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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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zur Nachtzeit oder in den Stunden, in denen die betreffende
Lokalität im Schatten liegt, sind Steinfälle minder häufig,
sie kommen öfters im Frühjahre, bei Thauwetter, bei starken
Regengüssen und Stürmen vor. Grossartige Stein- und Eis-
fälle erlebten die Brüder Zsigmondy und der Verfasser auf den
SO.-Abstürzen des Monte Rosa- Schon um 9 Uhr früh, als sich
die Wirkung der Sonne auf den bei 3000 m hohen Fels- und Eis-
wänden fühlbar machte, begann das furchtbare Schauspiel, das
bis zum Abend dauerte, und die Gesellschaft zu einem 15 Stunden
langen Bivouak in der Höhe von 3000 m nöthigte. Centner-
schwere Blöcke flogen in gewaltigen, 50-100 Meter hohen Bogen
auf die steilen Eishänge, oft ganz nahe an ihrem Lagerplatze
herab, um gleich elastischen Kugeln viele Meter hoch in die Luft
geschleudert zu werden. Aber nicht nur in der näheren Um-
gebung, auch in dem ganzen über 7 km weiten Circus, der den
Macugnagagletscher umgiebt, wurde es mit einem Male lebendig.
und neben den markerschütternden Schlägen einzelner Riesen-
blöcke hörte man das dumpfe, weithin verhallende Geräusch ab-
gehender Eis- und Schneelawinen, das sich in kurzen Zeitabständen
wiederholte. Nicht minder berüchtigt, als die SO.-Wand des
Monte Rosa sind die Couloirs der Aiguille Verte und der Grandes
Jorasses, auch die S.-Seite des Bietschhorns, die Eisrinne auf dem
Schreckhorn, der Mont Pourri und die Felsabstürze der Grivola
gegen den Glacier de Trajo geniessen keinen guten Ruf. Aber
auch niedere, mit Rasen bekleidete, steile Berghöhen sind von
Steinfällen nicht frei. Sehr bedenklich ist stets das Betreten enger
Eis- und Schneerinnen, die sich höher oben im Bergmassiv ver-
ästeln, da jeder Stein, der in eine Seitenrinne fällt, den Weg
durch die Hauptrinne nimmt. In der Regel erkennt man die
Steingefährlichkeit einer Rinne, eines Hanges oder einer Felswand
an den Gesteinsfragmenten, die sich an deren Fusse auf dem
Schnee ansammeln. Schneerinnen verrathen auch dadurch ihren
steingefährlichen Charakter, dass in deren Mitte ein Kanal aus-
gehöhlt ist, durch den die Steine ihren Weg nehmen. Steinfälle
können aber auch von Bergsteigern selbst veranlasst werden, und
Anfänger und Unerfahrene besitzen oft eine eigene Virtuosität,
jeden lockeren Stein auszubrechen und aus dem Gleichgewichte
zu bringen.

Eine besondere Technik erfordert die Erkletterung steiler
Rinnen und Kamine, wie deren im Kalkgebirge und in
den Dolomiten vorkommen. Sind dieselben nicht allzu eng,

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zur Nachtzeit oder in den Stunden, in denen die betreffende
Lokalität im Schatten liegt, sind Steinfälle minder häufig,
sie kommen öfters im Frühjahre, bei Thauwetter, bei starken
Regengüssen und Stürmen vor. Grossartige Stein- und Eis-
fälle erlebten die Brüder Zsigmondy und der Verfasser auf den
SO.-Abstürzen des Monte Rosa- Schon um 9 Uhr früh, als sich
die Wirkung der Sonne auf den bei 3000 m hohen Fels- und Eis-
wänden fühlbar machte, begann das furchtbare Schauspiel, das
bis zum Abend dauerte, und die Gesellschaft zu einem 15 Stunden
langen Bivouak in der Höhe von 3000 m nöthigte. Centner-
schwere Blöcke flogen in gewaltigen, 50-100 Meter hohen Bogen
auf die steilen Eishänge, oft ganz nahe an ihrem Lagerplatze
herab, um gleich elastischen Kugeln viele Meter hoch in die Luft
geschleudert zu werden. Aber nicht nur in der näheren Um-
gebung, auch in dem ganzen über 7 km weiten Circus, der den
Macugnagagletscher umgiebt, wurde es mit einem Male lebendig.
und neben den markerschütternden Schlägen einzelner Riesen-
blöcke hörte man das dumpfe, weithin verhallende Geräusch ab-
gehender Eis- und Schneelawinen, das sich in kurzen Zeitabständen
wiederholte. Nicht minder berüchtigt, als die SO.-Wand des
Monte Rosa sind die Couloirs der Aiguille Verte und der Grandes
Jorasses, auch die S.-Seite des Bietschhorns, die Eisrinne auf dem
Schreckhorn, der Mont Pourri und die Felsabstürze der Grivola
gegen den Glacier de Trajo geniessen keinen guten Ruf. Aber
auch niedere, mit Rasen bekleidete, steile Berghöhen sind von
Steinfällen nicht frei. Sehr bedenklich ist stets das Betreten enger
Eis- und Schneerinnen, die sich höher oben im Bergmassiv ver-
ästeln, da jeder Stein, der in eine Seitenrinne fällt, den Weg
durch die Hauptrinne nimmt. In der Regel erkennt man die
Steingefährlichkeit einer Rinne, eines Hanges oder einer Felswand
an den Gesteinsfragmenten, die sich an deren Fusse auf dem
Schnee ansammeln. Schneerinnen verrathen auch dadurch ihren
steingefährlichen Charakter, dass in deren Mitte ein Kanal aus-
gehöhlt ist, durch den die Steine ihren Weg nehmen. Steinfälle
können aber auch von Bergsteigern selbst veranlasst werden, und
Anfänger und Unerfahrene besitzen oft eine eigene Virtuosität,
jeden lockeren Stein auszubrechen und aus dem Gleichgewichte
zu bringen.

Eine besondere Technik erfordert die Erkletterung steiler
Rinnen und Kamine, wie deren im Kalkgebirge und in
den Dolomiten vorkommen. Sind dieselben nicht allzu eng,

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[146/0052] L. Purtscheller. zur Nachtzeit oder in den Stunden, in denen die betreffende Lokalität im Schatten liegt, sind Steinfälle minder häufig, sie kommen öfters im Frühjahre, bei Thauwetter, bei starken Regengüssen und Stürmen vor. Grossartige Stein- und Eis- fälle erlebten die Brüder Zsigmondy und der Verfasser auf den SO.-Abstürzen des Monte Rosa- Schon um 9 Uhr früh, als sich die Wirkung der Sonne auf den bei 3000 m hohen Fels- und Eis- wänden fühlbar machte, begann das furchtbare Schauspiel, das bis zum Abend dauerte, und die Gesellschaft zu einem 15 Stunden langen Bivouak in der Höhe von 3000 m nöthigte. Centner- schwere Blöcke flogen in gewaltigen, 50-100 Meter hohen Bogen auf die steilen Eishänge, oft ganz nahe an ihrem Lagerplatze herab, um gleich elastischen Kugeln viele Meter hoch in die Luft geschleudert zu werden. Aber nicht nur in der näheren Um- gebung, auch in dem ganzen über 7 km weiten Circus, der den Macugnagagletscher umgiebt, wurde es mit einem Male lebendig. und neben den markerschütternden Schlägen einzelner Riesen- blöcke hörte man das dumpfe, weithin verhallende Geräusch ab- gehender Eis- und Schneelawinen, das sich in kurzen Zeitabständen wiederholte. Nicht minder berüchtigt, als die SO.-Wand des Monte Rosa sind die Couloirs der Aiguille Verte und der Grandes Jorasses, auch die S.-Seite des Bietschhorns, die Eisrinne auf dem Schreckhorn, der Mont Pourri und die Felsabstürze der Grivola gegen den Glacier de Trajo geniessen keinen guten Ruf. Aber auch niedere, mit Rasen bekleidete, steile Berghöhen sind von Steinfällen nicht frei. Sehr bedenklich ist stets das Betreten enger Eis- und Schneerinnen, die sich höher oben im Bergmassiv ver- ästeln, da jeder Stein, der in eine Seitenrinne fällt, den Weg durch die Hauptrinne nimmt. In der Regel erkennt man die Steingefährlichkeit einer Rinne, eines Hanges oder einer Felswand an den Gesteinsfragmenten, die sich an deren Fusse auf dem Schnee ansammeln. Schneerinnen verrathen auch dadurch ihren steingefährlichen Charakter, dass in deren Mitte ein Kanal aus- gehöhlt ist, durch den die Steine ihren Weg nehmen. Steinfälle können aber auch von Bergsteigern selbst veranlasst werden, und Anfänger und Unerfahrene besitzen oft eine eigene Virtuosität, jeden lockeren Stein auszubrechen und aus dem Gleichgewichte zu bringen. Eine besondere Technik erfordert die Erkletterung steiler Rinnen und Kamine, wie deren im Kalkgebirge und in den Dolomiten vorkommen. Sind dieselben nicht allzu eng,

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/52>, abgerufen am 22.11.2024.