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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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7) Carolinger im Verfall 814-888.
gen waren an sich nicht ganz neu; sie waren ein-
zeln schon bey manchen Gelegenheiten geäußert
worden; aber sie waren nichts weniger als allge-
meiner Volksglaube. In dieser Einkleidung und
Verbindung waren sie neu; sie waren überdies jetzt
mit Sätzen verwebt, die noch weit über jene Ab-
sichten hinausführen konnten.

Aber wie sollte so ein Buch in Gang gebrachtXVIII.
werden? wie durfte man nur hoffen, daß das
Publicum, daß das folgende Zeitalter ein solch
erdichtetes Werk dafür, wofür man es ausgab,
annehmen sollte? Freylich zu jeder andern Zeit,
wenn nur etwas mehr Aufklärung gewesen wäre,
wenn hellsehende Köpfe auf Thronen gesessen, oder
auch nur aufgeklärte Rathgeber gehabt, und in
Ruhe und Friede regiert hätten, so ließ sich kaum
die Möglichkeit gedenken, solche unächte Waare als
ächt in Gang zu bringen, und damit die ganze Ver-
fassung der Kirche und aller Christlichen Staaten zu
untergraben. Allein für Nationen, die in der Auf-
klärung so weit zurückgeworfen waren, wie die Frän-
kische unter Ludewig dem Frommen und seinen Nach-
kommen, -- für Regenten, die in solchen Verwir-
rungen, wie diese lebten, -- kurz für ein solches
Zeitalter, wie das neunte und zehnte Jahrhundert, --
da ließ sich vieles wagen, das unter anderen Umstän-
den unmöglich gewesen wäre. Der Anstrich, den man
dem Buche gab, als einem aus entfernten Gegen-
den von Spanien her erst kürzlich herbeygekomme-
nen Schatze, als einem Werke eines berühmten
noch in großer Achtung stehenden Isidors, als einer
alle bisherige Bücher ähnlicher Art weit übertref-
fenden Sammlung, -- das alles kam dem Vor-

haben

7) Carolinger im Verfall 814-888.
gen waren an ſich nicht ganz neu; ſie waren ein-
zeln ſchon bey manchen Gelegenheiten geaͤußert
worden; aber ſie waren nichts weniger als allge-
meiner Volksglaube. In dieſer Einkleidung und
Verbindung waren ſie neu; ſie waren uͤberdies jetzt
mit Saͤtzen verwebt, die noch weit uͤber jene Ab-
ſichten hinausfuͤhren konnten.

Aber wie ſollte ſo ein Buch in Gang gebrachtXVIII.
werden? wie durfte man nur hoffen, daß das
Publicum, daß das folgende Zeitalter ein ſolch
erdichtetes Werk dafuͤr, wofuͤr man es ausgab,
annehmen ſollte? Freylich zu jeder andern Zeit,
wenn nur etwas mehr Aufklaͤrung geweſen waͤre,
wenn hellſehende Koͤpfe auf Thronen geſeſſen, oder
auch nur aufgeklaͤrte Rathgeber gehabt, und in
Ruhe und Friede regiert haͤtten, ſo ließ ſich kaum
die Moͤglichkeit gedenken, ſolche unaͤchte Waare als
aͤcht in Gang zu bringen, und damit die ganze Ver-
faſſung der Kirche und aller Chriſtlichen Staaten zu
untergraben. Allein fuͤr Nationen, die in der Auf-
klaͤrung ſo weit zuruͤckgeworfen waren, wie die Fraͤn-
kiſche unter Ludewig dem Frommen und ſeinen Nach-
kommen, — fuͤr Regenten, die in ſolchen Verwir-
rungen, wie dieſe lebten, — kurz fuͤr ein ſolches
Zeitalter, wie das neunte und zehnte Jahrhundert, —
da ließ ſich vieles wagen, das unter anderen Umſtaͤn-
den unmoͤglich geweſen waͤre. Der Anſtrich, den man
dem Buche gab, als einem aus entfernten Gegen-
den von Spanien her erſt kuͤrzlich herbeygekomme-
nen Schatze, als einem Werke eines beruͤhmten
noch in großer Achtung ſtehenden Iſidors, als einer
alle bisherige Buͤcher aͤhnlicher Art weit uͤbertref-
fenden Sammlung, — das alles kam dem Vor-

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[91/0125] 7) Carolinger im Verfall 814-888. gen waren an ſich nicht ganz neu; ſie waren ein- zeln ſchon bey manchen Gelegenheiten geaͤußert worden; aber ſie waren nichts weniger als allge- meiner Volksglaube. In dieſer Einkleidung und Verbindung waren ſie neu; ſie waren uͤberdies jetzt mit Saͤtzen verwebt, die noch weit uͤber jene Ab- ſichten hinausfuͤhren konnten. Aber wie ſollte ſo ein Buch in Gang gebracht werden? wie durfte man nur hoffen, daß das Publicum, daß das folgende Zeitalter ein ſolch erdichtetes Werk dafuͤr, wofuͤr man es ausgab, annehmen ſollte? Freylich zu jeder andern Zeit, wenn nur etwas mehr Aufklaͤrung geweſen waͤre, wenn hellſehende Koͤpfe auf Thronen geſeſſen, oder auch nur aufgeklaͤrte Rathgeber gehabt, und in Ruhe und Friede regiert haͤtten, ſo ließ ſich kaum die Moͤglichkeit gedenken, ſolche unaͤchte Waare als aͤcht in Gang zu bringen, und damit die ganze Ver- faſſung der Kirche und aller Chriſtlichen Staaten zu untergraben. Allein fuͤr Nationen, die in der Auf- klaͤrung ſo weit zuruͤckgeworfen waren, wie die Fraͤn- kiſche unter Ludewig dem Frommen und ſeinen Nach- kommen, — fuͤr Regenten, die in ſolchen Verwir- rungen, wie dieſe lebten, — kurz fuͤr ein ſolches Zeitalter, wie das neunte und zehnte Jahrhundert, — da ließ ſich vieles wagen, das unter anderen Umſtaͤn- den unmoͤglich geweſen waͤre. Der Anſtrich, den man dem Buche gab, als einem aus entfernten Gegen- den von Spanien her erſt kuͤrzlich herbeygekomme- nen Schatze, als einem Werke eines beruͤhmten noch in großer Achtung ſtehenden Iſidors, als einer alle bisherige Buͤcher aͤhnlicher Art weit uͤbertref- fenden Sammlung, — das alles kam dem Vor- haben XVIII.

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/125>, abgerufen am 27.11.2024.