wöhnlichen, nämlich dreißig Fuß hohen Mauern um- geben ist. Garküchen, Leihbibliotheken, Kaffeehäu- ser, Buden und Handwerker aller Art, schönere und ärmlichere Wohnungen, selbst öffentliche Plätze und Mädchen, auch ein Markt fehlen nicht. Auf dem letztern wurde bei meiner Ankunft eben sehr geräusch- voll Ball gespielt. Wer Geld mitbringt, lebt, bis auf die Freiheit, im Bezirk des Orts so gut und ange- nehm als möglich. Selbst an sehr anständiger Ge- sellschaft von Damen und Herren ist in der kleinen Commune von tausend Menschen nicht immer Man- gel, nur wer nichts bat, ist übel dran. Für einen Solchen aber ist ja jeder Fleck der Erde ein Gefäng- niß! Lord Cochrane hat eine Zeit in Kingsbench zu- gebracht, als er, um die Fonds fallen zu machen, eine falsche Nachricht hatte verbreiten lassen, und der reiche und angesehene Sir Francis Burdet saß eben- falls hier geraume Zeit wegen eines Libells, das er verfaßt. Der Gefangene, welcher mich herumführte, war bereits zwölf Jahre ein Bewohner dieses Orts, und äußerte mit dem besten Humor, daß er wohl nie mehr heraus zu kommen Hoffnung habe. Aehn- lich sprach sich eine alte, sehr anständige Französin aus, die gar nicht einmal ihre Verwandten von ihrer Lage unterrichten wollte, indem sie hier zufrieden lebe, und nicht wisse, wie es ihr in Frankreich erge- hen möchte, wohl eingedenk que le mieux est l'enne- mi du bien.
Schlimmer sieht es in Newgate, dem Gefängnisse für Verbrecher aus. Aber auch hier herrschte viel Milde in der Behandlung, und dabei eine muster-
wöhnlichen, nämlich dreißig Fuß hohen Mauern um- geben iſt. Garküchen, Leihbibliotheken, Kaffeehäu- ſer, Buden und Handwerker aller Art, ſchönere und ärmlichere Wohnungen, ſelbſt öffentliche Plätze und Mädchen, auch ein Markt fehlen nicht. Auf dem letztern wurde bei meiner Ankunft eben ſehr geräuſch- voll Ball geſpielt. Wer Geld mitbringt, lebt, bis auf die Freiheit, im Bezirk des Orts ſo gut und ange- nehm als möglich. Selbſt an ſehr anſtändiger Ge- ſellſchaft von Damen und Herren iſt in der kleinen Commune von tauſend Menſchen nicht immer Man- gel, nur wer nichts bat, iſt übel dran. Für einen Solchen aber iſt ja jeder Fleck der Erde ein Gefäng- niß! Lord Cochrane hat eine Zeit in Kingsbench zu- gebracht, als er, um die Fonds fallen zu machen, eine falſche Nachricht hatte verbreiten laſſen, und der reiche und angeſehene Sir Francis Burdet ſaß eben- falls hier geraume Zeit wegen eines Libells, das er verfaßt. Der Gefangene, welcher mich herumführte, war bereits zwölf Jahre ein Bewohner dieſes Orts, und äußerte mit dem beſten Humor, daß er wohl nie mehr heraus zu kommen Hoffnung habe. Aehn- lich ſprach ſich eine alte, ſehr anſtändige Franzöſin aus, die gar nicht einmal ihre Verwandten von ihrer Lage unterrichten wollte, indem ſie hier zufrieden lebe, und nicht wiſſe, wie es ihr in Frankreich erge- hen möchte, wohl eingedenk que le mieux est l’enne- mi du bien.
Schlimmer ſieht es in Newgate, dem Gefängniſſe für Verbrecher aus. Aber auch hier herrſchte viel Milde in der Behandlung, und dabei eine muſter-
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[74/0090]
wöhnlichen, nämlich dreißig Fuß hohen Mauern um-
geben iſt. Garküchen, Leihbibliotheken, Kaffeehäu-
ſer, Buden und Handwerker aller Art, ſchönere und
ärmlichere Wohnungen, ſelbſt öffentliche Plätze und
Mädchen, auch ein Markt fehlen nicht. Auf dem
letztern wurde bei meiner Ankunft eben ſehr geräuſch-
voll Ball geſpielt. Wer Geld mitbringt, lebt, bis auf
die Freiheit, im Bezirk des Orts ſo gut und ange-
nehm als möglich. Selbſt an ſehr anſtändiger Ge-
ſellſchaft von Damen und Herren iſt in der kleinen
Commune von tauſend Menſchen nicht immer Man-
gel, nur wer nichts bat, iſt übel dran. Für einen
Solchen aber iſt ja jeder Fleck der Erde ein Gefäng-
niß! Lord Cochrane hat eine Zeit in Kingsbench zu-
gebracht, als er, um die Fonds fallen zu machen,
eine falſche Nachricht hatte verbreiten laſſen, und der
reiche und angeſehene Sir Francis Burdet ſaß eben-
falls hier geraume Zeit wegen eines Libells, das er
verfaßt. Der Gefangene, welcher mich herumführte,
war bereits zwölf Jahre ein Bewohner dieſes Orts,
und äußerte mit dem beſten Humor, daß er wohl
nie mehr heraus zu kommen Hoffnung habe. Aehn-
lich ſprach ſich eine alte, ſehr anſtändige Franzöſin
aus, die gar nicht einmal ihre Verwandten von ihrer
Lage unterrichten wollte, indem ſie hier zufrieden
lebe, und nicht wiſſe, wie es ihr in Frankreich erge-
hen möchte, wohl eingedenk que le mieux est l’enne-
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Schlimmer ſieht es in Newgate, dem Gefängniſſe
für Verbrecher aus. Aber auch hier herrſchte viel
Milde in der Behandlung, und dabei eine muſter-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/90>, abgerufen am 24.11.2024.
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