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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Doch laß mich, vom Allgemeinen auf's Einzelne
übergehend, einige Herren dieser Region selbst flüch-
tig skizziren.

Zuerst begegnet uns ein schwer hörender und
schwer sprechender Edelmann, eine lange, blonde
Figur, was die Soldaten Napoleons im gemeinen,
aber passenden Ausdruck un grand standrin nannten,
mit einem Gesicht von der coupe der ächt spanischen
Merinos und nur in sofern "good looking," als dies
ohne alle Feinheit der Züge und geistvollen Ausdruck
derselben möglich ist. Das unbedeutende Auge spie-
gelt nur eine große Idee ab, nämlich die, welche
das Individuum von sich selbst hegt.

Sehen Sie sich diesen Mann an, sagte ich zu
meinem kürzlich debarkirten Freunde, er ist kein Dan-
dy, dazu auch nicht mehr jung genug; demohngeach-
tet aber und in noch höherer Potenz dermalen der
Sultan der Mode in England. "Unmöglich," rief
mein Freund, "Sie scherzen." Nicht im Geringsten,
erwiederte ich, und ohngeachtet dessen, was Sie sehen,
und was Sie nicht zu bestechen scheint, besitzt dieser
glückliche Sterbliche doch einige Eigenschaften für die
Rolle, welche er spielt, die nicht zu verachten seyn
möchten. Und die sind? unterbrach mich H.....
Für's erste, belehrte ich ihn, ist er einer der vornehm-
sten und reichsten Edelleute des Landes, für den
wenigstens 50,000 Irländer, die er nicht leicht mit
seiner Gegenwart beglückt, Hunger leiden müssen;
ferner ist er noch unverheirathet, und an Person

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Doch laß mich, vom Allgemeinen auf’s Einzelne
übergehend, einige Herren dieſer Region ſelbſt flüch-
tig ſkizziren.

Zuerſt begegnet uns ein ſchwer hörender und
ſchwer ſprechender Edelmann, eine lange, blonde
Figur, was die Soldaten Napoleons im gemeinen,
aber paſſenden Ausdruck un grand standrin nannten,
mit einem Geſicht von der coupe der ächt ſpaniſchen
Merinos und nur in ſofern „good looking,“ als dies
ohne alle Feinheit der Züge und geiſtvollen Ausdruck
derſelben möglich iſt. Das unbedeutende Auge ſpie-
gelt nur eine große Idee ab, nämlich die, welche
das Individuum von ſich ſelbſt hegt.

Sehen Sie ſich dieſen Mann an, ſagte ich zu
meinem kürzlich debarkirten Freunde, er iſt kein Dan-
dy, dazu auch nicht mehr jung genug; demohngeach-
tet aber und in noch höherer Potenz dermalen der
Sultan der Mode in England. „Unmöglich,“ rief
mein Freund, „Sie ſcherzen.“ Nicht im Geringſten,
erwiederte ich, und ohngeachtet deſſen, was Sie ſehen,
und was Sie nicht zu beſtechen ſcheint, beſitzt dieſer
glückliche Sterbliche doch einige Eigenſchaften für die
Rolle, welche er ſpielt, die nicht zu verachten ſeyn
möchten. Und die ſind? unterbrach mich H.....
Für’s erſte, belehrte ich ihn, iſt er einer der vornehm-
ſten und reichſten Edelleute des Landes, für den
wenigſtens 50,000 Irländer, die er nicht leicht mit
ſeiner Gegenwart beglückt, Hunger leiden müſſen;
ferner iſt er noch unverheirathet, und an Perſon

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[403/0423] Doch laß mich, vom Allgemeinen auf’s Einzelne übergehend, einige Herren dieſer Region ſelbſt flüch- tig ſkizziren. Zuerſt begegnet uns ein ſchwer hörender und ſchwer ſprechender Edelmann, eine lange, blonde Figur, was die Soldaten Napoleons im gemeinen, aber paſſenden Ausdruck un grand standrin nannten, mit einem Geſicht von der coupe der ächt ſpaniſchen Merinos und nur in ſofern „good looking,“ als dies ohne alle Feinheit der Züge und geiſtvollen Ausdruck derſelben möglich iſt. Das unbedeutende Auge ſpie- gelt nur eine große Idee ab, nämlich die, welche das Individuum von ſich ſelbſt hegt. Sehen Sie ſich dieſen Mann an, ſagte ich zu meinem kürzlich debarkirten Freunde, er iſt kein Dan- dy, dazu auch nicht mehr jung genug; demohngeach- tet aber und in noch höherer Potenz dermalen der Sultan der Mode in England. „Unmöglich,“ rief mein Freund, „Sie ſcherzen.“ Nicht im Geringſten, erwiederte ich, und ohngeachtet deſſen, was Sie ſehen, und was Sie nicht zu beſtechen ſcheint, beſitzt dieſer glückliche Sterbliche doch einige Eigenſchaften für die Rolle, welche er ſpielt, die nicht zu verachten ſeyn möchten. Und die ſind? unterbrach mich H..... Für’s erſte, belehrte ich ihn, iſt er einer der vornehm- ſten und reichſten Edelleute des Landes, für den wenigſtens 50,000 Irländer, die er nicht leicht mit ſeiner Gegenwart beglückt, Hunger leiden müſſen; ferner iſt er noch unverheirathet, und an Perſon 26*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/423>, abgerufen am 24.11.2024.