Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und
Scherzen entgegen, und Großes und Erhabnes mischt
sich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem,
wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien.

Meine Stimmung ist durch alles das günstig ge-
reizt, wohl und kräftig. Meine männliche Seele
(denn ich habe, außer der Deinigen, die mir gehört,
auch noch eine eigne weibliche) ist jetzt du jour, und
dann fühle ich mich immer selbstständiger, freier und
weniger empfänglich für Aeußeres. Dies ist sehr
passend für den hiesigen Aufenthalt, denn die Eng-
länder sind wie ihre Flintkiesel, kalt, eckig, und mit
schneidenden Kanten versehen, aber dem Stahl ge-
lingt es deshalb am leichtesten, belebende Funken aus
ihnen zu schlagen, die Helle geben durch wohlthäti-
gen Antagonismus.

In der Regel bin ich indessen zu träge, oder besser
gesagt, zu wenig durch sie erregt, um als Stahl auf
die mich umgebenden Individuen agiren zu mögen
und zu können; ihrem Stolz aber habe ich wenig-
stens immer noch größeren entgegengesetzt, und Man-
che dadurch erweicht, die andern entfernt. Eins und
das Andere war mir recht, denn der Cranolog sagt
ganz wahr über mich, daß mir ein wesentlich schaffen-
wollender Geist zugetheilt sey, und solche lieben
allerdings nur, was wahlverwandt mit ihnen wirket,
oder was unter ihnen stehend, ein brauchbares In-
strument für sie wird, um ihre eignen Melodien dar-
auf zu spielen. Den Uebrigen stehen sie entgegen
oder fern.


Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und
Scherzen entgegen, und Großes und Erhabnes miſcht
ſich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem,
wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien.

Meine Stimmung iſt durch alles das günſtig ge-
reizt, wohl und kräftig. Meine männliche Seele
(denn ich habe, außer der Deinigen, die mir gehört,
auch noch eine eigne weibliche) iſt jetzt du jour, und
dann fühle ich mich immer ſelbſtſtändiger, freier und
weniger empfänglich für Aeußeres. Dies iſt ſehr
paſſend für den hieſigen Aufenthalt, denn die Eng-
länder ſind wie ihre Flintkieſel, kalt, eckig, und mit
ſchneidenden Kanten verſehen, aber dem Stahl ge-
lingt es deshalb am leichteſten, belebende Funken aus
ihnen zu ſchlagen, die Helle geben durch wohlthäti-
gen Antagonismus.

In der Regel bin ich indeſſen zu träge, oder beſſer
geſagt, zu wenig durch ſie erregt, um als Stahl auf
die mich umgebenden Individuen agiren zu mögen
und zu können; ihrem Stolz aber habe ich wenig-
ſtens immer noch größeren entgegengeſetzt, und Man-
che dadurch erweicht, die andern entfernt. Eins und
das Andere war mir recht, denn der Cranolog ſagt
ganz wahr über mich, daß mir ein weſentlich ſchaffen-
wollender Geiſt zugetheilt ſey, und ſolche lieben
allerdings nur, was wahlverwandt mit ihnen wirket,
oder was unter ihnen ſtehend, ein brauchbares In-
ſtrument für ſie wird, um ihre eignen Melodien dar-
auf zu ſpielen. Den Uebrigen ſtehen ſie entgegen
oder fern.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="296"/>
Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und<lb/>
Scherzen entgegen, und Großes und Erhabnes mi&#x017F;cht<lb/>
&#x017F;ich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem,<lb/>
wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Meine</hi> Stimmung i&#x017F;t durch alles das gün&#x017F;tig ge-<lb/>
reizt, wohl und kräftig. Meine <hi rendition="#g">männliche</hi> Seele<lb/>
(denn ich habe, außer der Deinigen, die mir gehört,<lb/>
auch noch eine <hi rendition="#g">eigne</hi> weibliche) i&#x017F;t jetzt <hi rendition="#aq">du jour,</hi> und<lb/>
dann fühle ich mich immer &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändiger, freier und<lb/>
weniger empfänglich für Aeußeres. Dies i&#x017F;t &#x017F;ehr<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;end für den hie&#x017F;igen Aufenthalt, denn die Eng-<lb/>
länder &#x017F;ind wie ihre Flintkie&#x017F;el, kalt, eckig, und mit<lb/>
&#x017F;chneidenden Kanten ver&#x017F;ehen, aber dem Stahl ge-<lb/>
lingt es deshalb am leichte&#x017F;ten, belebende Funken aus<lb/>
ihnen zu &#x017F;chlagen, die Helle geben durch wohlthäti-<lb/>
gen Antagonismus.</p><lb/>
          <p>In der Regel bin ich inde&#x017F;&#x017F;en zu träge, oder be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
ge&#x017F;agt, zu wenig durch &#x017F;ie erregt, um als Stahl auf<lb/>
die mich umgebenden Individuen agiren zu mögen<lb/>
und zu können; ihrem Stolz aber habe ich wenig-<lb/>
&#x017F;tens immer noch größeren entgegenge&#x017F;etzt, und Man-<lb/>
che dadurch erweicht, die andern entfernt. Eins und<lb/>
das Andere war mir recht, denn der Cranolog &#x017F;agt<lb/>
ganz wahr über mich, daß mir ein we&#x017F;entlich &#x017F;chaffen-<lb/>
wollender Gei&#x017F;t zugetheilt &#x017F;ey, und &#x017F;olche <hi rendition="#g">lieben</hi><lb/>
allerdings nur, was wahlverwandt mit ihnen wirket,<lb/>
oder was unter ihnen &#x017F;tehend, ein brauchbares In-<lb/>
&#x017F;trument für &#x017F;ie wird, um ihre eignen Melodien dar-<lb/>
auf zu &#x017F;pielen. Den Uebrigen &#x017F;tehen &#x017F;ie entgegen<lb/>
oder fern.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0314] Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und Scherzen entgegen, und Großes und Erhabnes miſcht ſich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem, wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien. Meine Stimmung iſt durch alles das günſtig ge- reizt, wohl und kräftig. Meine männliche Seele (denn ich habe, außer der Deinigen, die mir gehört, auch noch eine eigne weibliche) iſt jetzt du jour, und dann fühle ich mich immer ſelbſtſtändiger, freier und weniger empfänglich für Aeußeres. Dies iſt ſehr paſſend für den hieſigen Aufenthalt, denn die Eng- länder ſind wie ihre Flintkieſel, kalt, eckig, und mit ſchneidenden Kanten verſehen, aber dem Stahl ge- lingt es deshalb am leichteſten, belebende Funken aus ihnen zu ſchlagen, die Helle geben durch wohlthäti- gen Antagonismus. In der Regel bin ich indeſſen zu träge, oder beſſer geſagt, zu wenig durch ſie erregt, um als Stahl auf die mich umgebenden Individuen agiren zu mögen und zu können; ihrem Stolz aber habe ich wenig- ſtens immer noch größeren entgegengeſetzt, und Man- che dadurch erweicht, die andern entfernt. Eins und das Andere war mir recht, denn der Cranolog ſagt ganz wahr über mich, daß mir ein weſentlich ſchaffen- wollender Geiſt zugetheilt ſey, und ſolche lieben allerdings nur, was wahlverwandt mit ihnen wirket, oder was unter ihnen ſtehend, ein brauchbares In- ſtrument für ſie wird, um ihre eignen Melodien dar- auf zu ſpielen. Den Uebrigen ſtehen ſie entgegen oder fern.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/314
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/314>, abgerufen am 24.11.2024.