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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Mädchen, der jungen Dame nichts geworden ist. Bei
Seligmacher und Söhne haben sie heute morgen von
der Familie drüben, ich meine die Trotzendorffs, die
Verlobungsanzeige der Tochter zugeschickt gekriegt.
Du mußt doch mal zu der Nachbarin hinübersehen,
ob die schon was Genaueres weiß und wie sich der
Junge jetzt zu der Sache verhalten wird. Doch
dieses nur beiläufig. Ich war auch bei Arnemann;
-- er ist nicht mehr abgeneigt, auf meine Bedingungen
einzugehen. Man trennt sich ja zwar nicht gern von
der hiesigen Gemüthlichkeit, aber es hat sich doch all¬
mählich zu viel hier im Vogelsang um uns her
verändert. Die Fabrik auf Hartlebens Grundstück
versperrt mir den letzten Blick auf den Osterberg,
und dann halte ich es auch für unsern Assessor besser,
daß ihn unter jetzigen veränderten Lebensverhältnissen
die Residenz nicht hier unter den kleinen Leuten auf¬
suchen muß. Ich meine, Mutter, wir machen in
nächster Woche den Kontrakt über den Verkauf von
Haus und Garten perfekt."

"Wenn Du meinst, Krumhardt," sagte meine
Mutter mit zitternder Stimme.

"Ich meine, daß mir diese freilich ernste Sache
schon so reiflich überlegt haben, daß wohl wenig
mehr dazu zu sagen ist. Was giebt es denn eigent¬
lich noch, was uns hier festhalten könnte? Schon

W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 12

Mädchen, der jungen Dame nichts geworden iſt. Bei
Seligmacher und Söhne haben ſie heute morgen von
der Familie drüben, ich meine die Trotzendorffs, die
Verlobungsanzeige der Tochter zugeſchickt gekriegt.
Du mußt doch mal zu der Nachbarin hinüberſehen,
ob die ſchon was Genaueres weiß und wie ſich der
Junge jetzt zu der Sache verhalten wird. Doch
dieſes nur beiläufig. Ich war auch bei Arnemann;
— er iſt nicht mehr abgeneigt, auf meine Bedingungen
einzugehen. Man trennt ſich ja zwar nicht gern von
der hieſigen Gemüthlichkeit, aber es hat ſich doch all¬
mählich zu viel hier im Vogelſang um uns her
verändert. Die Fabrik auf Hartlebens Grundſtück
verſperrt mir den letzten Blick auf den Oſterberg,
und dann halte ich es auch für unſern Aſſeſſor beſſer,
daß ihn unter jetzigen veränderten Lebensverhältniſſen
die Reſidenz nicht hier unter den kleinen Leuten auf¬
ſuchen muß. Ich meine, Mutter, wir machen in
nächſter Woche den Kontrakt über den Verkauf von
Haus und Garten perfekt.“

„Wenn Du meinſt, Krumhardt,“ ſagte meine
Mutter mit zitternder Stimme.

„Ich meine, daß mir dieſe freilich ernſte Sache
ſchon ſo reiflich überlegt haben, daß wohl wenig
mehr dazu zu ſagen iſt. Was giebt es denn eigent¬
lich noch, was uns hier feſthalten könnte? Schon

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[177/0187] Mädchen, der jungen Dame nichts geworden iſt. Bei Seligmacher und Söhne haben ſie heute morgen von der Familie drüben, ich meine die Trotzendorffs, die Verlobungsanzeige der Tochter zugeſchickt gekriegt. Du mußt doch mal zu der Nachbarin hinüberſehen, ob die ſchon was Genaueres weiß und wie ſich der Junge jetzt zu der Sache verhalten wird. Doch dieſes nur beiläufig. Ich war auch bei Arnemann; — er iſt nicht mehr abgeneigt, auf meine Bedingungen einzugehen. Man trennt ſich ja zwar nicht gern von der hieſigen Gemüthlichkeit, aber es hat ſich doch all¬ mählich zu viel hier im Vogelſang um uns her verändert. Die Fabrik auf Hartlebens Grundſtück verſperrt mir den letzten Blick auf den Oſterberg, und dann halte ich es auch für unſern Aſſeſſor beſſer, daß ihn unter jetzigen veränderten Lebensverhältniſſen die Reſidenz nicht hier unter den kleinen Leuten auf¬ ſuchen muß. Ich meine, Mutter, wir machen in nächſter Woche den Kontrakt über den Verkauf von Haus und Garten perfekt.“ „Wenn Du meinſt, Krumhardt,“ ſagte meine Mutter mit zitternder Stimme. „Ich meine, daß mir dieſe freilich ernſte Sache ſchon ſo reiflich überlegt haben, daß wohl wenig mehr dazu zu ſagen iſt. Was giebt es denn eigent¬ lich noch, was uns hier feſthalten könnte? Schon W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 12

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/187>, abgerufen am 25.11.2024.