Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Zeit griff er nicht sich, sondern mir in die Haare
und schüttelte mir den Kopf mit einem:

"Lache nicht, Mensch! Oder ja, lache nur, denn
das thue ich ja selber über mich, wenn ich mich aus
der Haut eines von euch Pachydermen bei sogenannter
ruhiger Überlegung beurgrunze. Weißt Du, und das
Frauenzimmer kann wirklich nichts dafür! Es hat
das Seinige in wahrhaft großartiger Weise gethan,
sich mir zu verekeln. Wenn es sich da drüben in
Amerika so weiter spielt, wie hier bei uns im Vogel¬
sang, so kann es sich, sich, sich zu was bringen in
der Welt -- sagt auch meine Mutter, und bei deren
lieben, alten Falten um den Mund weiß man denn
auch nie, ob sie sich ins Rosige hinaufziehen oder
ins graueste Elend herunter. Na kurz und gut, das
Mädchen und seine Mutter ist weg, und der Vogel¬
sang hat: Gott sei Dank! gesagt. Ich auch. Denn
dies hielt kein Mensch mehr aus -- selbst meine
Mutter nicht. Ein paar Löffel von dem letzten
Rest unserer Kindersuppe hast Du ja auch noch ab¬
gekriegt; aber den Napf gründlich auszuscharren, das
hatten die Götter allein mir vorbehalten und mich
auch wahrscheinlich schon darum noch ein Jahr länger
als Dich auf der Schulbank sitzen lassen. Freilich,
den Mister Trotzendorff im Vogelsang einrücken sehen,

zu Zeit griff er nicht ſich, ſondern mir in die Haare
und ſchüttelte mir den Kopf mit einem:

„Lache nicht, Menſch! Oder ja, lache nur, denn
das thue ich ja ſelber über mich, wenn ich mich aus
der Haut eines von euch Pachydermen bei ſogenannter
ruhiger Überlegung beurgrunze. Weißt Du, und das
Frauenzimmer kann wirklich nichts dafür! Es hat
das Seinige in wahrhaft großartiger Weiſe gethan,
ſich mir zu verekeln. Wenn es ſich da drüben in
Amerika ſo weiter ſpielt, wie hier bei uns im Vogel¬
ſang, ſo kann es ſich, ſich, ſich zu was bringen in
der Welt — ſagt auch meine Mutter, und bei deren
lieben, alten Falten um den Mund weiß man denn
auch nie, ob ſie ſich ins Roſige hinaufziehen oder
ins graueſte Elend herunter. Na kurz und gut, das
Mädchen und ſeine Mutter iſt weg, und der Vogel¬
ſang hat: Gott ſei Dank! geſagt. Ich auch. Denn
dies hielt kein Menſch mehr aus — ſelbſt meine
Mutter nicht. Ein paar Löffel von dem letzten
Reſt unſerer Kinderſuppe haſt Du ja auch noch ab¬
gekriegt; aber den Napf gründlich auszuſcharren, das
hatten die Götter allein mir vorbehalten und mich
auch wahrſcheinlich ſchon darum noch ein Jahr länger
als Dich auf der Schulbank ſitzen laſſen. Freilich,
den Miſter Trotzendorff im Vogelſang einrücken ſehen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0112" n="102"/>
zu Zeit griff er nicht &#x017F;ich, &#x017F;ondern mir in die Haare<lb/>
und &#x017F;chüttelte mir den Kopf mit einem:</p><lb/>
      <p xml:id="p-0112" next="p-0113">&#x201E;Lache nicht, Men&#x017F;ch! Oder ja, lache nur, denn<lb/>
das thue ich ja &#x017F;elber über mich, wenn ich mich aus<lb/>
der Haut eines von euch Pachydermen bei &#x017F;ogenannter<lb/>
ruhiger Überlegung beurgrunze. Weißt Du, und das<lb/>
Frauenzimmer kann wirklich nichts dafür! Es hat<lb/>
das Seinige in wahrhaft großartiger Wei&#x017F;e gethan,<lb/>
&#x017F;ich mir zu verekeln. Wenn es &#x017F;ich da drüben in<lb/>
Amerika &#x017F;o weiter &#x017F;pielt, wie hier bei uns im Vogel¬<lb/>
&#x017F;ang, &#x017F;o kann es &#x017F;ich, &#x017F;ich, &#x017F;ich zu was bringen in<lb/>
der Welt &#x2014; &#x017F;agt auch meine Mutter, und bei deren<lb/>
lieben, alten Falten um den Mund weiß man denn<lb/>
auch nie, ob &#x017F;ie &#x017F;ich ins Ro&#x017F;ige hinaufziehen oder<lb/>
ins graue&#x017F;te Elend herunter. Na kurz und gut, das<lb/>
Mädchen und &#x017F;eine Mutter i&#x017F;t weg, und der Vogel¬<lb/>
&#x017F;ang hat: Gott &#x017F;ei Dank! ge&#x017F;agt. Ich auch. Denn<lb/>
dies hielt kein Men&#x017F;ch mehr aus &#x2014; &#x017F;elb&#x017F;t meine<lb/>
Mutter nicht. Ein paar Löffel von dem letzten<lb/>
Re&#x017F;t un&#x017F;erer Kinder&#x017F;uppe ha&#x017F;t Du ja auch noch ab¬<lb/>
gekriegt; aber den Napf gründlich auszu&#x017F;charren, das<lb/>
hatten die Götter allein mir vorbehalten und mich<lb/>
auch wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;chon darum noch ein Jahr länger<lb/>
als Dich auf der Schulbank &#x017F;itzen la&#x017F;&#x017F;en. Freilich,<lb/>
den Mi&#x017F;ter Trotzendorff im Vogel&#x017F;ang einrücken &#x017F;ehen,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0112] zu Zeit griff er nicht ſich, ſondern mir in die Haare und ſchüttelte mir den Kopf mit einem: „Lache nicht, Menſch! Oder ja, lache nur, denn das thue ich ja ſelber über mich, wenn ich mich aus der Haut eines von euch Pachydermen bei ſogenannter ruhiger Überlegung beurgrunze. Weißt Du, und das Frauenzimmer kann wirklich nichts dafür! Es hat das Seinige in wahrhaft großartiger Weiſe gethan, ſich mir zu verekeln. Wenn es ſich da drüben in Amerika ſo weiter ſpielt, wie hier bei uns im Vogel¬ ſang, ſo kann es ſich, ſich, ſich zu was bringen in der Welt — ſagt auch meine Mutter, und bei deren lieben, alten Falten um den Mund weiß man denn auch nie, ob ſie ſich ins Roſige hinaufziehen oder ins graueſte Elend herunter. Na kurz und gut, das Mädchen und ſeine Mutter iſt weg, und der Vogel¬ ſang hat: Gott ſei Dank! geſagt. Ich auch. Denn dies hielt kein Menſch mehr aus — ſelbſt meine Mutter nicht. Ein paar Löffel von dem letzten Reſt unſerer Kinderſuppe haſt Du ja auch noch ab¬ gekriegt; aber den Napf gründlich auszuſcharren, das hatten die Götter allein mir vorbehalten und mich auch wahrſcheinlich ſchon darum noch ein Jahr länger als Dich auf der Schulbank ſitzen laſſen. Freilich, den Miſter Trotzendorff im Vogelſang einrücken ſehen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/112
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/112>, abgerufen am 26.11.2024.