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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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wo man den Dichter mildern, wo ihn steigern
soll. Young versteht dies vollkommen, und weiß das
jugendlich stürmische Aufbrausen sehr wohl mit der
Würde des Helden, und dem Anstande eines Fürsten
zu vereinen. Er ließ jenes Feuer nur wie Blitze über
eine Gewitterwolke zucken, aber nicht in ein Hagel-
wetter ausarten. Auch das Zusammenspiel finde ich
besser als auf den deutschen Bühnen, und in den
scenischen Anordnungen viel gesunde Beurtheilung.
Um nur ein Beispiel zu geben, so erinnere Dich (da
Du einmal mit mir zusammen dies Stück in Berlin
gesehn, und Vergleiche die Sache anschaulicher ma-
chen) der Scene, wo der König die Gesandten Per-
cys empfängt. Du fandest sie damals so unanstän-
dig, weil sich Falstaff dabei vor und an den König
drängte, um ihm jeden Augenblick mit seinen Späßen
grob in die Rede zu fallen. Es kömmt dies aber
nur daher, weil unsre Schauspieler mehr an ihre Per-
sönlichkeit als an ihre Rolle denken. Herr D ... fühlt
sich dem Herrn M .... gegenüber selbst every inch
a King,
und vergißt, wen er und wen der Andere
in dem Augenblick vorstellt. Hier wird Shakespeare
besser verstanden, und die Scene demgemäß darge-
stellt. Der König steht mit den Gesandten im Vor-
dergrunde, der Hof im Gemache vertheilt, und in
der Mitte des Theaters seitwärts der Prinz und Fal-
staff, welcher letztere als ein halbprivilegirter Lustig-
macher zwar seine Spässe macht, aber sie nur mit
halblauter Stimme mehr an den Prinzen als an den
König richtet, und zurechtgewiesen, sogleich respect-

wo man den Dichter mildern, wo ihn ſteigern
ſoll. Young verſteht dies vollkommen, und weiß das
jugendlich ſtürmiſche Aufbrauſen ſehr wohl mit der
Würde des Helden, und dem Anſtande eines Fürſten
zu vereinen. Er ließ jenes Feuer nur wie Blitze über
eine Gewitterwolke zucken, aber nicht in ein Hagel-
wetter ausarten. Auch das Zuſammenſpiel finde ich
beſſer als auf den deutſchen Bühnen, und in den
ſceniſchen Anordnungen viel geſunde Beurtheilung.
Um nur ein Beiſpiel zu geben, ſo erinnere Dich (da
Du einmal mit mir zuſammen dies Stück in Berlin
geſehn, und Vergleiche die Sache anſchaulicher ma-
chen) der Scene, wo der König die Geſandten Per-
cys empfängt. Du fandeſt ſie damals ſo unanſtän-
dig, weil ſich Falſtaff dabei vor und an den König
drängte, um ihm jeden Augenblick mit ſeinen Späßen
grob in die Rede zu fallen. Es kömmt dies aber
nur daher, weil unſre Schauſpieler mehr an ihre Per-
ſönlichkeit als an ihre Rolle denken. Herr D … fühlt
ſich dem Herrn M .... gegenüber ſelbſt every inch
a King,
und vergißt, wen er und wen der Andere
in dem Augenblick vorſtellt. Hier wird Shakespeare
beſſer verſtanden, und die Scene demgemäß darge-
ſtellt. Der König ſteht mit den Geſandten im Vor-
dergrunde, der Hof im Gemache vertheilt, und in
der Mitte des Theaters ſeitwärts der Prinz und Fal-
ſtaff, welcher letztere als ein halbprivilegirter Luſtig-
macher zwar ſeine Späſſe macht, aber ſie nur mit
halblauter Stimme mehr an den Prinzen als an den
König richtet, und zurechtgewieſen, ſogleich reſpect-

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[250/0266] wo man den Dichter mildern, wo ihn ſteigern ſoll. Young verſteht dies vollkommen, und weiß das jugendlich ſtürmiſche Aufbrauſen ſehr wohl mit der Würde des Helden, und dem Anſtande eines Fürſten zu vereinen. Er ließ jenes Feuer nur wie Blitze über eine Gewitterwolke zucken, aber nicht in ein Hagel- wetter ausarten. Auch das Zuſammenſpiel finde ich beſſer als auf den deutſchen Bühnen, und in den ſceniſchen Anordnungen viel geſunde Beurtheilung. Um nur ein Beiſpiel zu geben, ſo erinnere Dich (da Du einmal mit mir zuſammen dies Stück in Berlin geſehn, und Vergleiche die Sache anſchaulicher ma- chen) der Scene, wo der König die Geſandten Per- cys empfängt. Du fandeſt ſie damals ſo unanſtän- dig, weil ſich Falſtaff dabei vor und an den König drängte, um ihm jeden Augenblick mit ſeinen Späßen grob in die Rede zu fallen. Es kömmt dies aber nur daher, weil unſre Schauſpieler mehr an ihre Per- ſönlichkeit als an ihre Rolle denken. Herr D … fühlt ſich dem Herrn M .... gegenüber ſelbſt every inch a King, und vergißt, wen er und wen der Andere in dem Augenblick vorſtellt. Hier wird Shakespeare beſſer verſtanden, und die Scene demgemäß darge- ſtellt. Der König ſteht mit den Geſandten im Vor- dergrunde, der Hof im Gemache vertheilt, und in der Mitte des Theaters ſeitwärts der Prinz und Fal- ſtaff, welcher letztere als ein halbprivilegirter Luſtig- macher zwar ſeine Späſſe macht, aber ſie nur mit halblauter Stimme mehr an den Prinzen als an den König richtet, und zurechtgewieſen, ſogleich reſpect-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/266>, abgerufen am 24.11.2024.