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Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855.

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VI. Cl. Inflammabilien: Bernstein.
Terpentinöl löst, was der ungeschmolzene Bernstein nicht thut. Aether
zieht aus dem gepulverten Bernstein einen hellgelben, stark riechenden,
klebrigen Balsam, den Berzelius (Pogg. Ann. 12. 429) für das hält, was
der Bernstein ursprünglich war, aber vielleicht jetzt ärmer an flüchtigem
Oel wie ehemals. Die unlöslichen Bestandtheile des Bernsteins mögen
sich durch die Länge der Zeit aus diesem Balsam gebildet, aber allmählig
einen Theil desselben so umschlossen haben, daß dessen weitere Verände-
rung dadurch gehindert worden ist.

Vorkommen. Bisher sah man den Bernstein als ein Produkt
der tertiären Braunkohle, sogar der ältesten Braunkohlenformation an.
So werden Italien, Spanien, Frankreich, England etc. als Fundorte an-
gegeben. Man darf bei diesen Angaben dann aber nicht vergessen, daß
unter dem Namen alle bernsteinartigen Harze verstanden werden, welche
scharf von einander zu scheiden bis jetzt noch nicht gelungen ist. So
kommt bei Lemberg in der obern Kreideformation mit der riesigen Gry-
phaea vesicularis
ein ausgezeichneter Bernstein in faustgroßen Stücken
vor: er ist noch edler und glänzender als der Preußische, und duftet beim
Anzünden auf das feinste. In der Pechkohle des Plänerkalkes von Skutsch
bei Riechenburg im Chrudimer Kreise von Böhmen führt Reuß einen
schwefelhaltigen an. Derselbe fand im Gallicischen die Foraminiferen
des Wiener Tertiärgebirges. Daubree führt Bernstein aus dem Braun-
kohlengebirge von Lobsann im Elsaß auf (Retinit?). Dieß ist nun jeden-
falls nicht Produkt des Bernsteinbaums der Ostseeländer. Wenn es sich
daher um die Erklärung des Bernsteins handelt, so nennt man dabei
immer das Hauptvaterland: die große norddeutsche Ebene, die Marken,
besonders die Ostseeländer von Danzig bis Memel. Auch der 2 Meilen
lange Angernsee bei Riga lieferte beim Abgraben zum Austrocknen viel
Bernstein. Zu Gr. Schönebeck bei Zehdenick und bei Brandenburg fand
man 1833 ein großes Lager, und grub Stücke bis 4 Lb schwer aus.
Von diesem Bernstein glaubt nun Göppert, daß er der Diluvialzeit, der
Zeit der Mammuthe in der Alten und der Zeit der Mastodonten in der
Neuen Welt angehöre: von Holland über die germanisch-sarmatische Ebene
hin durch Sibiren, Kamtschatka bis nach Nordamerika erstreckte sich der
Coniferenwald. Ihr Harzreichtum konnte sich jedenfalls mit der Neusee-
ländischen Dammara australis messen, obgleich deren Zweige und Aeste
von weißen Harztropfen so starren, daß sie wie mit Eiszapfen bedeckt
erscheinen (Göppert Berl. Akad. 28. Juli 1853). Man hat im Magen
des nordamerikanischen Mastodon Reste von Thuja occidentalis gefunden,
die der im Bernstein vollkommen gleichen soll. Dann wäre die Bildungs-
zeit des Bernsteins ganz an die äußerste Gränze der Schöpfungsgeschichte
heraufgerückt. Den berühmtesten Punkt bildet die Samländische Küste
von Pillau nördlich bis zum Dorfe Groß-Hubnicken, eine Länge von
3 Meilen. Die Küste westlich Königsberg und zwischen dem Kurischen
und Frischen Haff geht von Nord nach Süd. In der rauhen Jahreszeit,
besonders gegen den Winter, peitschen und unterwühlen die Winde die
Küste: die Bernsteinfischer waten hinein, und fangen mit Netzen das
Bernsteinkraut, mit welchem eine Welle öfter mehrere Pfund Bernstein
auf einmal ins Netz wirft. Die Küste ist jährlich für 10,000 Rthlr. von
der Regierung verpachtet, und von Strandreitern bewacht. Was an

VI. Cl. Inflammabilien: Bernſtein.
Terpentinöl löst, was der ungeſchmolzene Bernſtein nicht thut. Aether
zieht aus dem gepulverten Bernſtein einen hellgelben, ſtark riechenden,
klebrigen Balſam, den Berzelius (Pogg. Ann. 12. 429) für das hält, was
der Bernſtein urſprünglich war, aber vielleicht jetzt ärmer an flüchtigem
Oel wie ehemals. Die unlöslichen Beſtandtheile des Bernſteins mögen
ſich durch die Länge der Zeit aus dieſem Balſam gebildet, aber allmählig
einen Theil deſſelben ſo umſchloſſen haben, daß deſſen weitere Verände-
rung dadurch gehindert worden iſt.

Vorkommen. Bisher ſah man den Bernſtein als ein Produkt
der tertiären Braunkohle, ſogar der älteſten Braunkohlenformation an.
So werden Italien, Spanien, Frankreich, England ꝛc. als Fundorte an-
gegeben. Man darf bei dieſen Angaben dann aber nicht vergeſſen, daß
unter dem Namen alle bernſteinartigen Harze verſtanden werden, welche
ſcharf von einander zu ſcheiden bis jetzt noch nicht gelungen iſt. So
kommt bei Lemberg in der obern Kreideformation mit der rieſigen Gry-
phaea vesicularis
ein ausgezeichneter Bernſtein in fauſtgroßen Stücken
vor: er iſt noch edler und glänzender als der Preußiſche, und duftet beim
Anzünden auf das feinſte. In der Pechkohle des Plänerkalkes von Skutſch
bei Riechenburg im Chrudimer Kreiſe von Böhmen führt Reuß einen
ſchwefelhaltigen an. Derſelbe fand im Galliciſchen die Foraminiferen
des Wiener Tertiärgebirges. Daubrée führt Bernſtein aus dem Braun-
kohlengebirge von Lobſann im Elſaß auf (Retinit?). Dieß iſt nun jeden-
falls nicht Produkt des Bernſteinbaums der Oſtſeeländer. Wenn es ſich
daher um die Erklärung des Bernſteins handelt, ſo nennt man dabei
immer das Hauptvaterland: die große norddeutſche Ebene, die Marken,
beſonders die Oſtſeeländer von Danzig bis Memel. Auch der 2 Meilen
lange Angernſee bei Riga lieferte beim Abgraben zum Austrocknen viel
Bernſtein. Zu Gr. Schönebeck bei Zehdenick und bei Brandenburg fand
man 1833 ein großes Lager, und grub Stücke bis 4 ℔ ſchwer aus.
Von dieſem Bernſtein glaubt nun Göppert, daß er der Diluvialzeit, der
Zeit der Mammuthe in der Alten und der Zeit der Maſtodonten in der
Neuen Welt angehöre: von Holland über die germaniſch-ſarmatiſche Ebene
hin durch Sibiren, Kamtſchatka bis nach Nordamerika erſtreckte ſich der
Coniferenwald. Ihr Harzreichtum konnte ſich jedenfalls mit der Neuſee-
ländiſchen Dammara australis meſſen, obgleich deren Zweige und Aeſte
von weißen Harztropfen ſo ſtarren, daß ſie wie mit Eiszapfen bedeckt
erſcheinen (Göppert Berl. Akad. 28. Juli 1853). Man hat im Magen
des nordamerikaniſchen Maſtodon Reſte von Thuja occidentalis gefunden,
die der im Bernſtein vollkommen gleichen ſoll. Dann wäre die Bildungs-
zeit des Bernſteins ganz an die äußerſte Gränze der Schöpfungsgeſchichte
heraufgerückt. Den berühmteſten Punkt bildet die Samländiſche Küſte
von Pillau nördlich bis zum Dorfe Groß-Hubnicken, eine Länge von
3 Meilen. Die Küſte weſtlich Königsberg und zwiſchen dem Kuriſchen
und Friſchen Haff geht von Nord nach Süd. In der rauhen Jahreszeit,
beſonders gegen den Winter, peitſchen und unterwühlen die Winde die
Küſte: die Bernſteinfiſcher waten hinein, und fangen mit Netzen das
Bernſteinkraut, mit welchem eine Welle öfter mehrere Pfund Bernſtein
auf einmal ins Netz wirft. Die Küſte iſt jährlich für 10,000 Rthlr. von
der Regierung verpachtet, und von Strandreitern bewacht. Was an

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[653/0665] VI. Cl. Inflammabilien: Bernſtein. Terpentinöl löst, was der ungeſchmolzene Bernſtein nicht thut. Aether zieht aus dem gepulverten Bernſtein einen hellgelben, ſtark riechenden, klebrigen Balſam, den Berzelius (Pogg. Ann. 12. 429) für das hält, was der Bernſtein urſprünglich war, aber vielleicht jetzt ärmer an flüchtigem Oel wie ehemals. Die unlöslichen Beſtandtheile des Bernſteins mögen ſich durch die Länge der Zeit aus dieſem Balſam gebildet, aber allmählig einen Theil deſſelben ſo umſchloſſen haben, daß deſſen weitere Verände- rung dadurch gehindert worden iſt. Vorkommen. Bisher ſah man den Bernſtein als ein Produkt der tertiären Braunkohle, ſogar der älteſten Braunkohlenformation an. So werden Italien, Spanien, Frankreich, England ꝛc. als Fundorte an- gegeben. Man darf bei dieſen Angaben dann aber nicht vergeſſen, daß unter dem Namen alle bernſteinartigen Harze verſtanden werden, welche ſcharf von einander zu ſcheiden bis jetzt noch nicht gelungen iſt. So kommt bei Lemberg in der obern Kreideformation mit der rieſigen Gry- phaea vesicularis ein ausgezeichneter Bernſtein in fauſtgroßen Stücken vor: er iſt noch edler und glänzender als der Preußiſche, und duftet beim Anzünden auf das feinſte. In der Pechkohle des Plänerkalkes von Skutſch bei Riechenburg im Chrudimer Kreiſe von Böhmen führt Reuß einen ſchwefelhaltigen an. Derſelbe fand im Galliciſchen die Foraminiferen des Wiener Tertiärgebirges. Daubrée führt Bernſtein aus dem Braun- kohlengebirge von Lobſann im Elſaß auf (Retinit?). Dieß iſt nun jeden- falls nicht Produkt des Bernſteinbaums der Oſtſeeländer. Wenn es ſich daher um die Erklärung des Bernſteins handelt, ſo nennt man dabei immer das Hauptvaterland: die große norddeutſche Ebene, die Marken, beſonders die Oſtſeeländer von Danzig bis Memel. Auch der 2[FORMEL] Meilen lange Angernſee bei Riga lieferte beim Abgraben zum Austrocknen viel Bernſtein. Zu Gr. Schönebeck bei Zehdenick und bei Brandenburg fand man 1833 ein großes Lager, und grub Stücke bis 4 ℔ ſchwer aus. Von dieſem Bernſtein glaubt nun Göppert, daß er der Diluvialzeit, der Zeit der Mammuthe in der Alten und der Zeit der Maſtodonten in der Neuen Welt angehöre: von Holland über die germaniſch-ſarmatiſche Ebene hin durch Sibiren, Kamtſchatka bis nach Nordamerika erſtreckte ſich der Coniferenwald. Ihr Harzreichtum konnte ſich jedenfalls mit der Neuſee- ländiſchen Dammara australis meſſen, obgleich deren Zweige und Aeſte von weißen Harztropfen ſo ſtarren, daß ſie wie mit Eiszapfen bedeckt erſcheinen (Göppert Berl. Akad. 28. Juli 1853). Man hat im Magen des nordamerikaniſchen Maſtodon Reſte von Thuja occidentalis gefunden, die der im Bernſtein vollkommen gleichen ſoll. Dann wäre die Bildungs- zeit des Bernſteins ganz an die äußerſte Gränze der Schöpfungsgeſchichte heraufgerückt. Den berühmteſten Punkt bildet die Samländiſche Küſte von Pillau nördlich bis zum Dorfe Groß-Hubnicken, eine Länge von 3 Meilen. Die Küſte weſtlich Königsberg und zwiſchen dem Kuriſchen und Friſchen Haff geht von Nord nach Süd. In der rauhen Jahreszeit, beſonders gegen den Winter, peitſchen und unterwühlen die Winde die Küſte: die Bernſteinfiſcher waten hinein, und fangen mit Netzen das Bernſteinkraut, mit welchem eine Welle öfter mehrere Pfund Bernſtein auf einmal ins Netz wirft. Die Küſte iſt jährlich für 10,000 Rthlr. von der Regierung verpachtet, und von Strandreitern bewacht. Was an

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Zitationshilfe: Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/665>, abgerufen am 22.11.2024.