Anmelden (DTAQ)

DWDS dlexDB CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:

<< vorherige Seite

nächste Seite >>

Das XVIII. Hauptstück. Wis ein Musikus

gleich auch ihren Theil, und ist damit verbunden. Beyde Arten aber
sind nicht nur überhaupt, in ihren Absichten, und folglich auch in ihrer
Einrichtung, gar sehr von einander unterschieden: sondern auch jede Un-
tereintheilung derselben, hat wieder ihre besondern Gesetze, und erfodert
ihre besondere Schreibart. Die Vocalmusik ist entweder der Kirche,
oder dem Theater, oder der Kammer gewidmet. Die Jnstrumentalmu-
sik findet an allen diesen drey Orten auch ihren Platz.

19. §.

Die Kirchenmusik muß man auf zweyerley Art betrachten, näm-
lich: als die römischkatholische, und als die protestantische. Jn
der römischen Kirche kommen vor: die Messe, die Vesperpsal-
men, das Te Deum laudamus, die Bußpsalmen, die Re-
quiem oder Seelenmessen, einige Hymni, die Mote-
ten(*), die Oratoria, Concerte, Sinfonien, Pastoralen,
u. d. m. Jedes von diesen Stücken hat wieder seine besondern Theile in
sich, und muß nach seinem Entzwecke, und nach seinen Worten, eingerich-
tet seyn: damit nicht ein Requiem oder Miserere einem Te Deum,
oder einer Auferstehungsmusik, oder in der Messe das Kyrie dem Gloria,
oder ein Motet einer lustigen Opernarie, ähnlich sey. Ein Orato-
rium, oder eine dramatisch abgehandelte geistliche Geschichte, unterschei-
det sich nur mehrentheils durch den Jnhalt, und einigermaßen durch
das Recitativ, von einer theatralischen Musik. Ueberhaupt aber wird
in der Kirchenmusik der Katholischen mehr Lebhaftigkeit anzubringen
erlaubet, als in der Protestanten ihrer. Doch sind die Ausschweifungen,
die zuweilen hierbey begangen werden, vielleicht niemanden als den Com-
ponisten beyzumessen.

20. §. Bey

(*) Die Moteten von der alten Art, welche aus vielstimmig, und ohne Jnstrumen-
te, im Capellstyl, gesetzeten biblischen Sprüchen, bey denen zuweilen der Can-
tus firmus eines Choralgesanges mit eingeflochten ist, bestehen, sind in der rö-
mischkatholischen Kirche wenig, oder gar nicht mehr gebräuchlich. Die Fran-
zosen nennen alle ihre Kirchenstücke, ohne Unterschied: des Motets. Von bey-
den Arten ist hier die Rede nicht. Jn Jtalien benennet man, heutiges Tages,
eine lateinische geistliche Solocantate, welche aus zwoen Arien und zweyen Reci-
tativen besteht, und sich mit einem Halleluja schließt, und welche unter der
Messe, nach dem Credo, gemeiniglich von einem der besten Sänger gesungen
wird, mit diesem Namen. Diese verstehe ich hier.

Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wis ein Muſikus

gleich auch ihren Theil, und iſt damit verbunden. Beyde Arten aber
ſind nicht nur uͤberhaupt, in ihren Abſichten, und folglich auch in ihrer
Einrichtung, gar ſehr von einander unterſchieden: ſondern auch jede Un-
tereintheilung derſelben, hat wieder ihre beſondern Geſetze, und erfodert
ihre beſondere Schreibart. Die Vocalmuſik iſt entweder der Kirche,
oder dem Theater, oder der Kammer gewidmet. Die Jnſtrumentalmu-
ſik findet an allen dieſen drey Orten auch ihren Platz.

19. §.

Die Kirchenmuſik muß man auf zweyerley Art betrachten, naͤm-
lich: als die roͤmiſchkatholiſche, und als die proteſtantiſche. Jn
der roͤmiſchen Kirche kommen vor: die Meſſe, die Veſperpſal-
men, das Te Deum laudamus, die Bußpſalmen, die Re-
quiem oder Seelenmeſſen, einige Hymni, die Mote-
ten(*), die Oratoria, Concerte, Sinfonien, Paſtoralen,
u. d. m. Jedes von dieſen Stuͤcken hat wieder ſeine beſondern Theile in
ſich, und muß nach ſeinem Entzwecke, und nach ſeinen Worten, eingerich-
tet ſeyn: damit nicht ein Requiem oder Miſerere einem Te Deum,
oder einer Auferſtehungsmuſik, oder in der Meſſe das Kyrie dem Gloria,
oder ein Motet einer luſtigen Opernarie, aͤhnlich ſey. Ein Orato-
rium, oder eine dramatiſch abgehandelte geiſtliche Geſchichte, unterſchei-
det ſich nur mehrentheils durch den Jnhalt, und einigermaßen durch
das Recitativ, von einer theatraliſchen Muſik. Ueberhaupt aber wird
in der Kirchenmuſik der Katholiſchen mehr Lebhaftigkeit anzubringen
erlaubet, als in der Proteſtanten ihrer. Doch ſind die Ausſchweifungen,
die zuweilen hierbey begangen werden, vielleicht niemanden als den Com-
poniſten beyzumeſſen.

20. §. Bey

(*) Die Moteten von der alten Art, welche aus vielſtimmig, und ohne Jnſtrumen-
te, im Capellſtyl, geſetzeten bibliſchen Spruͤchen, bey denen zuweilen der Can-
tus firmus eines Choralgeſanges mit eingeflochten iſt, beſtehen, ſind in der roͤ-
miſchkatholiſchen Kirche wenig, oder gar nicht mehr gebraͤuchlich. Die Fran-
zoſen nennen alle ihre Kirchenſtuͤcke, ohne Unterſchied: des Motets. Von bey-
den Arten iſt hier die Rede nicht. Jn Jtalien benennet man, heutiges Tages,
eine lateiniſche geiſtliche Solocantate, welche aus zwoen Arien und zweyen Reci-
tativen beſteht, und ſich mit einem Halleluja ſchließt, und welche unter der
Meſſe, nach dem Credo, gemeiniglich von einem der beſten Saͤnger geſungen
wird, mit dieſem Namen. Dieſe verſtehe ich hier.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0306" n="288"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">XVIII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck. Wis ein Mu&#x017F;ikus</hi></fw><lb/>
gleich auch ihren Theil, und i&#x017F;t damit verbunden. Beyde Arten aber<lb/>
&#x017F;ind nicht nur u&#x0364;berhaupt, in ihren Ab&#x017F;ichten, und folglich auch in ihrer<lb/>
Einrichtung, gar &#x017F;ehr von einander unter&#x017F;chieden: &#x017F;ondern auch jede Un-<lb/>
tereintheilung der&#x017F;elben, hat wieder ihre be&#x017F;ondern Ge&#x017F;etze, und erfodert<lb/>
ihre be&#x017F;ondere Schreibart. Die Vocalmu&#x017F;ik i&#x017F;t entweder der Kirche,<lb/>
oder dem Theater, oder der Kammer gewidmet. Die Jn&#x017F;trumentalmu-<lb/>
&#x017F;ik findet an allen die&#x017F;en drey Orten auch ihren Platz.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>19. §.</head><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#fr">Kirchenmu&#x017F;ik</hi> muß man auf zweyerley Art betrachten, na&#x0364;m-<lb/>
lich: als die <hi rendition="#fr">ro&#x0364;mi&#x017F;chkatholi&#x017F;che,</hi> und als die <hi rendition="#fr">prote&#x017F;tanti&#x017F;che.</hi> Jn<lb/>
der <hi rendition="#fr">ro&#x0364;mi&#x017F;chen Kirche</hi> kommen vor: <hi rendition="#fr">die Me&#x017F;&#x017F;e, die Ve&#x017F;perp&#x017F;al-<lb/>
men, das Te Deum laudamus, die Bußp&#x017F;almen, die Re-<lb/>
quiem oder Seelenme&#x017F;&#x017F;en, einige Hymni, die Mote-<lb/>
ten</hi><note place="foot" n="(*)">Die Moteten von der alten Art, welche aus viel&#x017F;timmig, und ohne Jn&#x017F;trumen-<lb/>
te, im Capell&#x017F;tyl, ge&#x017F;etzeten bibli&#x017F;chen Spru&#x0364;chen, bey denen zuweilen der Can-<lb/>
tus firmus eines Choralge&#x017F;anges mit eingeflochten i&#x017F;t, be&#x017F;tehen, &#x017F;ind in der ro&#x0364;-<lb/>
mi&#x017F;chkatholi&#x017F;chen Kirche wenig, oder gar nicht mehr gebra&#x0364;uchlich. Die Fran-<lb/>
zo&#x017F;en nennen alle ihre Kirchen&#x017F;tu&#x0364;cke, ohne Unter&#x017F;chied: <hi rendition="#aq">des Motets.</hi> Von bey-<lb/>
den Arten i&#x017F;t hier die Rede nicht. Jn Jtalien benennet man, heutiges Tages,<lb/>
eine lateini&#x017F;che gei&#x017F;tliche Solocantate, welche aus zwoen Arien und zweyen Reci-<lb/>
tativen be&#x017F;teht, und &#x017F;ich mit einem Halleluja &#x017F;chließt, und welche unter der<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;e, nach dem Credo, gemeiniglich von einem der be&#x017F;ten Sa&#x0364;nger ge&#x017F;ungen<lb/>
wird, mit die&#x017F;em Namen. Die&#x017F;e ver&#x017F;tehe ich hier.</note>, <hi rendition="#fr">die Oratoria, Concerte, Sinfonien, Pa&#x017F;toralen,<lb/>
u. d. m.</hi> Jedes von die&#x017F;en Stu&#x0364;cken hat wieder &#x017F;eine be&#x017F;ondern Theile in<lb/>
&#x017F;ich, und muß nach &#x017F;einem Entzwecke, und nach &#x017F;einen Worten, eingerich-<lb/>
tet &#x017F;eyn: damit nicht ein Requiem oder Mi&#x017F;erere einem Te Deum,<lb/>
oder einer Aufer&#x017F;tehungsmu&#x017F;ik, oder in der Me&#x017F;&#x017F;e das Kyrie dem Gloria,<lb/>
oder ein Motet einer lu&#x017F;tigen Opernarie, a&#x0364;hnlich &#x017F;ey. Ein <hi rendition="#fr">Orato-<lb/>
rium,</hi> oder eine dramati&#x017F;ch abgehandelte gei&#x017F;tliche Ge&#x017F;chichte, unter&#x017F;chei-<lb/>
det &#x017F;ich nur mehrentheils durch den Jnhalt, und einigermaßen durch<lb/>
das Recitativ, von einer theatrali&#x017F;chen Mu&#x017F;ik. Ueberhaupt aber wird<lb/>
in der Kirchenmu&#x017F;ik der Katholi&#x017F;chen mehr Lebhaftigkeit anzubringen<lb/>
erlaubet, als in der Prote&#x017F;tanten ihrer. Doch &#x017F;ind die Aus&#x017F;chweifungen,<lb/>
die zuweilen hierbey begangen werden, vielleicht niemanden als den Com-<lb/>
poni&#x017F;ten beyzume&#x017F;&#x017F;en.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">20. §. Bey</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>

[288/0306] Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wis ein Muſikus gleich auch ihren Theil, und iſt damit verbunden. Beyde Arten aber ſind nicht nur uͤberhaupt, in ihren Abſichten, und folglich auch in ihrer Einrichtung, gar ſehr von einander unterſchieden: ſondern auch jede Un- tereintheilung derſelben, hat wieder ihre beſondern Geſetze, und erfodert ihre beſondere Schreibart. Die Vocalmuſik iſt entweder der Kirche, oder dem Theater, oder der Kammer gewidmet. Die Jnſtrumentalmu- ſik findet an allen dieſen drey Orten auch ihren Platz. 19. §. Die Kirchenmuſik muß man auf zweyerley Art betrachten, naͤm- lich: als die roͤmiſchkatholiſche, und als die proteſtantiſche. Jn der roͤmiſchen Kirche kommen vor: die Meſſe, die Veſperpſal- men, das Te Deum laudamus, die Bußpſalmen, die Re- quiem oder Seelenmeſſen, einige Hymni, die Mote- ten (*), die Oratoria, Concerte, Sinfonien, Paſtoralen, u. d. m. Jedes von dieſen Stuͤcken hat wieder ſeine beſondern Theile in ſich, und muß nach ſeinem Entzwecke, und nach ſeinen Worten, eingerich- tet ſeyn: damit nicht ein Requiem oder Miſerere einem Te Deum, oder einer Auferſtehungsmuſik, oder in der Meſſe das Kyrie dem Gloria, oder ein Motet einer luſtigen Opernarie, aͤhnlich ſey. Ein Orato- rium, oder eine dramatiſch abgehandelte geiſtliche Geſchichte, unterſchei- det ſich nur mehrentheils durch den Jnhalt, und einigermaßen durch das Recitativ, von einer theatraliſchen Muſik. Ueberhaupt aber wird in der Kirchenmuſik der Katholiſchen mehr Lebhaftigkeit anzubringen erlaubet, als in der Proteſtanten ihrer. Doch ſind die Ausſchweifungen, die zuweilen hierbey begangen werden, vielleicht niemanden als den Com- poniſten beyzumeſſen. 20. §. Bey (*) Die Moteten von der alten Art, welche aus vielſtimmig, und ohne Jnſtrumen- te, im Capellſtyl, geſetzeten bibliſchen Spruͤchen, bey denen zuweilen der Can- tus firmus eines Choralgeſanges mit eingeflochten iſt, beſtehen, ſind in der roͤ- miſchkatholiſchen Kirche wenig, oder gar nicht mehr gebraͤuchlich. Die Fran- zoſen nennen alle ihre Kirchenſtuͤcke, ohne Unterſchied: des Motets. Von bey- den Arten iſt hier die Rede nicht. Jn Jtalien benennet man, heutiges Tages, eine lateiniſche geiſtliche Solocantate, welche aus zwoen Arien und zweyen Reci- tativen beſteht, und ſich mit einem Halleluja ſchließt, und welche unter der Meſſe, nach dem Credo, gemeiniglich von einem der beſten Saͤnger geſungen wird, mit dieſem Namen. Dieſe verſtehe ich hier.

Suche im Werk

Informationen zum Werk

Titeldaten
Verfügbarkeit Text (TEI-XML-, HTML-, TCF-, E-Book-Fassung): CC BY-SA 4.0.
Nutzungsbedingungen

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ^?

Language Resource Switchboard^?

Resource/URL übermitteln

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk:	https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752
URL zu dieser Seite:	https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/306
Zitationshilfe:	Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/306>, abgerufen am 24.11.2024.

Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer Creative-Commons-Lizenz. Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken. Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.

Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.

2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de.

Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.