Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786.7) Ferd. II. u. III. 30. jähr. Kr. bis 1648. Stelle verdienet. Ein gewisser Bogislaus Phi-lipp Chemnitz, dessen Vater Martin Chemnitz (ein Sohn eines ehemaligen berühmten Lutherischen Theologen gleiches Namens) erst in Stettin, her- nach in Schleswig geheimer Rath und Canzler ge- wesen war, der vielleicht von seinem Vater zu die- sem Zwecke dienliche Collectaneen geerbt hatte, und der übrigens zwar auch studiert, aber selbst erst Holländische, hernach Schwedische Kriegsdienste genommen hatte, -- dieser Mann schrieb eben damals in Lateinischer Sprache ein Buch von der wahren Staatsbeschaffenheit des Teutschen Reichs (de ratione status in imperio nostro Romano- Germanico.) Der Lateinische Titel sollte das ausdrücken, was die Franzosen Raison d' Etat nennen. Seine Hauptabsicht schien dahin gerich- tet zu seyn, den Teutschen Reichsständen das Vor- urtheil zu benehmen, als ob das Teutsche Reich eine solche Fortsetzung des ehemaligen Römischen Reichs wäre, daß der Inhalt des Römischjustinia- nischen Gesetzbuches noch jetzt dazu gebraucht werden könnte, um das Teutsche Reich sich als eine solche Monarchie, wie das ehemalige Römische Reich, vorzustellen, und einem Kaiser Ferdinand solche Ma- jestät und Hoheitsrechte, wie sie weiland Kaiser Ju- stinian ausgeübt habe, beyzulegen. Nach seiner Vorstellung sollte in Teutschland eigentlich eine ari- stocratische Regierung statt finden, und die wahre Majestät des Reichs vielmehr auf der gesammten Reichsversammlung, als auf der Person des Kai- sers, haften. Mit solchen Grundsätzen beleuchtete er nunIV. dern
7) Ferd. II. u. III. 30. jaͤhr. Kr. bis 1648. Stelle verdienet. Ein gewiſſer Bogislaus Phi-lipp Chemnitz, deſſen Vater Martin Chemnitz (ein Sohn eines ehemaligen beruͤhmten Lutheriſchen Theologen gleiches Namens) erſt in Stettin, her- nach in Schleswig geheimer Rath und Canzler ge- weſen war, der vielleicht von ſeinem Vater zu die- ſem Zwecke dienliche Collectaneen geerbt hatte, und der uͤbrigens zwar auch ſtudiert, aber ſelbſt erſt Hollaͤndiſche, hernach Schwediſche Kriegsdienſte genommen hatte, — dieſer Mann ſchrieb eben damals in Lateiniſcher Sprache ein Buch von der wahren Staatsbeſchaffenheit des Teutſchen Reichs (de ratione ſtatus in imperio noſtro Romano- Germanico.) Der Lateiniſche Titel ſollte das ausdruͤcken, was die Franzoſen Raiſon d’ Etat nennen. Seine Hauptabſicht ſchien dahin gerich- tet zu ſeyn, den Teutſchen Reichsſtaͤnden das Vor- urtheil zu benehmen, als ob das Teutſche Reich eine ſolche Fortſetzung des ehemaligen Roͤmiſchen Reichs waͤre, daß der Inhalt des Roͤmiſchjuſtinia- niſchen Geſetzbuches noch jetzt dazu gebraucht werden koͤnnte, um das Teutſche Reich ſich als eine ſolche Monarchie, wie das ehemalige Roͤmiſche Reich, vorzuſtellen, und einem Kaiſer Ferdinand ſolche Ma- jeſtaͤt und Hoheitsrechte, wie ſie weiland Kaiſer Ju- ſtinian ausgeuͤbt habe, beyzulegen. Nach ſeiner Vorſtellung ſollte in Teutſchland eigentlich eine ari- ſtocratiſche Regierung ſtatt finden, und die wahre Majeſtaͤt des Reichs vielmehr auf der geſammten Reichsverſammlung, als auf der Perſon des Kai- ſers, haften. Mit ſolchen Grundſaͤtzen beleuchtete er nunIV. dern
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0085" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">7) Ferd. <hi rendition="#aq">II.</hi> u. <hi rendition="#aq">III.</hi> 30. jaͤhr. Kr. bis 1648.</hi></fw><lb/> Stelle verdienet. Ein gewiſſer Bogislaus Phi-<lb/> lipp <hi rendition="#fr">Chemnitz,</hi> deſſen Vater Martin Chemnitz (ein<lb/> Sohn eines ehemaligen beruͤhmten Lutheriſchen<lb/> Theologen gleiches Namens) erſt in Stettin, her-<lb/> nach in Schleswig geheimer Rath und Canzler ge-<lb/> weſen war, der vielleicht von ſeinem Vater zu die-<lb/> ſem Zwecke dienliche Collectaneen geerbt hatte, und<lb/> der uͤbrigens zwar auch ſtudiert, aber ſelbſt erſt<lb/> Hollaͤndiſche, hernach Schwediſche Kriegsdienſte<lb/> genommen hatte, — dieſer Mann ſchrieb eben<lb/> damals in Lateiniſcher Sprache ein Buch von der<lb/> wahren Staatsbeſchaffenheit des Teutſchen Reichs<lb/><hi rendition="#aq">(de ratione ſtatus in imperio noſtro Romano-<lb/> Germanico.)</hi> Der Lateiniſche Titel ſollte das<lb/> ausdruͤcken, was die Franzoſen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Raiſon d’ Etat</hi></hi><lb/> nennen. Seine Hauptabſicht ſchien dahin gerich-<lb/> tet zu ſeyn, den Teutſchen Reichsſtaͤnden das Vor-<lb/> urtheil zu benehmen, als ob das Teutſche Reich<lb/> eine ſolche Fortſetzung des ehemaligen Roͤmiſchen<lb/> Reichs waͤre, daß der Inhalt des Roͤmiſchjuſtinia-<lb/> niſchen Geſetzbuches noch jetzt dazu gebraucht werden<lb/> koͤnnte, um das Teutſche Reich ſich als eine ſolche<lb/> Monarchie, wie das ehemalige Roͤmiſche Reich,<lb/> vorzuſtellen, und einem Kaiſer Ferdinand ſolche Ma-<lb/> jeſtaͤt und Hoheitsrechte, wie ſie weiland Kaiſer Ju-<lb/> ſtinian ausgeuͤbt habe, beyzulegen. Nach ſeiner<lb/> Vorſtellung ſollte in Teutſchland eigentlich eine ari-<lb/> ſtocratiſche Regierung ſtatt finden, und die wahre<lb/> Majeſtaͤt des Reichs vielmehr auf der geſammten<lb/> Reichsverſammlung, als auf der Perſon des Kai-<lb/> ſers, haften.</p><lb/> <p>Mit ſolchen Grundſaͤtzen beleuchtete er nun<note place="right"><hi rendition="#aq">IV.</hi></note><lb/> nicht nur die Reichsverfaſſung im Ganzen, ſon-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dern</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0085]
7) Ferd. II. u. III. 30. jaͤhr. Kr. bis 1648.
Stelle verdienet. Ein gewiſſer Bogislaus Phi-
lipp Chemnitz, deſſen Vater Martin Chemnitz (ein
Sohn eines ehemaligen beruͤhmten Lutheriſchen
Theologen gleiches Namens) erſt in Stettin, her-
nach in Schleswig geheimer Rath und Canzler ge-
weſen war, der vielleicht von ſeinem Vater zu die-
ſem Zwecke dienliche Collectaneen geerbt hatte, und
der uͤbrigens zwar auch ſtudiert, aber ſelbſt erſt
Hollaͤndiſche, hernach Schwediſche Kriegsdienſte
genommen hatte, — dieſer Mann ſchrieb eben
damals in Lateiniſcher Sprache ein Buch von der
wahren Staatsbeſchaffenheit des Teutſchen Reichs
(de ratione ſtatus in imperio noſtro Romano-
Germanico.) Der Lateiniſche Titel ſollte das
ausdruͤcken, was die Franzoſen Raiſon d’ Etat
nennen. Seine Hauptabſicht ſchien dahin gerich-
tet zu ſeyn, den Teutſchen Reichsſtaͤnden das Vor-
urtheil zu benehmen, als ob das Teutſche Reich
eine ſolche Fortſetzung des ehemaligen Roͤmiſchen
Reichs waͤre, daß der Inhalt des Roͤmiſchjuſtinia-
niſchen Geſetzbuches noch jetzt dazu gebraucht werden
koͤnnte, um das Teutſche Reich ſich als eine ſolche
Monarchie, wie das ehemalige Roͤmiſche Reich,
vorzuſtellen, und einem Kaiſer Ferdinand ſolche Ma-
jeſtaͤt und Hoheitsrechte, wie ſie weiland Kaiſer Ju-
ſtinian ausgeuͤbt habe, beyzulegen. Nach ſeiner
Vorſtellung ſollte in Teutſchland eigentlich eine ari-
ſtocratiſche Regierung ſtatt finden, und die wahre
Majeſtaͤt des Reichs vielmehr auf der geſammten
Reichsverſammlung, als auf der Perſon des Kai-
ſers, haften.
Mit ſolchen Grundſaͤtzen beleuchtete er nun
nicht nur die Reichsverfaſſung im Ganzen, ſon-
dern
IV.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786/85 |
Zitationshilfe: | Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786/85>, abgerufen am 27.07.2024. |