monie etwas zu verstehen, was Gescheides in dieser Art zu Wege zu bringen.
48. §.
Soll ein Solo dem Componisten und dem Ausführer Ehre machen, so muß: 1) das Adagio desselben an und vor sich singbar und ausdrü- ckend seyn. 2) Der Ausführer muß Gelegenheit haben, seine Beurthei- lungskraft, Erfindung, und Einsicht zu zeigen. 3) Die Zärtlichkeit muß dann und wann mit etwas Geistreichem vermischet werden. 4) Man setze eine natürliche Grundstimme, worüber leicht zu bauen ist. 5) Ein Gedanke muß weder in demselben Tone, noch in der Transposition, zu vielmal wiederholet werden: denn dieses würde nicht nur den Spieler mü- de machen, sondern auch den Zuhörern einen Ekel erwecken können. 6) Der natürliche Gesang muß zuweilen mit einigen Dissonanzen unter- brochen werden, um bey den Zuhörern die Leidenschaften gehörig zu erre- gen. 7) Das Adagio muß nicht zu lang seyn.
49. §.
Das erste Allegro erfodert: 1) einen fließenden, an einander han- genden, und etwas ernsthaften Gesang; 2) einen guten Zusammenhang der Gedanken; 3) brillante, und mit Gesange wohl vereinigte Passa- gien; 4) eine gute Ordnung in Wiederholung der Gedanken; 5) schöne ausgesuchte Gänge zu Ende des ersten Theils, welche zugleich so einge- richtet seyn müssen, daß man in der Transposition den letzten Theil wie- der damit beschließen könne. 6) Der erste Theil muß etwas kürzer seyn als der letzte. 7) Die brillantesten Passagien müssen in den letzten Theil gebracht werden. 8) Die Grundstimme muß natürlich gesetzet seyn, und solche Bewegungen machen, welche immer eine Lebhaftigkeit unter- halten.
50. §.
Das zweyte Allegro kann entweder sehr lustig und geschwind, oder moderat und arios seyn. Man muß sich deswegen nach dem ersten richten. Jst dasselbe ernsthaft: so kann das letzte lustig seyn. Jst aber das erste lebhaft und geschwind: so kann das letzte moderat und arios seyn. Jn Ansehung der Verschiedenheit der Tactarten, muß das, was oben von den Concerten gesaget worden ist, auch hier beobachtet werden: damit nicht ein Satz dem andern ähnlich werde. Soll überhaupt ein Solo einem jeden gefallen; so muß es so eingerichtet seyn, daß die Gemüthsneigun- gen eines jeden Zuhörers darinne ihre Nahrung finden. Es muß weder
durch-
Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus
monie etwas zu verſtehen, was Geſcheides in dieſer Art zu Wege zu bringen.
48. §.
Soll ein Solo dem Componiſten und dem Ausfuͤhrer Ehre machen, ſo muß: 1) das Adagio deſſelben an und vor ſich ſingbar und ausdruͤ- ckend ſeyn. 2) Der Ausfuͤhrer muß Gelegenheit haben, ſeine Beurthei- lungskraft, Erfindung, und Einſicht zu zeigen. 3) Die Zaͤrtlichkeit muß dann und wann mit etwas Geiſtreichem vermiſchet werden. 4) Man ſetze eine natuͤrliche Grundſtimme, woruͤber leicht zu bauen iſt. 5) Ein Gedanke muß weder in demſelben Tone, noch in der Transpoſition, zu vielmal wiederholet werden: denn dieſes wuͤrde nicht nur den Spieler muͤ- de machen, ſondern auch den Zuhoͤrern einen Ekel erwecken koͤnnen. 6) Der natuͤrliche Geſang muß zuweilen mit einigen Diſſonanzen unter- brochen werden, um bey den Zuhoͤrern die Leidenſchaften gehoͤrig zu erre- gen. 7) Das Adagio muß nicht zu lang ſeyn.
49. §.
Das erſte Allegro erfodert: 1) einen fließenden, an einander han- genden, und etwas ernſthaften Geſang; 2) einen guten Zuſammenhang der Gedanken; 3) brillante, und mit Geſange wohl vereinigte Paſſa- gien; 4) eine gute Ordnung in Wiederholung der Gedanken; 5) ſchoͤne ausgeſuchte Gaͤnge zu Ende des erſten Theils, welche zugleich ſo einge- richtet ſeyn muͤſſen, daß man in der Transpoſition den letzten Theil wie- der damit beſchließen koͤnne. 6) Der erſte Theil muß etwas kuͤrzer ſeyn als der letzte. 7) Die brillanteſten Paſſagien muͤſſen in den letzten Theil gebracht werden. 8) Die Grundſtimme muß natuͤrlich geſetzet ſeyn, und ſolche Bewegungen machen, welche immer eine Lebhaftigkeit unter- halten.
50. §.
Das zweyte Allegro kann entweder ſehr luſtig und geſchwind, oder moderat und arios ſeyn. Man muß ſich deswegen nach dem erſten richten. Jſt daſſelbe ernſthaft: ſo kann das letzte luſtig ſeyn. Jſt aber das erſte lebhaft und geſchwind: ſo kann das letzte moderat und arios ſeyn. Jn Anſehung der Verſchiedenheit der Tactarten, muß das, was oben von den Concerten geſaget worden iſt, auch hier beobachtet werden: damit nicht ein Satz dem andern aͤhnlich werde. Soll uͤberhaupt ein Solo einem jeden gefallen; ſo muß es ſo eingerichtet ſeyn, daß die Gemuͤthsneigun- gen eines jeden Zuhoͤrers darinne ihre Nahrung finden. Es muß weder
durch-
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Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus
monie etwas zu verſtehen, was Geſcheides in dieſer Art zu Wege zu
bringen.
48. §.
Soll ein Solo dem Componiſten und dem Ausfuͤhrer Ehre machen,
ſo muß: 1) das Adagio deſſelben an und vor ſich ſingbar und ausdruͤ-
ckend ſeyn. 2) Der Ausfuͤhrer muß Gelegenheit haben, ſeine Beurthei-
lungskraft, Erfindung, und Einſicht zu zeigen. 3) Die Zaͤrtlichkeit muß
dann und wann mit etwas Geiſtreichem vermiſchet werden. 4) Man
ſetze eine natuͤrliche Grundſtimme, woruͤber leicht zu bauen iſt. 5) Ein
Gedanke muß weder in demſelben Tone, noch in der Transpoſition, zu
vielmal wiederholet werden: denn dieſes wuͤrde nicht nur den Spieler muͤ-
de machen, ſondern auch den Zuhoͤrern einen Ekel erwecken koͤnnen.
6) Der natuͤrliche Geſang muß zuweilen mit einigen Diſſonanzen unter-
brochen werden, um bey den Zuhoͤrern die Leidenſchaften gehoͤrig zu erre-
gen. 7) Das Adagio muß nicht zu lang ſeyn.
49. §.
Das erſte Allegro erfodert: 1) einen fließenden, an einander han-
genden, und etwas ernſthaften Geſang; 2) einen guten Zuſammenhang
der Gedanken; 3) brillante, und mit Geſange wohl vereinigte Paſſa-
gien; 4) eine gute Ordnung in Wiederholung der Gedanken; 5) ſchoͤne
ausgeſuchte Gaͤnge zu Ende des erſten Theils, welche zugleich ſo einge-
richtet ſeyn muͤſſen, daß man in der Transpoſition den letzten Theil wie-
der damit beſchließen koͤnne. 6) Der erſte Theil muß etwas kuͤrzer ſeyn
als der letzte. 7) Die brillanteſten Paſſagien muͤſſen in den letzten Theil
gebracht werden. 8) Die Grundſtimme muß natuͤrlich geſetzet ſeyn,
und ſolche Bewegungen machen, welche immer eine Lebhaftigkeit unter-
halten.
50. §.
Das zweyte Allegro kann entweder ſehr luſtig und geſchwind,
oder moderat und arios ſeyn. Man muß ſich deswegen nach dem erſten
richten. Jſt daſſelbe ernſthaft: ſo kann das letzte luſtig ſeyn. Jſt aber
das erſte lebhaft und geſchwind: ſo kann das letzte moderat und arios ſeyn.
Jn Anſehung der Verſchiedenheit der Tactarten, muß das, was oben von
den Concerten geſaget worden iſt, auch hier beobachtet werden: damit
nicht ein Satz dem andern aͤhnlich werde. Soll uͤberhaupt ein Solo einem
jeden gefallen; ſo muß es ſo eingerichtet ſeyn, daß die Gemuͤthsneigun-
gen eines jeden Zuhoͤrers darinne ihre Nahrung finden. Es muß weder
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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/322>, abgerufen am 25.06.2024.
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