nur in pathetischen und langsamen, oder in ernsthaften geschwinden Stü- cken statt.
5. §.
Die Absicht der Cadenz ist keine andere, als die Zuhörer noch ein- mal bey dem Ende unvermuthet zu überraschen, und noch einen besondern Eindruck in ihrem Gemüthe zurück zu lassen. Deswegen würde, die- ser Absicht gemäß, in einem Stücke eine einzige Cadenz genug seyn. Es ist folglich wohl als ein Misbrauch anzusehen, wenn ein Sänger im ersten Theile der Arie zwo, und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz machet: denn auf diese Art kommen, wegen des Da Capo, fünf Caden- zen in eine Arie. Ein solcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhörer leicht ermüden; zumal wenn die Cadenzen, wie sehr oft geschieht, einander immer ähnlich sehen: sondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar zu reichen Sänger Gelegenheit, sich desto eher zu erschöpfen. Machet aber der Sänger nur beym Hauptschluße eine Cadenz; so bleibt er im Vortheile, und der Zuhörer bey Appetite.
6. §.
Es ist zwar nicht zu läugnen, daß die Cadenzen, wenn sie so ge- rathen, wie es die Sache erfodert, und am rechten Orte angebracht werden, zu einer Zierde dienen. Man wird aber auch einräumen, daß sie, da sie selten von rechter Art sind, gleichsam, und zumal beym Sin- gen, nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen sind. Wenn keine ge- machet werden, so hält man es für einen großen Mangel. Mancher aber würde sein Stück mit mehr Ehre beschließen, wenn er gar keine Cadenz machete. Jndessen will oder muß ein jeder, der sich mit Singen oder So- lospielen abgiebt, Cadenzen machen. Weil aber nicht allen die Vortheile und die rechte Art derselben bekannt sind: so fällt diese Mode dem größten Theile zur Last.
7. §.
Regeln von Cadenzen sind, wie ich schon gesaget habe, noch niemals gegeben worden. Es würde auch schwer fallen, Gedanken, die willkührlich sind, die keine förmliche Melodie ausmachen sollen, zu welchen keine Grundstimme statt findet, deren Umfang, in Ansehung der Tonarten welche man berühren darf, sehr klein ist, und die überhaupt nur als ein Ohngefähr klingen sollen, in Regeln einzuschließen. Doch giebt es einige aus der Setzkunst fließende Vortheile, deren man sich bedienen kann, wenn man nicht, wie Viele thun, die Cadenzen nur nach dem Gehöre,
wie
U
Von den Cadenzen.
nur in pathetiſchen und langſamen, oder in ernſthaften geſchwinden Stuͤ- cken ſtatt.
5. §.
Die Abſicht der Cadenz iſt keine andere, als die Zuhoͤrer noch ein- mal bey dem Ende unvermuthet zu uͤberraſchen, und noch einen beſondern Eindruck in ihrem Gemuͤthe zuruͤck zu laſſen. Deswegen wuͤrde, die- ſer Abſicht gemaͤß, in einem Stuͤcke eine einzige Cadenz genug ſeyn. Es iſt folglich wohl als ein Misbrauch anzuſehen, wenn ein Saͤnger im erſten Theile der Arie zwo, und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz machet: denn auf dieſe Art kommen, wegen des Da Capo, fuͤnf Caden- zen in eine Arie. Ein ſolcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhoͤrer leicht ermuͤden; zumal wenn die Cadenzen, wie ſehr oft geſchieht, einander immer aͤhnlich ſehen: ſondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar zu reichen Saͤnger Gelegenheit, ſich deſto eher zu erſchoͤpfen. Machet aber der Saͤnger nur beym Hauptſchluße eine Cadenz; ſo bleibt er im Vortheile, und der Zuhoͤrer bey Appetite.
6. §.
Es iſt zwar nicht zu laͤugnen, daß die Cadenzen, wenn ſie ſo ge- rathen, wie es die Sache erfodert, und am rechten Orte angebracht werden, zu einer Zierde dienen. Man wird aber auch einraͤumen, daß ſie, da ſie ſelten von rechter Art ſind, gleichſam, und zumal beym Sin- gen, nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen ſind. Wenn keine ge- machet werden, ſo haͤlt man es fuͤr einen großen Mangel. Mancher aber wuͤrde ſein Stuͤck mit mehr Ehre beſchließen, wenn er gar keine Cadenz machete. Jndeſſen will oder muß ein jeder, der ſich mit Singen oder So- loſpielen abgiebt, Cadenzen machen. Weil aber nicht allen die Vortheile und die rechte Art derſelben bekannt ſind: ſo faͤllt dieſe Mode dem groͤßten Theile zur Laſt.
7. §.
Regeln von Cadenzen ſind, wie ich ſchon geſaget habe, noch niemals gegeben worden. Es wuͤrde auch ſchwer fallen, Gedanken, die willkuͤhrlich ſind, die keine foͤrmliche Melodie ausmachen ſollen, zu welchen keine Grundſtimme ſtatt findet, deren Umfang, in Anſehung der Tonarten welche man beruͤhren darf, ſehr klein iſt, und die uͤberhaupt nur als ein Ohngefaͤhr klingen ſollen, in Regeln einzuſchließen. Doch giebt es einige aus der Setzkunſt fließende Vortheile, deren man ſich bedienen kann, wenn man nicht, wie Viele thun, die Cadenzen nur nach dem Gehoͤre,
wie
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Von den Cadenzen.
nur in pathetiſchen und langſamen, oder in ernſthaften geſchwinden Stuͤ-
cken ſtatt.
5. §.
Die Abſicht der Cadenz iſt keine andere, als die Zuhoͤrer noch ein-
mal bey dem Ende unvermuthet zu uͤberraſchen, und noch einen beſondern
Eindruck in ihrem Gemuͤthe zuruͤck zu laſſen. Deswegen wuͤrde, die-
ſer Abſicht gemaͤß, in einem Stuͤcke eine einzige Cadenz genug ſeyn. Es
iſt folglich wohl als ein Misbrauch anzuſehen, wenn ein Saͤnger im
erſten Theile der Arie zwo, und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz
machet: denn auf dieſe Art kommen, wegen des Da Capo, fuͤnf Caden-
zen in eine Arie. Ein ſolcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhoͤrer leicht
ermuͤden; zumal wenn die Cadenzen, wie ſehr oft geſchieht, einander
immer aͤhnlich ſehen: ſondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar
zu reichen Saͤnger Gelegenheit, ſich deſto eher zu erſchoͤpfen. Machet
aber der Saͤnger nur beym Hauptſchluße eine Cadenz; ſo bleibt er im
Vortheile, und der Zuhoͤrer bey Appetite.
6. §.
Es iſt zwar nicht zu laͤugnen, daß die Cadenzen, wenn ſie ſo ge-
rathen, wie es die Sache erfodert, und am rechten Orte angebracht
werden, zu einer Zierde dienen. Man wird aber auch einraͤumen, daß
ſie, da ſie ſelten von rechter Art ſind, gleichſam, und zumal beym Sin-
gen, nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen ſind. Wenn keine ge-
machet werden, ſo haͤlt man es fuͤr einen großen Mangel. Mancher aber
wuͤrde ſein Stuͤck mit mehr Ehre beſchließen, wenn er gar keine Cadenz
machete. Jndeſſen will oder muß ein jeder, der ſich mit Singen oder So-
loſpielen abgiebt, Cadenzen machen. Weil aber nicht allen die Vortheile
und die rechte Art derſelben bekannt ſind: ſo faͤllt dieſe Mode dem groͤßten
Theile zur Laſt.
7. §.
Regeln von Cadenzen ſind, wie ich ſchon geſaget habe, noch niemals
gegeben worden. Es wuͤrde auch ſchwer fallen, Gedanken, die willkuͤhrlich
ſind, die keine foͤrmliche Melodie ausmachen ſollen, zu welchen keine
Grundſtimme ſtatt findet, deren Umfang, in Anſehung der Tonarten
welche man beruͤhren darf, ſehr klein iſt, und die uͤberhaupt nur als ein
Ohngefaͤhr klingen ſollen, in Regeln einzuſchließen. Doch giebt es einige
aus der Setzkunſt fließende Vortheile, deren man ſich bedienen kann,
wenn man nicht, wie Viele thun, die Cadenzen nur nach dem Gehoͤre,
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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/171>, abgerufen am 27.07.2024.
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