ser, wie gewöhnlich, einen hohen Ton annahm, be- fahl er ihm, sich sofort in das Staatsgefängniß zu begeben. Der Minister lächelte, indem er erwiederte: "Er werde gehen, der König möge jedoch bedenken, daß jeder Gouverneur seiner Provinzen deshalb Re- chenschaft von ihm fordern werde." Nicht mehr, Freund Ibrahim, rief der König heiter; -- nicht mehr -- und indem er seine englische Uhr hervorzog und dem betretenen Minister einen verderbenden Blick zuwarf, setzte er kaltblütig hinzu: In dieser Minute hat der letzte Deines Blutes zu athmen aufgehört, und Du wirst ihm folgen. -- Und so geschah es.
Die zweite Anekdote zeigt, daß der König zugleich nach dem Prinzip der französischen chanson handelte, welche sagt: "quand on a depeuple la terre, il faut la repeupler apres."
Sir Gore bat bei seiner Abschieds-Audienz den König, ihm gnädigst zu sagen, wie viel Kinder er habe, um über einen so interessanten Umstand seinem eignen Monarchen Rechenschaft geben zu können, wenn dieser sich darnach, wie zu vermuthen stehe, erkundigen sollte. "Hundert vier und fünfzig Söhne," erwiederte der Schach. Darf ich nochmals Ew. Ma- jestät zu fragen wagen, wie viel Kinder? Das Wort Mädchen durfte er nach der orientalischen Etikette nicht aussprechen, und die Frage überhaupt war schon nach dortigen Ansichten fast eine Beleidigung. Der König indeß, der Sir Gore sehr wohl wollte, nahm es nicht übel auf. Aha ich verstehe, lachte er ihm zu, und rief nun seinen obersten Verschnittenen her- bei: "Musa! wie viel Töchter habe ich?" König der
Briefe eines Verstorbenen. IV. 5
ſer, wie gewöhnlich, einen hohen Ton annahm, be- fahl er ihm, ſich ſofort in das Staatsgefängniß zu begeben. Der Miniſter lächelte, indem er erwiederte: „Er werde gehen, der König möge jedoch bedenken, daß jeder Gouverneur ſeiner Provinzen deshalb Re- chenſchaft von ihm fordern werde.“ Nicht mehr, Freund Ibrahim, rief der König heiter; — nicht mehr — und indem er ſeine engliſche Uhr hervorzog und dem betretenen Miniſter einen verderbenden Blick zuwarf, ſetzte er kaltblütig hinzu: In dieſer Minute hat der letzte Deines Blutes zu athmen aufgehört, und Du wirſt ihm folgen. — Und ſo geſchah es.
Die zweite Anekdote zeigt, daß der König zugleich nach dem Prinzip der franzöſiſchen chanson handelte, welche ſagt: „quand on â dépeuplé la terre, il faut la répeupler après.“
Sir Gore bat bei ſeiner Abſchieds-Audienz den König, ihm gnädigſt zu ſagen, wie viel Kinder er habe, um über einen ſo intereſſanten Umſtand ſeinem eignen Monarchen Rechenſchaft geben zu können, wenn dieſer ſich darnach, wie zu vermuthen ſtehe, erkundigen ſollte. „Hundert vier und fünfzig Söhne,“ erwiederte der Schach. Darf ich nochmals Ew. Ma- jeſtät zu fragen wagen, wie viel Kinder? Das Wort Mädchen durfte er nach der orientaliſchen Etikette nicht ausſprechen, und die Frage überhaupt war ſchon nach dortigen Anſichten faſt eine Beleidigung. Der König indeß, der Sir Gore ſehr wohl wollte, nahm es nicht übel auf. Aha ich verſtehe, lachte er ihm zu, und rief nun ſeinen oberſten Verſchnittenen her- bei: „Muſa! wie viel Töchter habe ich?“ König der
Briefe eines Verſtorbenen. IV. 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0081"n="65"/>ſer, wie gewöhnlich, einen hohen Ton annahm, be-<lb/>
fahl er ihm, ſich ſofort in das Staatsgefängniß zu<lb/>
begeben. Der Miniſter lächelte, indem er erwiederte:<lb/>„Er werde gehen, der König möge jedoch bedenken,<lb/>
daß jeder Gouverneur ſeiner Provinzen deshalb Re-<lb/>
chenſchaft von ihm fordern werde.“ Nicht mehr,<lb/>
Freund Ibrahim, rief der König heiter; — nicht mehr —<lb/>
und indem er ſeine engliſche Uhr hervorzog und dem<lb/>
betretenen Miniſter einen verderbenden Blick zuwarf,<lb/>ſetzte er kaltblütig hinzu: In dieſer Minute hat der<lb/>
letzte Deines Blutes zu athmen aufgehört, und Du<lb/>
wirſt ihm folgen. — Und ſo geſchah es.</p><lb/><p>Die zweite Anekdote zeigt, daß der König zugleich<lb/>
nach dem Prinzip der franzöſiſchen <hirendition="#aq">chanson</hi> handelte,<lb/>
welche ſagt: <hirendition="#aq">„quand on â dépeuplé la terre, il faut<lb/>
la répeupler après.“</hi></p><lb/><p>Sir Gore bat bei ſeiner Abſchieds-Audienz den<lb/>
König, ihm gnädigſt zu ſagen, wie viel Kinder er<lb/>
habe, um über einen ſo intereſſanten Umſtand ſeinem<lb/>
eignen Monarchen Rechenſchaft geben zu können,<lb/>
wenn dieſer ſich darnach, wie zu vermuthen ſtehe,<lb/>
erkundigen ſollte. „Hundert vier und fünfzig Söhne,“<lb/>
erwiederte der Schach. Darf ich nochmals Ew. Ma-<lb/>
jeſtät zu fragen wagen, wie viel Kinder? Das Wort<lb/>
Mädchen durfte er nach der orientaliſchen Etikette<lb/>
nicht ausſprechen, und die Frage überhaupt war ſchon<lb/>
nach dortigen Anſichten faſt eine Beleidigung. Der<lb/>
König indeß, der Sir Gore ſehr wohl wollte, nahm<lb/>
es nicht übel auf. Aha ich verſtehe, lachte er ihm<lb/>
zu, und rief nun ſeinen oberſten Verſchnittenen her-<lb/>
bei: „Muſa! wie viel Töchter habe ich?“ König der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Briefe eines Verſtorbenen. <hirendition="#aq">IV.</hi> 5</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[65/0081]
ſer, wie gewöhnlich, einen hohen Ton annahm, be-
fahl er ihm, ſich ſofort in das Staatsgefängniß zu
begeben. Der Miniſter lächelte, indem er erwiederte:
„Er werde gehen, der König möge jedoch bedenken,
daß jeder Gouverneur ſeiner Provinzen deshalb Re-
chenſchaft von ihm fordern werde.“ Nicht mehr,
Freund Ibrahim, rief der König heiter; — nicht mehr —
und indem er ſeine engliſche Uhr hervorzog und dem
betretenen Miniſter einen verderbenden Blick zuwarf,
ſetzte er kaltblütig hinzu: In dieſer Minute hat der
letzte Deines Blutes zu athmen aufgehört, und Du
wirſt ihm folgen. — Und ſo geſchah es.
Die zweite Anekdote zeigt, daß der König zugleich
nach dem Prinzip der franzöſiſchen chanson handelte,
welche ſagt: „quand on â dépeuplé la terre, il faut
la répeupler après.“
Sir Gore bat bei ſeiner Abſchieds-Audienz den
König, ihm gnädigſt zu ſagen, wie viel Kinder er
habe, um über einen ſo intereſſanten Umſtand ſeinem
eignen Monarchen Rechenſchaft geben zu können,
wenn dieſer ſich darnach, wie zu vermuthen ſtehe,
erkundigen ſollte. „Hundert vier und fünfzig Söhne,“
erwiederte der Schach. Darf ich nochmals Ew. Ma-
jeſtät zu fragen wagen, wie viel Kinder? Das Wort
Mädchen durfte er nach der orientaliſchen Etikette
nicht ausſprechen, und die Frage überhaupt war ſchon
nach dortigen Anſichten faſt eine Beleidigung. Der
König indeß, der Sir Gore ſehr wohl wollte, nahm
es nicht übel auf. Aha ich verſtehe, lachte er ihm
zu, und rief nun ſeinen oberſten Verſchnittenen her-
bei: „Muſa! wie viel Töchter habe ich?“ König der
Briefe eines Verſtorbenen. IV. 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/81>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.