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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
sein Leben zum Opfer für die Menschen dahin ge-
geben, und damit allen bisher nur zum Vorbilde
hierauf gerichteten Opfern des alten Testaments ein
Ende gemacht hatte; so hielt man es für einen der
eingerissenen Mißbräuche, daß man das Abendmahl
als ein jedesmaliges Opfer vorgestellt, auch eben
deswegen die Lehre von jedesmaliger würklicher
Verwandelung der Hostie in den wahren Leib
Christi oder die so genannte Transsubstantiation
aufgebracht, und endlich den Laien auch den Kelch
oder den Genuß des Weins beym Abendmahle ent-
zogen hatte. Wo hierin einer Gemeinde, die so
dachte, ihre Geistlichkeit oder Obrigkeit nicht nach-
geben wollte, um an statt der Messe eine andere
Einrichtung jenes Gedächtnißmahls mit Herstellung
des Kelchs, und mit dem Gebrauche der Teutschen,
an statt der bisherigen Lateinischen Sprache, ein-
zuführen; da war vollends nicht möglich, die bis-
herige kirchliche Gemeinschaft beyzubehalten.


XVIII.

Endlich hatte man zwar nichts dawider, daß
einer jeden Gemeinde, oder auch mehreren Gemein-
den eines Landes ein Bischof oder Erzbischof zur
Aufsicht über die Kirchenzucht vorgesetzt werden
könnte. Allein man fand nicht zuträglich, daß
das Herren seyn müßten, die eigne ganze Länder
besäßen, und daß ihnen eine Gewalt über die Ge-
wissen, oder ein Recht vorzuschreiben und zu be-
fehlen, was geglaubt oder nicht geglaubt werden
sollte, zuzugestehen sey; viel weniger daß alle Bi-
schöfe und Erzbischöfe wieder unter der höchsten
Gewalt des Römischen Bischofs stehen, und hin-
gegen nebst allen Personen geistlichen Standes von
aller weltlichen Obrigkeit befreyet, und selbst solche

Rech-

V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
ſein Leben zum Opfer fuͤr die Menſchen dahin ge-
geben, und damit allen bisher nur zum Vorbilde
hierauf gerichteten Opfern des alten Teſtaments ein
Ende gemacht hatte; ſo hielt man es fuͤr einen der
eingeriſſenen Mißbraͤuche, daß man das Abendmahl
als ein jedesmaliges Opfer vorgeſtellt, auch eben
deswegen die Lehre von jedesmaliger wuͤrklicher
Verwandelung der Hoſtie in den wahren Leib
Chriſti oder die ſo genannte Transſubſtantiation
aufgebracht, und endlich den Laien auch den Kelch
oder den Genuß des Weins beym Abendmahle ent-
zogen hatte. Wo hierin einer Gemeinde, die ſo
dachte, ihre Geiſtlichkeit oder Obrigkeit nicht nach-
geben wollte, um an ſtatt der Meſſe eine andere
Einrichtung jenes Gedaͤchtnißmahls mit Herſtellung
des Kelchs, und mit dem Gebrauche der Teutſchen,
an ſtatt der bisherigen Lateiniſchen Sprache, ein-
zufuͤhren; da war vollends nicht moͤglich, die bis-
herige kirchliche Gemeinſchaft beyzubehalten.


XVIII.

Endlich hatte man zwar nichts dawider, daß
einer jeden Gemeinde, oder auch mehreren Gemein-
den eines Landes ein Biſchof oder Erzbiſchof zur
Aufſicht uͤber die Kirchenzucht vorgeſetzt werden
koͤnnte. Allein man fand nicht zutraͤglich, daß
das Herren ſeyn muͤßten, die eigne ganze Laͤnder
beſaͤßen, und daß ihnen eine Gewalt uͤber die Ge-
wiſſen, oder ein Recht vorzuſchreiben und zu be-
fehlen, was geglaubt oder nicht geglaubt werden
ſollte, zuzugeſtehen ſey; viel weniger daß alle Bi-
ſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe wieder unter der hoͤchſten
Gewalt des Roͤmiſchen Biſchofs ſtehen, und hin-
gegen nebſt allen Perſonen geiſtlichen Standes von
aller weltlichen Obrigkeit befreyet, und ſelbſt ſolche

Rech-
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[366/0400] V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558. ſein Leben zum Opfer fuͤr die Menſchen dahin ge- geben, und damit allen bisher nur zum Vorbilde hierauf gerichteten Opfern des alten Teſtaments ein Ende gemacht hatte; ſo hielt man es fuͤr einen der eingeriſſenen Mißbraͤuche, daß man das Abendmahl als ein jedesmaliges Opfer vorgeſtellt, auch eben deswegen die Lehre von jedesmaliger wuͤrklicher Verwandelung der Hoſtie in den wahren Leib Chriſti oder die ſo genannte Transſubſtantiation aufgebracht, und endlich den Laien auch den Kelch oder den Genuß des Weins beym Abendmahle ent- zogen hatte. Wo hierin einer Gemeinde, die ſo dachte, ihre Geiſtlichkeit oder Obrigkeit nicht nach- geben wollte, um an ſtatt der Meſſe eine andere Einrichtung jenes Gedaͤchtnißmahls mit Herſtellung des Kelchs, und mit dem Gebrauche der Teutſchen, an ſtatt der bisherigen Lateiniſchen Sprache, ein- zufuͤhren; da war vollends nicht moͤglich, die bis- herige kirchliche Gemeinſchaft beyzubehalten. Endlich hatte man zwar nichts dawider, daß einer jeden Gemeinde, oder auch mehreren Gemein- den eines Landes ein Biſchof oder Erzbiſchof zur Aufſicht uͤber die Kirchenzucht vorgeſetzt werden koͤnnte. Allein man fand nicht zutraͤglich, daß das Herren ſeyn muͤßten, die eigne ganze Laͤnder beſaͤßen, und daß ihnen eine Gewalt uͤber die Ge- wiſſen, oder ein Recht vorzuſchreiben und zu be- fehlen, was geglaubt oder nicht geglaubt werden ſollte, zuzugeſtehen ſey; viel weniger daß alle Bi- ſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe wieder unter der hoͤchſten Gewalt des Roͤmiſchen Biſchofs ſtehen, und hin- gegen nebſt allen Perſonen geiſtlichen Standes von aller weltlichen Obrigkeit befreyet, und ſelbſt ſolche Rech-

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/400>, abgerufen am 19.05.2024.