wollen! O Gott, wie kann ein Menſch, ich meine, Gott ſei Dank, nicht Dich, ſo ohne alles Gefühl ſein?“ „Es iſt ein unbezahlbarer Menſch,“ meinte Schlappe, der dazu kam, lachend. „Ob er je zu irgend einer Zeit ſeines Lebens recht bei Troſte ge¬ weſen iſt, weiß ich nicht; aber ſage mal, Schwager, würde es unter dieſen neuen Schnurren nicht doch zu Deiner Freundespflicht werden, ihn unter Kuratel ſtellen zu laſſen? Eure Familie hat ja wohl ſchon ſeit Generationen das Onus, das Haus Andres zu bevormündeln?“ Ich war den Tag über wirklich nicht in meiner Schreibſtube zu entbehren und hatte mich durch viel¬ fachen und vielfarbigen Menſchenverdruß, und viel Menſchenangſt und Elend durchzuarbeiten, aber ich

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/266>, abgerufen am 23.11.2024.