Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus
Es wird ferner erfodert: daß ein guter Sänger das Falset mit der Brust-
stimme so zu vereinigen wisse, damit man nicht bemerken könne, wo die
letzte aufhöret, und das erstere anfängt; daß er ein gutes Gehör, und
eine reine Jntonation habe, um alle Töne in ihren Verhältnissen rein an-
geben zu können; daß er das Tragen der Stimme, (il portamento di voce)
und die Haltungen auf einer langen Note, (le messe di voce) auf eine
angenehme Art zu machen wisse; daß er folglich dabey eine Festigkeit und
Sicherheit der Stimme besitze, und nicht, bey einer nur mäßig langen
Aushaltung, entweder damit anfange zu zittern, oder aber, wenn er den
Ton verstärken will, den angenehmen Klang einer Menschenstimme, in
das unangenehme Kreischen einer Rohrpfeife verwandele: welches abson-
derlich einigen zur Geschwindigkeit aufgelegten Sängern nicht selten be-
gegnet. Von einem guten Sänger wird weiter erfodert: daß er einen
guten Triller schlage, der nicht meckert, auch weder zu langsam, noch
zu geschwind ist; daß er die gehörige Weite des Trillers wohl beobachte,
und unterscheide, ob derselbe aus ganzen oder halben Tönen bestehen solle.
Ein guter Sänger muß ferner: eine gute Aussprache haben. Die Wor-
te muß er deutlich vortragen, und die Selbstlauter a e und o in den
Passagien nicht auf einerley Art aussprechen, und unverständlich machen.
Wenn er über einem Selbstlauter eine Manier machet, muß man im-
mer bis zum Ende, denselben, und keinen andern Selbstlauter mit dar-
unter vernehmen. Auch beym Aussprechen der Wörter muß er sich hü-
ten, die Selbstlauter mit einander zu verwechseln, und etwan das
e in a und das o in u zu verwandeln; damit er nicht z. E. im Jtaliäni-
schen etwan genitura anstatt genitore ausspreche, und diejenigen, welche
die Sprache verstehen, zum Lachen verleite. Bey dem i und u darf
die Stimme nicht abfallen: über diesen beyden Selbstlautern darf man in
der Tiefe keine weitläuftigen, und in der Höhe gar keine Manieren ma-
chen. Ein guter Sänger muß eine Fertigkeit im Notenlesen und im
Treffen haben, und die Regeln des Generalbasses verstehen. Die Töne
in der Höhe darf er weder mit einem harten Anschlage, noch mit einem
heftigen Hauche der Brust ausdrücken; noch weniger aber heraus heulen:
als wodurch die Anmuth sich in eine Brutalität verwandelt. Wo die
Worte erfodern gewisse Leidenschaften auszudrücken, muß er die Stim-
me zu rechter Zeit, doch ohne Affectation, zu erheben und zu mäßigen
wissen. Jn einem traurigen Stücke darf er nicht so viele Triller und lau-
fende Manieren anbringen, als in einem cantabeln und lustigen: denn

hier-

Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus
Es wird ferner erfodert: daß ein guter Saͤnger das Falſet mit der Bruſt-
ſtimme ſo zu vereinigen wiſſe, damit man nicht bemerken koͤnne, wo die
letzte aufhoͤret, und das erſtere anfaͤngt; daß er ein gutes Gehoͤr, und
eine reine Jntonation habe, um alle Toͤne in ihren Verhaͤltniſſen rein an-
geben zu koͤnnen; daß er das Tragen der Stimme, (il portamento di voce)
und die Haltungen auf einer langen Note, (le meſſe di voce) auf eine
angenehme Art zu machen wiſſe; daß er folglich dabey eine Feſtigkeit und
Sicherheit der Stimme beſitze, und nicht, bey einer nur maͤßig langen
Aushaltung, entweder damit anfange zu zittern, oder aber, wenn er den
Ton verſtaͤrken will, den angenehmen Klang einer Menſchenſtimme, in
das unangenehme Kreiſchen einer Rohrpfeife verwandele: welches abſon-
derlich einigen zur Geſchwindigkeit aufgelegten Saͤngern nicht ſelten be-
gegnet. Von einem guten Saͤnger wird weiter erfodert: daß er einen
guten Triller ſchlage, der nicht meckert, auch weder zu langſam, noch
zu geſchwind iſt; daß er die gehoͤrige Weite des Trillers wohl beobachte,
und unterſcheide, ob derſelbe aus ganzen oder halben Toͤnen beſtehen ſolle.
Ein guter Saͤnger muß ferner: eine gute Ausſprache haben. Die Wor-
te muß er deutlich vortragen, und die Selbſtlauter a e und o in den
Paſſagien nicht auf einerley Art ausſprechen, und unverſtaͤndlich machen.
Wenn er uͤber einem Selbſtlauter eine Manier machet, muß man im-
mer bis zum Ende, denſelben, und keinen andern Selbſtlauter mit dar-
unter vernehmen. Auch beym Ausſprechen der Woͤrter muß er ſich huͤ-
ten, die Selbſtlauter mit einander zu verwechſeln, und etwan das
e in a und das o in u zu verwandeln; damit er nicht z. E. im Jtaliaͤni-
ſchen etwan genitura anſtatt genitore ausſpreche, und diejenigen, welche
die Sprache verſtehen, zum Lachen verleite. Bey dem i und u darf
die Stimme nicht abfallen: uͤber dieſen beyden Selbſtlautern darf man in
der Tiefe keine weitlaͤuftigen, und in der Hoͤhe gar keine Manieren ma-
chen. Ein guter Saͤnger muß eine Fertigkeit im Notenleſen und im
Treffen haben, und die Regeln des Generalbaſſes verſtehen. Die Toͤne
in der Hoͤhe darf er weder mit einem harten Anſchlage, noch mit einem
heftigen Hauche der Bruſt ausdruͤcken; noch weniger aber heraus heulen:
als wodurch die Anmuth ſich in eine Brutalitaͤt verwandelt. Wo die
Worte erfodern gewiſſe Leidenſchaften auszudruͤcken, muß er die Stim-
me zu rechter Zeit, doch ohne Affectation, zu erheben und zu maͤßigen
wiſſen. Jn einem traurigen Stuͤcke darf er nicht ſo viele Triller und lau-
fende Manieren anbringen, als in einem cantabeln und luſtigen: denn

hier-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0300" n="282"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">XVIII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck. Wie ein Mu&#x017F;ikus</hi></fw><lb/>
Es wird ferner erfodert: daß ein guter Sa&#x0364;nger das Fal&#x017F;et mit der Bru&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;timme &#x017F;o zu vereinigen wi&#x017F;&#x017F;e, damit man nicht bemerken ko&#x0364;nne, wo die<lb/>
letzte aufho&#x0364;ret, und das er&#x017F;tere anfa&#x0364;ngt; daß er ein gutes Geho&#x0364;r, und<lb/>
eine reine Jntonation habe, um alle To&#x0364;ne in ihren Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en rein an-<lb/>
geben zu ko&#x0364;nnen; daß er das Tragen der Stimme, <hi rendition="#aq">(il portamento di voce)</hi><lb/>
und die Haltungen auf einer langen Note, <hi rendition="#aq">(le me&#x017F;&#x017F;e di voce)</hi> auf eine<lb/>
angenehme Art zu machen wi&#x017F;&#x017F;e; daß er folglich dabey eine Fe&#x017F;tigkeit und<lb/>
Sicherheit der Stimme be&#x017F;itze, und nicht, bey einer nur ma&#x0364;ßig langen<lb/>
Aushaltung, entweder damit anfange zu zittern, oder aber, wenn er den<lb/>
Ton ver&#x017F;ta&#x0364;rken will, den angenehmen Klang einer Men&#x017F;chen&#x017F;timme, in<lb/>
das unangenehme Krei&#x017F;chen einer Rohrpfeife verwandele: welches ab&#x017F;on-<lb/>
derlich einigen zur Ge&#x017F;chwindigkeit aufgelegten Sa&#x0364;ngern nicht &#x017F;elten be-<lb/>
gegnet. Von einem guten Sa&#x0364;nger wird weiter erfodert: daß er einen<lb/>
guten Triller &#x017F;chlage, der nicht meckert, auch weder zu lang&#x017F;am, noch<lb/>
zu ge&#x017F;chwind i&#x017F;t; daß er die geho&#x0364;rige Weite des Trillers wohl beobachte,<lb/>
und unter&#x017F;cheide, ob der&#x017F;elbe aus ganzen oder halben To&#x0364;nen be&#x017F;tehen &#x017F;olle.<lb/>
Ein guter Sa&#x0364;nger muß ferner: eine gute Aus&#x017F;prache haben. Die Wor-<lb/>
te muß er deutlich vortragen, und die Selb&#x017F;tlauter <hi rendition="#fr">a e</hi> und <hi rendition="#fr">o</hi> in den<lb/>
Pa&#x017F;&#x017F;agien nicht auf einerley Art aus&#x017F;prechen, und unver&#x017F;ta&#x0364;ndlich machen.<lb/>
Wenn er u&#x0364;ber einem Selb&#x017F;tlauter eine Manier machet, muß man im-<lb/>
mer bis zum Ende, den&#x017F;elben, und keinen andern Selb&#x017F;tlauter mit dar-<lb/>
unter vernehmen. Auch beym Aus&#x017F;prechen der Wo&#x0364;rter muß er &#x017F;ich hu&#x0364;-<lb/>
ten, die Selb&#x017F;tlauter mit einander zu verwech&#x017F;eln, und etwan das<lb/><hi rendition="#fr">e</hi> in <hi rendition="#fr">a</hi> und das <hi rendition="#fr">o</hi> in <hi rendition="#fr">u</hi> zu verwandeln; damit er nicht z. E. im Jtalia&#x0364;ni-<lb/>
&#x017F;chen etwan <hi rendition="#aq">genit<hi rendition="#i">u</hi>r<hi rendition="#i">a</hi></hi> an&#x017F;tatt <hi rendition="#aq">genit<hi rendition="#i">o</hi>r<hi rendition="#i">e</hi></hi> aus&#x017F;preche, und diejenigen, welche<lb/>
die Sprache ver&#x017F;tehen, zum Lachen verleite. Bey dem <hi rendition="#fr">i</hi> und <hi rendition="#fr">u</hi> darf<lb/>
die Stimme nicht abfallen: u&#x0364;ber die&#x017F;en beyden Selb&#x017F;tlautern darf man in<lb/>
der Tiefe keine weitla&#x0364;uftigen, und in der Ho&#x0364;he gar keine Manieren ma-<lb/>
chen. Ein guter Sa&#x0364;nger muß eine Fertigkeit im Notenle&#x017F;en und im<lb/>
Treffen haben, und die Regeln des Generalba&#x017F;&#x017F;es ver&#x017F;tehen. Die To&#x0364;ne<lb/>
in der Ho&#x0364;he darf er weder mit einem harten An&#x017F;chlage, noch mit einem<lb/>
heftigen Hauche der Bru&#x017F;t ausdru&#x0364;cken; noch weniger aber heraus heulen:<lb/>
als wodurch die Anmuth &#x017F;ich in eine Brutalita&#x0364;t verwandelt. Wo die<lb/>
Worte erfodern gewi&#x017F;&#x017F;e Leiden&#x017F;chaften auszudru&#x0364;cken, muß er die Stim-<lb/>
me zu rechter Zeit, doch ohne Affectation, zu erheben und zu ma&#x0364;ßigen<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en. Jn einem traurigen Stu&#x0364;cke darf er nicht &#x017F;o viele Triller und lau-<lb/>
fende Manieren anbringen, als in einem cantabeln und lu&#x017F;tigen: denn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hier-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0300] Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus Es wird ferner erfodert: daß ein guter Saͤnger das Falſet mit der Bruſt- ſtimme ſo zu vereinigen wiſſe, damit man nicht bemerken koͤnne, wo die letzte aufhoͤret, und das erſtere anfaͤngt; daß er ein gutes Gehoͤr, und eine reine Jntonation habe, um alle Toͤne in ihren Verhaͤltniſſen rein an- geben zu koͤnnen; daß er das Tragen der Stimme, (il portamento di voce) und die Haltungen auf einer langen Note, (le meſſe di voce) auf eine angenehme Art zu machen wiſſe; daß er folglich dabey eine Feſtigkeit und Sicherheit der Stimme beſitze, und nicht, bey einer nur maͤßig langen Aushaltung, entweder damit anfange zu zittern, oder aber, wenn er den Ton verſtaͤrken will, den angenehmen Klang einer Menſchenſtimme, in das unangenehme Kreiſchen einer Rohrpfeife verwandele: welches abſon- derlich einigen zur Geſchwindigkeit aufgelegten Saͤngern nicht ſelten be- gegnet. Von einem guten Saͤnger wird weiter erfodert: daß er einen guten Triller ſchlage, der nicht meckert, auch weder zu langſam, noch zu geſchwind iſt; daß er die gehoͤrige Weite des Trillers wohl beobachte, und unterſcheide, ob derſelbe aus ganzen oder halben Toͤnen beſtehen ſolle. Ein guter Saͤnger muß ferner: eine gute Ausſprache haben. Die Wor- te muß er deutlich vortragen, und die Selbſtlauter a e und o in den Paſſagien nicht auf einerley Art ausſprechen, und unverſtaͤndlich machen. Wenn er uͤber einem Selbſtlauter eine Manier machet, muß man im- mer bis zum Ende, denſelben, und keinen andern Selbſtlauter mit dar- unter vernehmen. Auch beym Ausſprechen der Woͤrter muß er ſich huͤ- ten, die Selbſtlauter mit einander zu verwechſeln, und etwan das e in a und das o in u zu verwandeln; damit er nicht z. E. im Jtaliaͤni- ſchen etwan genitura anſtatt genitore ausſpreche, und diejenigen, welche die Sprache verſtehen, zum Lachen verleite. Bey dem i und u darf die Stimme nicht abfallen: uͤber dieſen beyden Selbſtlautern darf man in der Tiefe keine weitlaͤuftigen, und in der Hoͤhe gar keine Manieren ma- chen. Ein guter Saͤnger muß eine Fertigkeit im Notenleſen und im Treffen haben, und die Regeln des Generalbaſſes verſtehen. Die Toͤne in der Hoͤhe darf er weder mit einem harten Anſchlage, noch mit einem heftigen Hauche der Bruſt ausdruͤcken; noch weniger aber heraus heulen: als wodurch die Anmuth ſich in eine Brutalitaͤt verwandelt. Wo die Worte erfodern gewiſſe Leidenſchaften auszudruͤcken, muß er die Stim- me zu rechter Zeit, doch ohne Affectation, zu erheben und zu maͤßigen wiſſen. Jn einem traurigen Stuͤcke darf er nicht ſo viele Triller und lau- fende Manieren anbringen, als in einem cantabeln und luſtigen: denn hier-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/300
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/300>, abgerufen am 03.12.2024.