Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

vollends. Die Dame hat nämlich, wie Du Dich noch
aus älteren Zeiten erinnern wirst, eine etwas rothe
Nase, und Uebelwollende suchen die Ursache davon
in der Sitte, welche der General Pillet den Englän-
derinnen vorwirft. P. wußte dies wahrscheinlich nicht,
und bemerkte, als er am Tisch neben ihr saß, daß
sie ihren Wein aus einer andern Flasche mit einer
dunkeln Flüssigkeit mischte, die wie Liqueur aussah.
In seiner Unschuld -- oder Bosheit, frug er scher-
zend, ob sie schon so ganz Engländerin geworden sey,
ihren Wein mit Cognac zu mischen. An dem nun-
mehrigen Rothwerden ihres ganzen Gesichts, wie
an der Verlegenheit der Nahesitzenden entdeckte er
erst seine Bevue, denn das unschuldige Tischgetränk
war wirklich nur Brodwasser. Mir fiel dabei die ko-
mische Vorschrift ein, die ein Lehrbuch für gute Le-
bensart in unsrer nationell pedantischen Manier giebt:
"Wenn du in eine Gesellschaft gehst," heißt es dort,
"so erkundige dich vorher immer genau nach den Per-
"sonen, die du dort anzutreffen vermuthen kannst,
"nach ihren Verwandtschaften, Schwächen, Fehlern
"und ausgezeichneten Eigenschaften, damit du auf
"der einen Seite nicht unbewußt etwas sagst, das
"eine wunde Stelle trifft, auf der andern aber mit
"Unbefangenheit angenehm und passend schmeicheln
"kannst."

Eine zwar lächerlich vorgetragene, und etwas schwer
auszuführende, aber nicht üble Regel!

vollends. Die Dame hat nämlich, wie Du Dich noch
aus älteren Zeiten erinnern wirſt, eine etwas rothe
Naſe, und Uebelwollende ſuchen die Urſache davon
in der Sitte, welche der General Pillet den Englän-
derinnen vorwirft. P. wußte dies wahrſcheinlich nicht,
und bemerkte, als er am Tiſch neben ihr ſaß, daß
ſie ihren Wein aus einer andern Flaſche mit einer
dunkeln Flüſſigkeit miſchte, die wie Liqueur ausſah.
In ſeiner Unſchuld — oder Bosheit, frug er ſcher-
zend, ob ſie ſchon ſo ganz Engländerin geworden ſey,
ihren Wein mit Cognac zu miſchen. An dem nun-
mehrigen Rothwerden ihres ganzen Geſichts, wie
an der Verlegenheit der Naheſitzenden entdeckte er
erſt ſeine Bevue, denn das unſchuldige Tiſchgetränk
war wirklich nur Brodwaſſer. Mir fiel dabei die ko-
miſche Vorſchrift ein, die ein Lehrbuch für gute Le-
bensart in unſrer nationell pedantiſchen Manier giebt:
„Wenn du in eine Geſellſchaft gehſt,“ heißt es dort,
„ſo erkundige dich vorher immer genau nach den Per-
„ſonen, die du dort anzutreffen vermuthen kannſt,
„nach ihren Verwandtſchaften, Schwächen, Fehlern
„und ausgezeichneten Eigenſchaften, damit du auf
„der einen Seite nicht unbewußt etwas ſagſt, das
„eine wunde Stelle trifft, auf der andern aber mit
„Unbefangenheit angenehm und paſſend ſchmeicheln
„kannſt.“

Eine zwar lächerlich vorgetragene, und etwas ſchwer
auszuführende, aber nicht üble Regel!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0262" n="246"/>
vollends. Die Dame hat nämlich, wie Du Dich noch<lb/>
aus älteren Zeiten erinnern wir&#x017F;t, eine etwas rothe<lb/>
Na&#x017F;e, und Uebelwollende &#x017F;uchen die Ur&#x017F;ache davon<lb/>
in der Sitte, welche der General Pillet den Englän-<lb/>
derinnen vorwirft. P. wußte dies wahr&#x017F;cheinlich nicht,<lb/>
und bemerkte, als er am Ti&#x017F;ch neben ihr &#x017F;aß, daß<lb/>
&#x017F;ie ihren Wein aus einer andern Fla&#x017F;che mit einer<lb/>
dunkeln Flü&#x017F;&#x017F;igkeit mi&#x017F;chte, die wie Liqueur aus&#x017F;ah.<lb/>
In &#x017F;einer Un&#x017F;chuld &#x2014; oder Bosheit, frug er &#x017F;cher-<lb/>
zend, ob &#x017F;ie &#x017F;chon &#x017F;o ganz Engländerin geworden &#x017F;ey,<lb/>
ihren Wein mit Cognac zu mi&#x017F;chen. An dem nun-<lb/>
mehrigen Rothwerden ihres <hi rendition="#g">ganzen</hi> Ge&#x017F;ichts, wie<lb/>
an der Verlegenheit der Nahe&#x017F;itzenden entdeckte er<lb/>
er&#x017F;t &#x017F;eine Bevue, denn das un&#x017F;chuldige Ti&#x017F;chgetränk<lb/>
war wirklich nur Brodwa&#x017F;&#x017F;er. Mir fiel dabei die ko-<lb/>
mi&#x017F;che Vor&#x017F;chrift ein, die ein Lehrbuch für gute Le-<lb/>
bensart in un&#x017F;rer nationell pedanti&#x017F;chen Manier giebt:<lb/>
&#x201E;Wenn du in eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft geh&#x017F;t,&#x201C; heißt es dort,<lb/>
&#x201E;&#x017F;o erkundige dich vorher immer genau nach den Per-<lb/>
&#x201E;&#x017F;onen, die du dort anzutreffen vermuthen kann&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;nach ihren Verwandt&#x017F;chaften, Schwächen, Fehlern<lb/>
&#x201E;und ausgezeichneten Eigen&#x017F;chaften, damit du auf<lb/>
&#x201E;der einen Seite nicht unbewußt etwas &#x017F;ag&#x017F;t, das<lb/>
&#x201E;eine wunde Stelle trifft, auf der andern aber mit<lb/>
&#x201E;Unbefangenheit angenehm und pa&#x017F;&#x017F;end &#x017F;chmeicheln<lb/>
&#x201E;kann&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Eine zwar lächerlich vorgetragene, und etwas &#x017F;chwer<lb/>
auszuführende, aber nicht üble Regel!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0262] vollends. Die Dame hat nämlich, wie Du Dich noch aus älteren Zeiten erinnern wirſt, eine etwas rothe Naſe, und Uebelwollende ſuchen die Urſache davon in der Sitte, welche der General Pillet den Englän- derinnen vorwirft. P. wußte dies wahrſcheinlich nicht, und bemerkte, als er am Tiſch neben ihr ſaß, daß ſie ihren Wein aus einer andern Flaſche mit einer dunkeln Flüſſigkeit miſchte, die wie Liqueur ausſah. In ſeiner Unſchuld — oder Bosheit, frug er ſcher- zend, ob ſie ſchon ſo ganz Engländerin geworden ſey, ihren Wein mit Cognac zu miſchen. An dem nun- mehrigen Rothwerden ihres ganzen Geſichts, wie an der Verlegenheit der Naheſitzenden entdeckte er erſt ſeine Bevue, denn das unſchuldige Tiſchgetränk war wirklich nur Brodwaſſer. Mir fiel dabei die ko- miſche Vorſchrift ein, die ein Lehrbuch für gute Le- bensart in unſrer nationell pedantiſchen Manier giebt: „Wenn du in eine Geſellſchaft gehſt,“ heißt es dort, „ſo erkundige dich vorher immer genau nach den Per- „ſonen, die du dort anzutreffen vermuthen kannſt, „nach ihren Verwandtſchaften, Schwächen, Fehlern „und ausgezeichneten Eigenſchaften, damit du auf „der einen Seite nicht unbewußt etwas ſagſt, das „eine wunde Stelle trifft, auf der andern aber mit „Unbefangenheit angenehm und paſſend ſchmeicheln „kannſt.“ Eine zwar lächerlich vorgetragene, und etwas ſchwer auszuführende, aber nicht üble Regel!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/262
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/262>, abgerufen am 24.11.2024.