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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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L. Purtscheller.
Steinen losgeschlagen habe und die mir zu manch' interessanten
Untersuchungen Stoff gaben? Oder sind es diese Käfer, welche
ich auf beeisten Höhen sammelte? Sie gewähren mir hohe
Freude, aber den höchsten Werth lege ich nicht auf sie. Auch
nicht auf all' diese Steine, die ich von verschiedenen Bergen
weggeschlagen, und die mir zeigen, aus was für Bestandtheilen
unsere Gebirge gebildet sind, all' diese Schätze überblick' ich
zwar mit Freude. Allein dies Alles, was in Schachteln sorgfältig
gesammelt vor mir steht, ist an und für sich nicht von so hohem
Werth, sondern was mein Geist genossen und in sich auf-
genommen, dies ist die Hauptsache, die Eindrücke, welche die
Natur auf mich gemacht, die durch ihre grossartigen Formen
auf einsamen Gletschern mich durchschauerte, welche auf den
Spitzen dieser Riesen der Alpenwelt mein Innerstes durch-
stürmten und meinen Geist hoch über alles Irdische emportrugen,
hinauf zu einer geistigen, höheren Welt: diese sind es vorzüglich
und ihre Wirkung auf mein ganzes gemüthliches und geistiges
Leben, was ich als den vorzüglichsten Schatz, den ich erworben,
ansehe. Hoch über den Wolken und den Wohnungen der
sterblichen Menschen, in der hehren Stille und Einsamkeit der
grossartigen Natur: erhebt sich unser Geist vorzüglich gern und
innig zum Wesen aller Wesen empor, dessen allmächtiges
Walten uns hier alles Irdische vergessen lässt."

Auch der berühmte Physiker John Tyndall, der erste Er-
steiger des Weisshorns, äusserte sich, als er den Gipfel dieses
Berges erreicht hatte, in ähnlicher Weise:

"Ueber die Gipfel und durch die Thäler ergossen sich die
Sonnenstrahlen, nur durch die Berge selbst behindert, die ihre
Schatten als dunkle Massen durch die erleuchtete Luft warfen.
Ich hatte nie vorher einen Anblick gehabt, der mich so wie
dieser ergriff. Ich wollte in meinem Notizbuch einige
Beobachtungen niederschreiben, aber ich unterliess es bald.
Es lag etwas Unharmonisches, wenn nicht Entweihendes darin,
wenn ich den wissenschaftlichen Gedanken gestattete, sich ein-
zuschleichen, wo schweigende Huldigung die einzig verständige
Handlung schien."

Aber wie lassen sich die vielen Unglücksfälle rechtfertigen?
Auch wir beklagen sie aufs Tiefste und wünschen, dass Unbe-
rufene die Hochregion nicht betreten sollen, auch wir warnen vor
Leichtsinn, Dummheiten und Extremen. Aber wir wollen nicht
das Kind mit dem Bade ausschütten, und nehmen lieber ein paar
Dutzend jährlicher Unglücksfälle in den Kauf, als dass wir vielen
Tausenden jungen Leuten die Gelegenheit zu einer männlichen,
Körper und Geist erfrischenden Bewegung nehmen möchten.

L. Purtscheller.
Steinen losgeschlagen habe und die mir zu manch’ interessanten
Untersuchungen Stoff gaben? Oder sind es diese Käfer, welche
ich auf beeisten Höhen sammelte? Sie gewähren mir hohe
Freude, aber den höchsten Werth lege ich nicht auf sie. Auch
nicht auf all’ diese Steine, die ich von verschiedenen Bergen
weggeschlagen, und die mir zeigen, aus was für Bestandtheilen
unsere Gebirge gebildet sind, all’ diese Schätze überblick’ ich
zwar mit Freude. Allein dies Alles, was in Schachteln sorgfältig
gesammelt vor mir steht, ist an und für sich nicht von so hohem
Werth, sondern was mein Geist genossen und in sich auf-
genommen, dies ist die Hauptsache, die Eindrücke, welche die
Natur auf mich gemacht, die durch ihre grossartigen Formen
auf einsamen Gletschern mich durchschauerte, welche auf den
Spitzen dieser Riesen der Alpenwelt mein Innerstes durch-
stürmten und meinen Geist hoch über alles Irdische emportrugen,
hinauf zu einer geistigen, höheren Welt: diese sind es vorzüglich
und ihre Wirkung auf mein ganzes gemüthliches und geistiges
Leben, was ich als den vorzüglichsten Schatz, den ich erworben,
ansehe. Hoch über den Wolken und den Wohnungen der
sterblichen Menschen, in der hehren Stille und Einsamkeit der
grossartigen Natur: erhebt sich unser Geist vorzüglich gern und
innig zum Wesen aller Wesen empor, dessen allmächtiges
Walten uns hier alles Irdische vergessen lässt.“

Auch der berühmte Physiker John Tyndall, der erste Er-
steiger des Weisshorns, äusserte sich, als er den Gipfel dieses
Berges erreicht hatte, in ähnlicher Weise:

„Ueber die Gipfel und durch die Thäler ergossen sich die
Sonnenstrahlen, nur durch die Berge selbst behindert, die ihre
Schatten als dunkle Massen durch die erleuchtete Luft warfen.
Ich hatte nie vorher einen Anblick gehabt, der mich so wie
dieser ergriff. Ich wollte in meinem Notizbuch einige
Beobachtungen niederschreiben, aber ich unterliess es bald.
Es lag etwas Unharmonisches, wenn nicht Entweihendes darin,
wenn ich den wissenschaftlichen Gedanken gestattete, sich ein-
zuschleichen, wo schweigende Huldigung die einzig verständige
Handlung schien.“

Aber wie lassen sich die vielen Unglücksfälle rechtfertigen?
Auch wir beklagen sie aufs Tiefste und wünschen, dass Unbe-
rufene die Hochregion nicht betreten sollen, auch wir warnen vor
Leichtsinn, Dummheiten und Extremen. Aber wir wollen nicht
das Kind mit dem Bade ausschütten, und nehmen lieber ein paar
Dutzend jährlicher Unglücksfälle in den Kauf, als dass wir vielen
Tausenden jungen Leuten die Gelegenheit zu einer männlichen,
Körper und Geist erfrischenden Bewegung nehmen möchten.

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[118/0024] L. Purtscheller. Steinen losgeschlagen habe und die mir zu manch’ interessanten Untersuchungen Stoff gaben? Oder sind es diese Käfer, welche ich auf beeisten Höhen sammelte? Sie gewähren mir hohe Freude, aber den höchsten Werth lege ich nicht auf sie. Auch nicht auf all’ diese Steine, die ich von verschiedenen Bergen weggeschlagen, und die mir zeigen, aus was für Bestandtheilen unsere Gebirge gebildet sind, all’ diese Schätze überblick’ ich zwar mit Freude. Allein dies Alles, was in Schachteln sorgfältig gesammelt vor mir steht, ist an und für sich nicht von so hohem Werth, sondern was mein Geist genossen und in sich auf- genommen, dies ist die Hauptsache, die Eindrücke, welche die Natur auf mich gemacht, die durch ihre grossartigen Formen auf einsamen Gletschern mich durchschauerte, welche auf den Spitzen dieser Riesen der Alpenwelt mein Innerstes durch- stürmten und meinen Geist hoch über alles Irdische emportrugen, hinauf zu einer geistigen, höheren Welt: diese sind es vorzüglich und ihre Wirkung auf mein ganzes gemüthliches und geistiges Leben, was ich als den vorzüglichsten Schatz, den ich erworben, ansehe. Hoch über den Wolken und den Wohnungen der sterblichen Menschen, in der hehren Stille und Einsamkeit der grossartigen Natur: erhebt sich unser Geist vorzüglich gern und innig zum Wesen aller Wesen empor, dessen allmächtiges Walten uns hier alles Irdische vergessen lässt.“ Auch der berühmte Physiker John Tyndall, der erste Er- steiger des Weisshorns, äusserte sich, als er den Gipfel dieses Berges erreicht hatte, in ähnlicher Weise: „Ueber die Gipfel und durch die Thäler ergossen sich die Sonnenstrahlen, nur durch die Berge selbst behindert, die ihre Schatten als dunkle Massen durch die erleuchtete Luft warfen. Ich hatte nie vorher einen Anblick gehabt, der mich so wie dieser ergriff. Ich wollte in meinem Notizbuch einige Beobachtungen niederschreiben, aber ich unterliess es bald. Es lag etwas Unharmonisches, wenn nicht Entweihendes darin, wenn ich den wissenschaftlichen Gedanken gestattete, sich ein- zuschleichen, wo schweigende Huldigung die einzig verständige Handlung schien.“ Aber wie lassen sich die vielen Unglücksfälle rechtfertigen? Auch wir beklagen sie aufs Tiefste und wünschen, dass Unbe- rufene die Hochregion nicht betreten sollen, auch wir warnen vor Leichtsinn, Dummheiten und Extremen. Aber wir wollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, und nehmen lieber ein paar Dutzend jährlicher Unglücksfälle in den Kauf, als dass wir vielen Tausenden jungen Leuten die Gelegenheit zu einer männlichen, Körper und Geist erfrischenden Bewegung nehmen möchten.

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/24>, abgerufen am 28.03.2024.