Es erschien mir wie eine wahre Wohlthat, heute einmal sans gene auf dem Lande zu essen, in H. Lodge, dem allerliebsten Lokal der Herzogin von St. A ... Vor dem Hause, das am Abhange eines Ber- ges steht, blühte im hellgrünen Rasen ein prächtiger Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Riesenstadt wie eine fata montana des neuen Jerusalem im Ne- belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und nach Tisch ergötzte uns noch Gesang und Concert im reichsten Gewächshause voller Blumen und Früchte. Ich saß während dem Essen bei einer direkten Uren- kelin Carl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn das erste halbe Dutzend englischer Herzöge im Rang, stammen größtentheils von den Maitressen Carls II. ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit in dem ihrigen, worauf sie sehr stolz sind.
Es ist noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen dringen doch überall gewaltsam hervor, ein Anblick, der mich zu Hause entzücken würde, hier aber mir Herzweh verursacht, das manchmal kaum zu bezwin- gen ist. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den alten, goldnen Dornensitz wieder niederlassen, und will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags- schemel irgendwo anders in der Freiheit aussuchen.
Den 7ten April.
Es erſchien mir wie eine wahre Wohlthat, heute einmal sans gêne auf dem Lande zu eſſen, in H. Lodge, dem allerliebſten Lokal der Herzogin von St. A … Vor dem Hauſe, das am Abhange eines Ber- ges ſteht, blühte im hellgrünen Raſen ein prächtiger Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Rieſenſtadt wie eine fata montana des neuen Jeruſalem im Ne- belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und nach Tiſch ergötzte uns noch Geſang und Concert im reichſten Gewächshauſe voller Blumen und Früchte. Ich ſaß während dem Eſſen bei einer direkten Uren- kelin Carl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn das erſte halbe Dutzend engliſcher Herzöge im Rang, ſtammen größtentheils von den Maitreſſen Carls II. ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit in dem ihrigen, worauf ſie ſehr ſtolz ſind.
Es iſt noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen dringen doch überall gewaltſam hervor, ein Anblick, der mich zu Hauſe entzücken würde, hier aber mir Herzweh verurſacht, das manchmal kaum zu bezwin- gen iſt. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den alten, goldnen Dornenſitz wieder niederlaſſen, und will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags- ſchemel irgendwo anders in der Freiheit ausſuchen.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0367"n="349"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 7ten April.</hi></dateline></opener><lb/><p>Es erſchien mir wie eine wahre Wohlthat, heute<lb/>
einmal <hirendition="#aq">sans gêne</hi> auf dem Lande zu eſſen, in H.<lb/>
Lodge, dem allerliebſten Lokal der Herzogin von St.<lb/>
A … Vor dem Hauſe, das am Abhange eines Ber-<lb/>
ges ſteht, blühte im hellgrünen Raſen ein prächtiger<lb/>
Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund<lb/>
um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die<lb/>
Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Rieſenſtadt<lb/>
wie eine <hirendition="#aq">fata montana</hi> des neuen Jeruſalem im Ne-<lb/>
belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und<lb/>
nach Tiſch ergötzte uns noch Geſang und Concert im<lb/>
reichſten Gewächshauſe voller Blumen und Früchte.<lb/>
Ich ſaß während dem Eſſen bei einer direkten Uren-<lb/>
kelin Carl <hirendition="#aq">II.,</hi> einer Verwandtin des Herzogs, denn<lb/>
das erſte halbe Dutzend engliſcher Herzöge im Rang,<lb/>ſtammen größtentheils von den Maitreſſen Carls <hirendition="#aq">II.</hi><lb/>
ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit<lb/>
in dem ihrigen, worauf ſie ſehr ſtolz ſind.</p><lb/><p>Es iſt noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen<lb/>
dringen doch überall gewaltſam hervor, ein Anblick,<lb/>
der mich zu Hauſe entzücken würde, hier aber mir<lb/>
Herzweh verurſacht, das manchmal kaum zu bezwin-<lb/>
gen iſt. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den<lb/>
alten, goldnen Dornenſitz wieder niederlaſſen, und<lb/>
will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags-<lb/>ſchemel irgendwo anders in der Freiheit ausſuchen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[349/0367]
Den 7ten April.
Es erſchien mir wie eine wahre Wohlthat, heute
einmal sans gêne auf dem Lande zu eſſen, in H.
Lodge, dem allerliebſten Lokal der Herzogin von St.
A … Vor dem Hauſe, das am Abhange eines Ber-
ges ſteht, blühte im hellgrünen Raſen ein prächtiger
Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund
um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die
Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Rieſenſtadt
wie eine fata montana des neuen Jeruſalem im Ne-
belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und
nach Tiſch ergötzte uns noch Geſang und Concert im
reichſten Gewächshauſe voller Blumen und Früchte.
Ich ſaß während dem Eſſen bei einer direkten Uren-
kelin Carl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn
das erſte halbe Dutzend engliſcher Herzöge im Rang,
ſtammen größtentheils von den Maitreſſen Carls II.
ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit
in dem ihrigen, worauf ſie ſehr ſtolz ſind.
Es iſt noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen
dringen doch überall gewaltſam hervor, ein Anblick,
der mich zu Hauſe entzücken würde, hier aber mir
Herzweh verurſacht, das manchmal kaum zu bezwin-
gen iſt. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den
alten, goldnen Dornenſitz wieder niederlaſſen, und
will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags-
ſchemel irgendwo anders in der Freiheit ausſuchen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/367>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.