Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

10) Lothar. II. -- Fried. II. 1125-1235.
genommen haben würde. Doch eben deswegen
finden sich auch über alle Erwartung frühzeitige
Spuhren, daß gräfliche und fürstliche Häuser ihre
Töchter ausdrückliche Verzichte auf alle Erbfolge
leisten laßen, und überhaupt durch Geschlechts-
verträge
das zu befestigen gesucht haben, was
sich vorher von selbsten verstand, und nur durch
Einführung Römischer Rechtsgrundsätze Noth zu
leiden schien. Dennoch hat in manchen Fällen
nicht verhütet werden können, daß man zu Zeiten
übel angewandten Römischen Rechtssätzen nachge-
gangen ist. Selbst jene Verzichte und Geschlechts-
verträge konnten nach solchen Grundsätzen nicht
unangefochten bleiben, wenn nicht eine päbstliche
Gesetzgebung noch damit geholfen hätte, daß we-
nigstens eine eidliche Bestärkung solcher Verträge
sie wider alle Anfechtung sichern könnte. Wovon
die natürliche Folge war, daß man seitdem alle Erb-
folgsverträge und Verzichte mit einem körperlichen
Eide betheuern ließ; obgleich in der That ein sol-
cher Eid von Rechts wegen nicht erforderlich war.

Ganz natürlich hatte der Begriff, den manVIII.
sich von der Verbindlichkeit des Römischen und
canonischen Rechts machte, auch seinen großen Ein-
fluß auf die ganze Gerichtsverfassung. Doch diese
war durch das nun schon seit Jahrhunderten ein-
gewurzelte Faustrecht mit dem Gebrauche der Selbst-
hülfe
so verunstaltet, daß Streitigkeiten ungleich
häufiger durch Befehdungen, oder allenfalls dazwi-
schen gekommene Austräge, als durch richterliche
Aussprüche unter kaiserlichem Ansehen abgethan
wurden. Selbst ein Landfriede, den der Kaiser
Friedrich der I. noch in seinen letzten Jahren (1187.)

als
M 4

10) Lothar. II. — Fried. II. 1125-1235.
genommen haben wuͤrde. Doch eben deswegen
finden ſich auch uͤber alle Erwartung fruͤhzeitige
Spuhren, daß graͤfliche und fuͤrſtliche Haͤuſer ihre
Toͤchter ausdruͤckliche Verzichte auf alle Erbfolge
leiſten laßen, und uͤberhaupt durch Geſchlechts-
vertraͤge
das zu befeſtigen geſucht haben, was
ſich vorher von ſelbſten verſtand, und nur durch
Einfuͤhrung Roͤmiſcher Rechtsgrundſaͤtze Noth zu
leiden ſchien. Dennoch hat in manchen Faͤllen
nicht verhuͤtet werden koͤnnen, daß man zu Zeiten
uͤbel angewandten Roͤmiſchen Rechtsſaͤtzen nachge-
gangen iſt. Selbſt jene Verzichte und Geſchlechts-
vertraͤge konnten nach ſolchen Grundſaͤtzen nicht
unangefochten bleiben, wenn nicht eine paͤbſtliche
Geſetzgebung noch damit geholfen haͤtte, daß we-
nigſtens eine eidliche Beſtaͤrkung ſolcher Vertraͤge
ſie wider alle Anfechtung ſichern koͤnnte. Wovon
die natuͤrliche Folge war, daß man ſeitdem alle Erb-
folgsvertraͤge und Verzichte mit einem koͤrperlichen
Eide betheuern ließ; obgleich in der That ein ſol-
cher Eid von Rechts wegen nicht erforderlich war.

Ganz natuͤrlich hatte der Begriff, den manVIII.
ſich von der Verbindlichkeit des Roͤmiſchen und
canoniſchen Rechts machte, auch ſeinen großen Ein-
fluß auf die ganze Gerichtsverfaſſung. Doch dieſe
war durch das nun ſchon ſeit Jahrhunderten ein-
gewurzelte Fauſtrecht mit dem Gebrauche der Selbſt-
huͤlfe
ſo verunſtaltet, daß Streitigkeiten ungleich
haͤufiger durch Befehdungen, oder allenfalls dazwi-
ſchen gekommene Austraͤge, als durch richterliche
Ausſpruͤche unter kaiſerlichem Anſehen abgethan
wurden. Selbſt ein Landfriede, den der Kaiſer
Friedrich der I. noch in ſeinen letzten Jahren (1187.)

als
M 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0217" n="183"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">10) Lothar. <hi rendition="#aq">II.</hi> &#x2014; Fried. <hi rendition="#aq">II.</hi> 1125-1235.</hi></fw><lb/>
genommen haben wu&#x0364;rde. Doch eben deswegen<lb/>
finden &#x017F;ich auch u&#x0364;ber alle Erwartung fru&#x0364;hzeitige<lb/>
Spuhren, daß gra&#x0364;fliche und fu&#x0364;r&#x017F;tliche Ha&#x0364;u&#x017F;er ihre<lb/><hi rendition="#fr">To&#x0364;chter</hi> ausdru&#x0364;ckliche <hi rendition="#fr">Verzichte</hi> auf alle Erbfolge<lb/>
lei&#x017F;ten laßen, und u&#x0364;berhaupt durch <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chlechts-<lb/>
vertra&#x0364;ge</hi> das zu befe&#x017F;tigen ge&#x017F;ucht haben, was<lb/>
&#x017F;ich vorher von &#x017F;elb&#x017F;ten ver&#x017F;tand, und nur durch<lb/>
Einfu&#x0364;hrung Ro&#x0364;mi&#x017F;cher Rechtsgrund&#x017F;a&#x0364;tze Noth zu<lb/>
leiden &#x017F;chien. Dennoch hat in manchen Fa&#x0364;llen<lb/>
nicht verhu&#x0364;tet werden ko&#x0364;nnen, daß man zu Zeiten<lb/>
u&#x0364;bel angewandten Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechts&#x017F;a&#x0364;tzen nachge-<lb/>
gangen i&#x017F;t. Selb&#x017F;t jene Verzichte und Ge&#x017F;chlechts-<lb/>
vertra&#x0364;ge konnten nach &#x017F;olchen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen nicht<lb/>
unangefochten bleiben, wenn nicht eine pa&#x0364;b&#x017F;tliche<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung noch damit geholfen ha&#x0364;tte, daß we-<lb/>
nig&#x017F;tens eine eidliche Be&#x017F;ta&#x0364;rkung &#x017F;olcher Vertra&#x0364;ge<lb/>
&#x017F;ie wider alle Anfechtung &#x017F;ichern ko&#x0364;nnte. Wovon<lb/>
die natu&#x0364;rliche Folge war, daß man &#x017F;eitdem alle Erb-<lb/>
folgsvertra&#x0364;ge und Verzichte mit einem ko&#x0364;rperlichen<lb/>
Eide betheuern ließ; obgleich in der That ein &#x017F;ol-<lb/>
cher Eid von Rechts wegen nicht erforderlich war.</p><lb/>
          <p>Ganz natu&#x0364;rlich hatte der Begriff, den man<note place="right"><hi rendition="#aq">VIII.</hi></note><lb/>
&#x017F;ich von der Verbindlichkeit des Ro&#x0364;mi&#x017F;chen und<lb/>
canoni&#x017F;chen Rechts machte, auch &#x017F;einen großen Ein-<lb/>
fluß auf die ganze Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ung. Doch die&#x017F;e<lb/>
war durch das nun &#x017F;chon &#x017F;eit Jahrhunderten ein-<lb/>
gewurzelte Fau&#x017F;trecht mit dem Gebrauche der <hi rendition="#fr">Selb&#x017F;t-<lb/>
hu&#x0364;lfe</hi> &#x017F;o verun&#x017F;taltet, daß Streitigkeiten ungleich<lb/>
ha&#x0364;ufiger durch Befehdungen, oder allenfalls dazwi-<lb/>
&#x017F;chen gekommene Austra&#x0364;ge, als durch richterliche<lb/>
Aus&#x017F;pru&#x0364;che unter kai&#x017F;erlichem An&#x017F;ehen abgethan<lb/>
wurden. Selb&#x017F;t ein <hi rendition="#fr">Landfriede,</hi> den der Kai&#x017F;er<lb/>
Friedrich der <hi rendition="#aq">I.</hi> noch in &#x017F;einen letzten Jahren (1187.)<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 4</fw><fw place="bottom" type="catch">als</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0217] 10) Lothar. II. — Fried. II. 1125-1235. genommen haben wuͤrde. Doch eben deswegen finden ſich auch uͤber alle Erwartung fruͤhzeitige Spuhren, daß graͤfliche und fuͤrſtliche Haͤuſer ihre Toͤchter ausdruͤckliche Verzichte auf alle Erbfolge leiſten laßen, und uͤberhaupt durch Geſchlechts- vertraͤge das zu befeſtigen geſucht haben, was ſich vorher von ſelbſten verſtand, und nur durch Einfuͤhrung Roͤmiſcher Rechtsgrundſaͤtze Noth zu leiden ſchien. Dennoch hat in manchen Faͤllen nicht verhuͤtet werden koͤnnen, daß man zu Zeiten uͤbel angewandten Roͤmiſchen Rechtsſaͤtzen nachge- gangen iſt. Selbſt jene Verzichte und Geſchlechts- vertraͤge konnten nach ſolchen Grundſaͤtzen nicht unangefochten bleiben, wenn nicht eine paͤbſtliche Geſetzgebung noch damit geholfen haͤtte, daß we- nigſtens eine eidliche Beſtaͤrkung ſolcher Vertraͤge ſie wider alle Anfechtung ſichern koͤnnte. Wovon die natuͤrliche Folge war, daß man ſeitdem alle Erb- folgsvertraͤge und Verzichte mit einem koͤrperlichen Eide betheuern ließ; obgleich in der That ein ſol- cher Eid von Rechts wegen nicht erforderlich war. Ganz natuͤrlich hatte der Begriff, den man ſich von der Verbindlichkeit des Roͤmiſchen und canoniſchen Rechts machte, auch ſeinen großen Ein- fluß auf die ganze Gerichtsverfaſſung. Doch dieſe war durch das nun ſchon ſeit Jahrhunderten ein- gewurzelte Fauſtrecht mit dem Gebrauche der Selbſt- huͤlfe ſo verunſtaltet, daß Streitigkeiten ungleich haͤufiger durch Befehdungen, oder allenfalls dazwi- ſchen gekommene Austraͤge, als durch richterliche Ausſpruͤche unter kaiſerlichem Anſehen abgethan wurden. Selbſt ein Landfriede, den der Kaiſer Friedrich der I. noch in ſeinen letzten Jahren (1187.) als VIII. M 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/217
Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/217>, abgerufen am 02.05.2024.