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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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und eine Musik zu beurtheilen sey.
viele Passagien, durch die Transposition von einem Tone zum andern,
auf- oder unterwärts, von der Tiefe bis in die äußerste Höhe, mit eben
denselben Fingern, ohne Schwierigkeit spielen; wenn man nur die Hand
dabey versetzet, s. z. E. Tab. XXIII. Fig. 12: auf der Flöte hingegen
muß man bey einer jeden Transposition andere Finger nehmen. Jn
manchen Tonarten gehen sie gar nicht an. Wenn ein Violinist nur einen
einzigen guten Finger zum Triller hat; so kann er, durch Versetzung der
Hand, bey dem Triller die übrigen Finger vermeiden: ein Flötenist kann
keinen Finger vermeiden, sondern muß mit allen Fingern den Triller
egal zu schlagen fähig seyn. Auf der Violine kann man den Ton, wenn
man auch in langer Zeit nicht gespielet hätte, doch immer heraus brin-
gen: auf der Flöte hingegen darf man, wegen des Ansatzes, nicht etliche
Tage aussetzen, wenn der Ton nicht darunter leiden soll: zu geschweigen,
daß eine widrige Witterung, Kälte oder Hitze, auch gewisse Speisen
und Getränke, die Lippen leicht außer Stand setzen; so daß man wenig
oder gar nichts spielen kann. Der Bogenstrich auf der Violine, und
der Zungenstoß auf der Flöte, thun einerley Wirkung: der erstere aber
ist leichter zu erlangen als der letztere. Der Violinist findet bey der
Verschiedenheit der chromatischen Tonarten, sie mögen mit Kreuzen oder
b geschrieben werden, wenn auch deren gleich viele vorkommen, wenig
Schwierigkeit; der Flötenist aber desto mehr. Wenn der Violinist ein
gutes musikalisches Gehör hat, und die Verhältnisse der Töne versteht;
so kann er sein Jnstrument, ohne sonderliche Mühe, rein spielen. Wenn
aber gleich der Flötenist dasselbe Gehör auch besitzet; so bleiben ihm doch,
in Ansehung des Reinspielens, noch große Schwierigkeiten übrig. Pas-
sagien in der äußersten Höhe zu spielen, ist auf der Violine was allge-
meines: auf der Flöte aber, sowohl wegen der Finger, als wegen des
Ansatzes, eine besondere Seltenheit. Doch giebt es im Gegentheile auch
wieder einige Gänge, die auf der Violine fast nicht heraus zu bringen,
auf der Flöte aber leicht sind; z. E. gebrochene Accorde, in welchen
Sprünge in die falsche Quinte und in die übermäßige Quarte vorkommen;
Sprünge welche die Decime übersteigen, und in der Geschwindigkeit öfters
wiederholet werden, u. d. m. s. Tab. XXIII. Fig. 13. und 14. Sollte
nun ein Violinist einen Flötenisten, oder dieser jenen beurtheilen; und
beyde verstünden nur die Eigenschaften von ihrem eigenen Jnstrumente:
so würden sie, wenn sie auch gleich beyde einen hohen Grad der musika-
lischen Wissenschaft erlanget hätten, zwar von dem Geschmacke und der

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und eine Muſik zu beurtheilen ſey.
viele Paſſagien, durch die Transpoſition von einem Tone zum andern,
auf- oder unterwaͤrts, von der Tiefe bis in die aͤußerſte Hoͤhe, mit eben
denſelben Fingern, ohne Schwierigkeit ſpielen; wenn man nur die Hand
dabey verſetzet, ſ. z. E. Tab. XXIII. Fig. 12: auf der Floͤte hingegen
muß man bey einer jeden Transpoſition andere Finger nehmen. Jn
manchen Tonarten gehen ſie gar nicht an. Wenn ein Violiniſt nur einen
einzigen guten Finger zum Triller hat; ſo kann er, durch Verſetzung der
Hand, bey dem Triller die uͤbrigen Finger vermeiden: ein Floͤteniſt kann
keinen Finger vermeiden, ſondern muß mit allen Fingern den Triller
egal zu ſchlagen faͤhig ſeyn. Auf der Violine kann man den Ton, wenn
man auch in langer Zeit nicht geſpielet haͤtte, doch immer heraus brin-
gen: auf der Floͤte hingegen darf man, wegen des Anſatzes, nicht etliche
Tage ausſetzen, wenn der Ton nicht darunter leiden ſoll: zu geſchweigen,
daß eine widrige Witterung, Kaͤlte oder Hitze, auch gewiſſe Speiſen
und Getraͤnke, die Lippen leicht außer Stand ſetzen; ſo daß man wenig
oder gar nichts ſpielen kann. Der Bogenſtrich auf der Violine, und
der Zungenſtoß auf der Floͤte, thun einerley Wirkung: der erſtere aber
iſt leichter zu erlangen als der letztere. Der Violiniſt findet bey der
Verſchiedenheit der chromatiſchen Tonarten, ſie moͤgen mit Kreuzen oder
b geſchrieben werden, wenn auch deren gleich viele vorkommen, wenig
Schwierigkeit; der Floͤteniſt aber deſto mehr. Wenn der Violiniſt ein
gutes muſikaliſches Gehoͤr hat, und die Verhaͤltniſſe der Toͤne verſteht;
ſo kann er ſein Jnſtrument, ohne ſonderliche Muͤhe, rein ſpielen. Wenn
aber gleich der Floͤteniſt daſſelbe Gehoͤr auch beſitzet; ſo bleiben ihm doch,
in Anſehung des Reinſpielens, noch große Schwierigkeiten uͤbrig. Paſ-
ſagien in der aͤußerſten Hoͤhe zu ſpielen, iſt auf der Violine was allge-
meines: auf der Floͤte aber, ſowohl wegen der Finger, als wegen des
Anſatzes, eine beſondere Seltenheit. Doch giebt es im Gegentheile auch
wieder einige Gaͤnge, die auf der Violine faſt nicht heraus zu bringen,
auf der Floͤte aber leicht ſind; z. E. gebrochene Accorde, in welchen
Spruͤnge in die falſche Quinte und in die uͤbermaͤßige Quarte vorkommen;
Spruͤnge welche die Decime uͤberſteigen, und in der Geſchwindigkeit oͤfters
wiederholet werden, u. d. m. ſ. Tab. XXIII. Fig. 13. und 14. Sollte
nun ein Violiniſt einen Floͤteniſten, oder dieſer jenen beurtheilen; und
beyde verſtuͤnden nur die Eigenſchaften von ihrem eigenen Jnſtrumente:
ſo wuͤrden ſie, wenn ſie auch gleich beyde einen hohen Grad der muſika-
liſchen Wiſſenſchaft erlanget haͤtten, zwar von dem Geſchmacke und der

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[285/0303] und eine Muſik zu beurtheilen ſey. viele Paſſagien, durch die Transpoſition von einem Tone zum andern, auf- oder unterwaͤrts, von der Tiefe bis in die aͤußerſte Hoͤhe, mit eben denſelben Fingern, ohne Schwierigkeit ſpielen; wenn man nur die Hand dabey verſetzet, ſ. z. E. Tab. XXIII. Fig. 12: auf der Floͤte hingegen muß man bey einer jeden Transpoſition andere Finger nehmen. Jn manchen Tonarten gehen ſie gar nicht an. Wenn ein Violiniſt nur einen einzigen guten Finger zum Triller hat; ſo kann er, durch Verſetzung der Hand, bey dem Triller die uͤbrigen Finger vermeiden: ein Floͤteniſt kann keinen Finger vermeiden, ſondern muß mit allen Fingern den Triller egal zu ſchlagen faͤhig ſeyn. Auf der Violine kann man den Ton, wenn man auch in langer Zeit nicht geſpielet haͤtte, doch immer heraus brin- gen: auf der Floͤte hingegen darf man, wegen des Anſatzes, nicht etliche Tage ausſetzen, wenn der Ton nicht darunter leiden ſoll: zu geſchweigen, daß eine widrige Witterung, Kaͤlte oder Hitze, auch gewiſſe Speiſen und Getraͤnke, die Lippen leicht außer Stand ſetzen; ſo daß man wenig oder gar nichts ſpielen kann. Der Bogenſtrich auf der Violine, und der Zungenſtoß auf der Floͤte, thun einerley Wirkung: der erſtere aber iſt leichter zu erlangen als der letztere. Der Violiniſt findet bey der Verſchiedenheit der chromatiſchen Tonarten, ſie moͤgen mit Kreuzen oder b geſchrieben werden, wenn auch deren gleich viele vorkommen, wenig Schwierigkeit; der Floͤteniſt aber deſto mehr. Wenn der Violiniſt ein gutes muſikaliſches Gehoͤr hat, und die Verhaͤltniſſe der Toͤne verſteht; ſo kann er ſein Jnſtrument, ohne ſonderliche Muͤhe, rein ſpielen. Wenn aber gleich der Floͤteniſt daſſelbe Gehoͤr auch beſitzet; ſo bleiben ihm doch, in Anſehung des Reinſpielens, noch große Schwierigkeiten uͤbrig. Paſ- ſagien in der aͤußerſten Hoͤhe zu ſpielen, iſt auf der Violine was allge- meines: auf der Floͤte aber, ſowohl wegen der Finger, als wegen des Anſatzes, eine beſondere Seltenheit. Doch giebt es im Gegentheile auch wieder einige Gaͤnge, die auf der Violine faſt nicht heraus zu bringen, auf der Floͤte aber leicht ſind; z. E. gebrochene Accorde, in welchen Spruͤnge in die falſche Quinte und in die uͤbermaͤßige Quarte vorkommen; Spruͤnge welche die Decime uͤberſteigen, und in der Geſchwindigkeit oͤfters wiederholet werden, u. d. m. ſ. Tab. XXIII. Fig. 13. und 14. Sollte nun ein Violiniſt einen Floͤteniſten, oder dieſer jenen beurtheilen; und beyde verſtuͤnden nur die Eigenſchaften von ihrem eigenen Jnſtrumente: ſo wuͤrden ſie, wenn ſie auch gleich beyde einen hohen Grad der muſika- liſchen Wiſſenſchaft erlanget haͤtten, zwar von dem Geſchmacke und der Ein- N n 3

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/303>, abgerufen am 16.06.2024.