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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Einleitung.
er gar nichts davon erlernet hat? Mit der Erkennitniß und Einsicht aber,
wächst auch die Achtung und Liebe zu einer Sache. Vornehme Perso-
nen laßen ihre Kinder wohl nicht allemal in der Absicht in vielerley Wissen-
schaften unterrichten, um Werk davon zu machen: sondern es geschieht
vielmehr deswegen, daß sie in vielerley Wissenschaften eine Einsicht erlan-
gen sollen, um bey Gelegenheit davon sprechen zu können. Wären nun
alle Musikmeister auch zugleich Musikverständige; wüßten sie ihren Un-
tergebenen von einer künstlichen Musik richtige Begriffe beyzubringen;
ließen sie dieselben beyzeiten wohl ausgearbeitete Stücke spielen, und er-
kläreten ihnen den Jnhalt davon: so würden sie die Liebhaber nicht nur
nach und nach an solche Arten von Musik gewöhnen; sondern die Liebha-
ber würden auch überhaupt mehr Einsicht in die Musik erlangen, und mehr
Vergnügen daran finden. Die Musik würde dadurch in eine größere Ach-
tung kommen, als sie nicht ist: und die wahren Tonkünstler würden für
ihre Arbeit mehr Dank verdienen. Da aber die meisten Liebhaber die
Musik nur mechanisch erlernen: so fällt dieser Vortheil weg; und die Mu-
sik bleibt in desto größerer Unvollkommenheit: weil es sowohl an guten
Meistern, als an folgsamen Scholaren fehlet.

17. §.

Will man wißen, was denn nun eigentlich der Gegenstand des wei-
tern Nachforschens seyn soll; so dienet zur Antwort: Wenn ein angehen-
der Componist die Regeln der Harmonie, welche, ob es wohl vielen an
der Kenntniß derselben fehlet, doch nur, wie gesagt, das wenigste und
leichteste in der Composition sind, gründlich erlernet hat; so muß er sich
befleißigen, eine gute Wahl und Vermischung der Gedanken, nach der
Absicht eines jeden Stückes, vom Anfange bis ans Ende deßelben, zu
treffen; die Gemüthsbewegungen gehörig auszudrücken; einen fließenden
Gesang zu erhalten; in der Modulation zwar neu, doch natürlich, und
im Metrum richtig zu seyn; Licht und Schatten beständig zu unterhal-
ten; seine Erfindungen in eine gemäßigte Länge einzuschränken; in Anse-
hung der Abschnitte, und der Wiederholungen der Gedanken, keinen
Misbrauch zu begehen; sowohl für die Stimme als Jnstrumente bequem
zu setzen; in der Singmusik nicht wider das Sylbenmaaß, noch weniger
wider den Sinn der Worte zu schreiben; und sowohl von der Singart,
als von den Eigenschaften eines jeden Jnstruments, eine hinlängliche Er-
kenntniß zu erlangen. Ein Sänger oder Jnstrumentist aber muß sich an-
gelegen seyn lassen, der Stimme oder des Jnstruments vollkommen mächtig

zu
C

Einleitung.
er gar nichts davon erlernet hat? Mit der Erkennitniß und Einſicht aber,
waͤchſt auch die Achtung und Liebe zu einer Sache. Vornehme Perſo-
nen laßen ihre Kinder wohl nicht allemal in der Abſicht in vielerley Wiſſen-
ſchaften unterrichten, um Werk davon zu machen: ſondern es geſchieht
vielmehr deswegen, daß ſie in vielerley Wiſſenſchaften eine Einſicht erlan-
gen ſollen, um bey Gelegenheit davon ſprechen zu koͤnnen. Waͤren nun
alle Muſikmeiſter auch zugleich Muſikverſtaͤndige; wuͤßten ſie ihren Un-
tergebenen von einer kuͤnſtlichen Muſik richtige Begriffe beyzubringen;
ließen ſie dieſelben beyzeiten wohl ausgearbeitete Stuͤcke ſpielen, und er-
klaͤreten ihnen den Jnhalt davon: ſo wuͤrden ſie die Liebhaber nicht nur
nach und nach an ſolche Arten von Muſik gewoͤhnen; ſondern die Liebha-
ber wuͤrden auch uͤberhaupt mehr Einſicht in die Muſik erlangen, und mehr
Vergnuͤgen daran finden. Die Muſik wuͤrde dadurch in eine groͤßere Ach-
tung kommen, als ſie nicht iſt: und die wahren Tonkuͤnſtler wuͤrden fuͤr
ihre Arbeit mehr Dank verdienen. Da aber die meiſten Liebhaber die
Muſik nur mechaniſch erlernen: ſo faͤllt dieſer Vortheil weg; und die Mu-
ſik bleibt in deſto groͤßerer Unvollkommenheit: weil es ſowohl an guten
Meiſtern, als an folgſamen Scholaren fehlet.

17. §.

Will man wißen, was denn nun eigentlich der Gegenſtand des wei-
tern Nachforſchens ſeyn ſoll; ſo dienet zur Antwort: Wenn ein angehen-
der Componiſt die Regeln der Harmonie, welche, ob es wohl vielen an
der Kenntniß derſelben fehlet, doch nur, wie geſagt, das wenigſte und
leichteſte in der Compoſition ſind, gruͤndlich erlernet hat; ſo muß er ſich
befleißigen, eine gute Wahl und Vermiſchung der Gedanken, nach der
Abſicht eines jeden Stuͤckes, vom Anfange bis ans Ende deßelben, zu
treffen; die Gemuͤthsbewegungen gehoͤrig auszudruͤcken; einen fließenden
Geſang zu erhalten; in der Modulation zwar neu, doch natuͤrlich, und
im Metrum richtig zu ſeyn; Licht und Schatten beſtaͤndig zu unterhal-
ten; ſeine Erfindungen in eine gemaͤßigte Laͤnge einzuſchraͤnken; in Anſe-
hung der Abſchnitte, und der Wiederholungen der Gedanken, keinen
Misbrauch zu begehen; ſowohl fuͤr die Stimme als Jnſtrumente bequem
zu ſetzen; in der Singmuſik nicht wider das Sylbenmaaß, noch weniger
wider den Sinn der Worte zu ſchreiben; und ſowohl von der Singart,
als von den Eigenſchaften eines jeden Jnſtruments, eine hinlaͤngliche Er-
kenntniß zu erlangen. Ein Saͤnger oder Jnſtrumentiſt aber muß ſich an-
gelegen ſeyn laſſen, der Stimme oder des Jnſtruments vollkommen maͤchtig

zu
C
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[17/0035] Einleitung. er gar nichts davon erlernet hat? Mit der Erkennitniß und Einſicht aber, waͤchſt auch die Achtung und Liebe zu einer Sache. Vornehme Perſo- nen laßen ihre Kinder wohl nicht allemal in der Abſicht in vielerley Wiſſen- ſchaften unterrichten, um Werk davon zu machen: ſondern es geſchieht vielmehr deswegen, daß ſie in vielerley Wiſſenſchaften eine Einſicht erlan- gen ſollen, um bey Gelegenheit davon ſprechen zu koͤnnen. Waͤren nun alle Muſikmeiſter auch zugleich Muſikverſtaͤndige; wuͤßten ſie ihren Un- tergebenen von einer kuͤnſtlichen Muſik richtige Begriffe beyzubringen; ließen ſie dieſelben beyzeiten wohl ausgearbeitete Stuͤcke ſpielen, und er- klaͤreten ihnen den Jnhalt davon: ſo wuͤrden ſie die Liebhaber nicht nur nach und nach an ſolche Arten von Muſik gewoͤhnen; ſondern die Liebha- ber wuͤrden auch uͤberhaupt mehr Einſicht in die Muſik erlangen, und mehr Vergnuͤgen daran finden. Die Muſik wuͤrde dadurch in eine groͤßere Ach- tung kommen, als ſie nicht iſt: und die wahren Tonkuͤnſtler wuͤrden fuͤr ihre Arbeit mehr Dank verdienen. Da aber die meiſten Liebhaber die Muſik nur mechaniſch erlernen: ſo faͤllt dieſer Vortheil weg; und die Mu- ſik bleibt in deſto groͤßerer Unvollkommenheit: weil es ſowohl an guten Meiſtern, als an folgſamen Scholaren fehlet. 17. §. Will man wißen, was denn nun eigentlich der Gegenſtand des wei- tern Nachforſchens ſeyn ſoll; ſo dienet zur Antwort: Wenn ein angehen- der Componiſt die Regeln der Harmonie, welche, ob es wohl vielen an der Kenntniß derſelben fehlet, doch nur, wie geſagt, das wenigſte und leichteſte in der Compoſition ſind, gruͤndlich erlernet hat; ſo muß er ſich befleißigen, eine gute Wahl und Vermiſchung der Gedanken, nach der Abſicht eines jeden Stuͤckes, vom Anfange bis ans Ende deßelben, zu treffen; die Gemuͤthsbewegungen gehoͤrig auszudruͤcken; einen fließenden Geſang zu erhalten; in der Modulation zwar neu, doch natuͤrlich, und im Metrum richtig zu ſeyn; Licht und Schatten beſtaͤndig zu unterhal- ten; ſeine Erfindungen in eine gemaͤßigte Laͤnge einzuſchraͤnken; in Anſe- hung der Abſchnitte, und der Wiederholungen der Gedanken, keinen Misbrauch zu begehen; ſowohl fuͤr die Stimme als Jnſtrumente bequem zu ſetzen; in der Singmuſik nicht wider das Sylbenmaaß, noch weniger wider den Sinn der Worte zu ſchreiben; und ſowohl von der Singart, als von den Eigenſchaften eines jeden Jnſtruments, eine hinlaͤngliche Er- kenntniß zu erlangen. Ein Saͤnger oder Jnſtrumentiſt aber muß ſich an- gelegen ſeyn laſſen, der Stimme oder des Jnſtruments vollkommen maͤchtig zu C

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/35>, abgerufen am 22.11.2024.