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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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könne, früh um 8 Uhr sey er wieder da. Ich gab
lächelnd meine Erlaubniß, und frug, welche Aben-
teuer er sich denn vorgenommen? "Ach," war die
Antwort, "ich will blos einmal hängen sehen, und
wie sie das bier machen, denn um 5 Uhr sollen fünf
auf einmal gehenkt werden."

Welcher Mißton klang mit diesen Worten in mein
Leben voll Saus und Braus! Welcher Contrast mit
den Tausenden, von Tanz und Lust Ermüdeten und
Uebersättigten, die um jene Stunde zu behaglicher
Ruhe zurückkehren, und jenen Unseligen, die unter
Todesangst und Schmerzen zur ewigen eingehen müs-
sen. Ich rief wieder mit Napoleon: O monde, o
monde!
und konnte lange nach dem in Frivolität ver-
geudeten Tage nicht einschlafen, verfolgt von dem
Gedanken, daß eben jetzt die armen Unglücklichen ge-
weckt würden, um von der Welt und ihren Freuden
einen so schaudervollen Abschied zu nehmen, nicht ge-
hoben und gen Himmel getragen durch das Gefübl,
Martyrer des Guten und Großen zu seyn, sondern
sich der gemeinen, der erniedrigenden Schuld bewußt.
Man bemitleidet den, der unschuldig leidet, weit be-
mitleidungswerther scheint mir der Schuldige!

Meine Einbildungskraft geht, einmal angeregt,
immer etwas weiter als räthlich, und so erschien mir
auch jetzt aller eitle Genuß, alle jene die Armuth
und das Elend höhnenden Raffinements des Luxus
eine wahre Sünde, und recht oft fühle ich mich in
dieser Stimmung. -- Nicht selten hat es mir die beste
Mahlzeit verbittert, wenn ich die armen Diener be-
trachtete, die zwar gegenwärtig seyn dürfen, aber

könne, früh um 8 Uhr ſey er wieder da. Ich gab
lächelnd meine Erlaubniß, und frug, welche Aben-
teuer er ſich denn vorgenommen? „Ach,“ war die
Antwort, „ich will blos einmal hängen ſehen, und
wie ſie das bier machen, denn um 5 Uhr ſollen fünf
auf einmal gehenkt werden.“

Welcher Mißton klang mit dieſen Worten in mein
Leben voll Saus und Braus! Welcher Contraſt mit
den Tauſenden, von Tanz und Luſt Ermüdeten und
Ueberſättigten, die um jene Stunde zu behaglicher
Ruhe zurückkehren, und jenen Unſeligen, die unter
Todesangſt und Schmerzen zur ewigen eingehen müſ-
ſen. Ich rief wieder mit Napoleon: O monde, o
monde!
und konnte lange nach dem in Frivolität ver-
geudeten Tage nicht einſchlafen, verfolgt von dem
Gedanken, daß eben jetzt die armen Unglücklichen ge-
weckt würden, um von der Welt und ihren Freuden
einen ſo ſchaudervollen Abſchied zu nehmen, nicht ge-
hoben und gen Himmel getragen durch das Gefübl,
Martyrer des Guten und Großen zu ſeyn, ſondern
ſich der gemeinen, der erniedrigenden Schuld bewußt.
Man bemitleidet den, der unſchuldig leidet, weit be-
mitleidungswerther ſcheint mir der Schuldige!

Meine Einbildungskraft geht, einmal angeregt,
immer etwas weiter als räthlich, und ſo erſchien mir
auch jetzt aller eitle Genuß, alle jene die Armuth
und das Elend höhnenden Raffinements des Luxus
eine wahre Sünde, und recht oft fühle ich mich in
dieſer Stimmung. — Nicht ſelten hat es mir die beſte
Mahlzeit verbittert, wenn ich die armen Diener be-
trachtete, die zwar gegenwärtig ſeyn dürfen, aber

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[70/0086] könne, früh um 8 Uhr ſey er wieder da. Ich gab lächelnd meine Erlaubniß, und frug, welche Aben- teuer er ſich denn vorgenommen? „Ach,“ war die Antwort, „ich will blos einmal hängen ſehen, und wie ſie das bier machen, denn um 5 Uhr ſollen fünf auf einmal gehenkt werden.“ Welcher Mißton klang mit dieſen Worten in mein Leben voll Saus und Braus! Welcher Contraſt mit den Tauſenden, von Tanz und Luſt Ermüdeten und Ueberſättigten, die um jene Stunde zu behaglicher Ruhe zurückkehren, und jenen Unſeligen, die unter Todesangſt und Schmerzen zur ewigen eingehen müſ- ſen. Ich rief wieder mit Napoleon: O monde, o monde! und konnte lange nach dem in Frivolität ver- geudeten Tage nicht einſchlafen, verfolgt von dem Gedanken, daß eben jetzt die armen Unglücklichen ge- weckt würden, um von der Welt und ihren Freuden einen ſo ſchaudervollen Abſchied zu nehmen, nicht ge- hoben und gen Himmel getragen durch das Gefübl, Martyrer des Guten und Großen zu ſeyn, ſondern ſich der gemeinen, der erniedrigenden Schuld bewußt. Man bemitleidet den, der unſchuldig leidet, weit be- mitleidungswerther ſcheint mir der Schuldige! Meine Einbildungskraft geht, einmal angeregt, immer etwas weiter als räthlich, und ſo erſchien mir auch jetzt aller eitle Genuß, alle jene die Armuth und das Elend höhnenden Raffinements des Luxus eine wahre Sünde, und recht oft fühle ich mich in dieſer Stimmung. — Nicht ſelten hat es mir die beſte Mahlzeit verbittert, wenn ich die armen Diener be- trachtete, die zwar gegenwärtig ſeyn dürfen, aber

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/86>, abgerufen am 24.11.2024.