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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Es erschien mir wie eine wahre Wohlthat, heute
einmal sans gene auf dem Lande zu essen, in H.
Lodge, dem allerliebsten Lokal der Herzogin von St.
A ... Vor dem Hause, das am Abhange eines Ber-
ges steht, blühte im hellgrünen Rasen ein prächtiger
Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund
um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die
Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Riesenstadt
wie eine fata montana des neuen Jerusalem im Ne-
belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und
nach Tisch ergötzte uns noch Gesang und Concert im
reichsten Gewächshause voller Blumen und Früchte.
Ich saß während dem Essen bei einer direkten Uren-
kelin Carl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn
das erste halbe Dutzend englischer Herzöge im Rang,
stammen größtentheils von den Maitressen Carls II.
ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit
in dem ihrigen, worauf sie sehr stolz sind.

Es ist noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen
dringen doch überall gewaltsam hervor, ein Anblick,
der mich zu Hause entzücken würde, hier aber mir
Herzweh verursacht, das manchmal kaum zu bezwin-
gen ist. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den
alten, goldnen Dornensitz wieder niederlassen, und
will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags-
schemel irgendwo anders in der Freiheit aussuchen.



Es erſchien mir wie eine wahre Wohlthat, heute
einmal sans gêne auf dem Lande zu eſſen, in H.
Lodge, dem allerliebſten Lokal der Herzogin von St.
A … Vor dem Hauſe, das am Abhange eines Ber-
ges ſteht, blühte im hellgrünen Raſen ein prächtiger
Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund
um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die
Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Rieſenſtadt
wie eine fata montana des neuen Jeruſalem im Ne-
belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und
nach Tiſch ergötzte uns noch Geſang und Concert im
reichſten Gewächshauſe voller Blumen und Früchte.
Ich ſaß während dem Eſſen bei einer direkten Uren-
kelin Carl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn
das erſte halbe Dutzend engliſcher Herzöge im Rang,
ſtammen größtentheils von den Maitreſſen Carls II.
ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit
in dem ihrigen, worauf ſie ſehr ſtolz ſind.

Es iſt noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen
dringen doch überall gewaltſam hervor, ein Anblick,
der mich zu Hauſe entzücken würde, hier aber mir
Herzweh verurſacht, das manchmal kaum zu bezwin-
gen iſt. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den
alten, goldnen Dornenſitz wieder niederlaſſen, und
will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags-
ſchemel irgendwo anders in der Freiheit ausſuchen.


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[349/0367] Den 7ten April. Es erſchien mir wie eine wahre Wohlthat, heute einmal sans gêne auf dem Lande zu eſſen, in H. Lodge, dem allerliebſten Lokal der Herzogin von St. A … Vor dem Hauſe, das am Abhange eines Ber- ges ſteht, blühte im hellgrünen Raſen ein prächtiger Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Rieſenſtadt wie eine fata montana des neuen Jeruſalem im Ne- belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und nach Tiſch ergötzte uns noch Geſang und Concert im reichſten Gewächshauſe voller Blumen und Früchte. Ich ſaß während dem Eſſen bei einer direkten Uren- kelin Carl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn das erſte halbe Dutzend engliſcher Herzöge im Rang, ſtammen größtentheils von den Maitreſſen Carls II. ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit in dem ihrigen, worauf ſie ſehr ſtolz ſind. Es iſt noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen dringen doch überall gewaltſam hervor, ein Anblick, der mich zu Hauſe entzücken würde, hier aber mir Herzweh verurſacht, das manchmal kaum zu bezwin- gen iſt. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den alten, goldnen Dornenſitz wieder niederlaſſen, und will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags- ſchemel irgendwo anders in der Freiheit ausſuchen.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/367>, abgerufen am 24.11.2024.