das Zwinkern, das Schielen und Blinzeln der Welt rundum nur zu genau achtet und sich sein Theil Ärger, Kummer, Sorgen, Verdruß und Verzweiflung daraus holt!
Seltsamerweise hatte Leonie des Beaux das größte Vertrauen zu mir, und durch mich wußte sie allgemach ebenso gut als ich, wie es im Vogelsang aussah, oder vielmehr (schon damals) ausgesehen hatte. Sie kannte nicht bloß die Familie Krumhardt, Vater, Mutter und Sohn, sondern sie kannte auch den alten Hartleben und Mistreß Trotzendorff -- letztere in ihrer Verdunkelung wie im blendendsten Glanze. Sie hatte an jeder grünen Hecke mitgelehnt, in jeder Gartenlaube mitgesessen; sie kannte den Osterberg und die zierlichen Promenadenwege und Bänke am Rande des Waldes, und die Aussicht auf die kleine zierliche Residenz drunten im Thal. Wovon sie aber am genauesten Bescheid wußte, das war -- seine Mutter, die Frau Doktorin Andres und ihr Häuschen -- neben uns an, hinter dem nächsten nachbarschaftlichen lebendigen Liguster-, Stachel- und Johannisbeerzaun zwischen Mein und Dein im Hypothekenbuch. Ja, wie ich das jetzt schreibe, erfahre ich es erst, wie gut sie bei seiner Mutter Bescheid wußte -- damals -- und wie sie vom Keller bis zum Dache sich in dem kleinen Hause
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das Zwinkern, das Schielen und Blinzeln der Welt rundum nur zu genau achtet und ſich ſein Theil Ärger, Kummer, Sorgen, Verdruß und Verzweiflung daraus holt!
Seltſamerweiſe hatte Leonie des Beaux das größte Vertrauen zu mir, und durch mich wußte ſie allgemach ebenſo gut als ich, wie es im Vogelſang ausſah, oder vielmehr (ſchon damals) ausgeſehen hatte. Sie kannte nicht bloß die Familie Krumhardt, Vater, Mutter und Sohn, ſondern ſie kannte auch den alten Hartleben und Miſtreß Trotzendorff — letztere in ihrer Verdunkelung wie im blendendſten Glanze. Sie hatte an jeder grünen Hecke mitgelehnt, in jeder Gartenlaube mitgeſeſſen; ſie kannte den Oſterberg und die zierlichen Promenadenwege und Bänke am Rande des Waldes, und die Ausſicht auf die kleine zierliche Reſidenz drunten im Thal. Wovon ſie aber am genaueſten Beſcheid wußte, das war — ſeine Mutter, die Frau Doktorin Andres und ihr Häuschen — neben uns an, hinter dem nächſten nachbarſchaftlichen lebendigen Liguſter-, Stachel- und Johannisbeerzaun zwiſchen Mein und Dein im Hypothekenbuch. Ja, wie ich das jetzt ſchreibe, erfahre ich es erſt, wie gut ſie bei ſeiner Mutter Beſcheid wußte — damals — und wie ſie vom Keller bis zum Dache ſich in dem kleinen Hauſe
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das Zwinkern, das Schielen und Blinzeln der Welt
rundum nur zu genau achtet und ſich ſein Theil
Ärger, Kummer, Sorgen, Verdruß und Verzweiflung
daraus holt!
Seltſamerweiſe hatte Leonie des Beaux das
größte Vertrauen zu mir, und durch mich wußte ſie
allgemach ebenſo gut als ich, wie es im Vogelſang
ausſah, oder vielmehr (ſchon damals) ausgeſehen
hatte. Sie kannte nicht bloß die Familie Krumhardt,
Vater, Mutter und Sohn, ſondern ſie kannte auch
den alten Hartleben und Miſtreß Trotzendorff —
letztere in ihrer Verdunkelung wie im blendendſten
Glanze. Sie hatte an jeder grünen Hecke mitgelehnt,
in jeder Gartenlaube mitgeſeſſen; ſie kannte den
Oſterberg und die zierlichen Promenadenwege und
Bänke am Rande des Waldes, und die Ausſicht auf
die kleine zierliche Reſidenz drunten im Thal. Wovon
ſie aber am genaueſten Beſcheid wußte, das war —
ſeine Mutter, die Frau Doktorin Andres und ihr
Häuschen — neben uns an, hinter dem nächſten
nachbarſchaftlichen lebendigen Liguſter-, Stachel- und
Johannisbeerzaun zwiſchen Mein und Dein im
Hypothekenbuch. Ja, wie ich das jetzt ſchreibe,
erfahre ich es erſt, wie gut ſie bei ſeiner Mutter
Beſcheid wußte — damals — und wie ſie vom
Keller bis zum Dache ſich in dem kleinen Hauſe
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/141>, abgerufen am 04.12.2024.
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