testen, und in jedem öffentlichen Zimmer sind bestän- dig mehrere Fenster offen, so daß man es vor Zug kaum aushalten kann. Auch wenn sie zugemacht sind, pfeift der Wind doch hindurch, denn selten sind sie dicht und nie doppelt. Das Clima selbst ist aber auch, so gut es die Vegetation unterstützt, für Men- schen abscheulich. Heute ritt ich bei dem schönsten Wetter und klarsten Himmel, auf einem Miethgaul, um 9 Uhr früh aus, und war noch keine Stunde fort, als mich schon der schrecklichste Platzregen über- fiel, und durch und durch badete. Endlich erreichte ich ein Dorf, wo ich, in der Verzweiflung, nirgends einen Thorweg zum Unterreiten zu finden, vom Pferde absprang, und in eine Stube zu ebner Erde eindrang, deren Thür offen stand, und wo zwei ur- alte Weiber etwas am Kamine brauten. In Eng- land wird alles Häusliche so heilig gehalten, daß ein Mensch, der in eine fremde Stube tritt, ohne sorg- fältig vorher sich annoncirt und um Erlaubniß ge- beten zu haben, stets Schrecken und Unwillen erregt. Auch ich wurde daher, ohngeachtet die Ursache meines Eindringens deutlich genug von meinem Hut und Kleidernrann, nicht zum besten von den alten Da- men empfangen, deren Rang höchstens dem einer Schusters- oder Tischlers-Frau gleich seyn mochte; nichts aber malt das Entsetzen und den ohnmächti- gen Zorn meiner Wirthinnen malgre elles, als, kaum daß ich beim Feuer angelangt war, der Miethgaul, dessen Klugheit Nestor Ehre gemacht haben würde, sich ebenfalls durch die Thüre drängte, und ehe man
teſten, und in jedem öffentlichen Zimmer ſind beſtän- dig mehrere Fenſter offen, ſo daß man es vor Zug kaum aushalten kann. Auch wenn ſie zugemacht ſind, pfeift der Wind doch hindurch, denn ſelten ſind ſie dicht und nie doppelt. Das Clima ſelbſt iſt aber auch, ſo gut es die Vegetation unterſtützt, für Men- ſchen abſcheulich. Heute ritt ich bei dem ſchönſten Wetter und klarſten Himmel, auf einem Miethgaul, um 9 Uhr früh aus, und war noch keine Stunde fort, als mich ſchon der ſchrecklichſte Platzregen über- fiel, und durch und durch badete. Endlich erreichte ich ein Dorf, wo ich, in der Verzweiflung, nirgends einen Thorweg zum Unterreiten zu finden, vom Pferde abſprang, und in eine Stube zu ebner Erde eindrang, deren Thür offen ſtand, und wo zwei ur- alte Weiber etwas am Kamine brauten. In Eng- land wird alles Häusliche ſo heilig gehalten, daß ein Menſch, der in eine fremde Stube tritt, ohne ſorg- fältig vorher ſich annoncirt und um Erlaubniß ge- beten zu haben, ſtets Schrecken und Unwillen erregt. Auch ich wurde daher, ohngeachtet die Urſache meines Eindringens deutlich genug von meinem Hut und Kleidernrann, nicht zum beſten von den alten Da- men empfangen, deren Rang höchſtens dem einer Schuſters- oder Tiſchlers-Frau gleich ſeyn mochte; nichts aber malt das Entſetzen und den ohnmächti- gen Zorn meiner Wirthinnen malgré elles, als, kaum daß ich beim Feuer angelangt war, der Miethgaul, deſſen Klugheit Neſtor Ehre gemacht haben würde, ſich ebenfalls durch die Thüre drängte, und ehe man
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0210"n="194"/>
teſten, und in jedem öffentlichen Zimmer ſind beſtän-<lb/>
dig mehrere Fenſter offen, ſo daß man <hirendition="#g">es</hi> vor Zug<lb/>
kaum aushalten kann. Auch wenn ſie zugemacht<lb/>ſind, pfeift der Wind doch hindurch, denn ſelten ſind<lb/>ſie dicht und nie doppelt. Das Clima ſelbſt iſt aber<lb/>
auch, ſo gut es die Vegetation unterſtützt, für Men-<lb/>ſchen abſcheulich. Heute ritt ich bei dem ſchönſten<lb/>
Wetter und klarſten Himmel, auf einem Miethgaul,<lb/>
um 9 Uhr früh aus, und war noch keine Stunde<lb/>
fort, als mich ſchon der ſchrecklichſte Platzregen über-<lb/>
fiel, und durch und durch badete. Endlich erreichte<lb/>
ich ein Dorf, wo ich, in der Verzweiflung, nirgends<lb/>
einen Thorweg zum Unterreiten zu finden, vom<lb/>
Pferde abſprang, und in eine Stube zu ebner Erde<lb/>
eindrang, deren Thür offen ſtand, und wo zwei ur-<lb/>
alte Weiber etwas am Kamine brauten. In Eng-<lb/>
land wird alles Häusliche ſo heilig gehalten, daß ein<lb/>
Menſch, der in eine fremde Stube tritt, ohne ſorg-<lb/>
fältig vorher ſich annoncirt und um Erlaubniß ge-<lb/>
beten zu haben, ſtets Schrecken und Unwillen erregt.<lb/>
Auch ich wurde daher, ohngeachtet die Urſache meines<lb/>
Eindringens deutlich genug von meinem Hut und<lb/>
Kleidernrann, nicht zum beſten von den alten Da-<lb/>
men empfangen, deren Rang höchſtens dem einer<lb/>
Schuſters- oder Tiſchlers-Frau gleich ſeyn mochte;<lb/>
nichts aber malt das Entſetzen und den ohnmächti-<lb/>
gen Zorn meiner Wirthinnen <hirendition="#aq">malgré elles,</hi> als, kaum<lb/>
daß ich beim Feuer angelangt war, der Miethgaul,<lb/>
deſſen Klugheit Neſtor Ehre gemacht haben würde,<lb/>ſich ebenfalls durch die Thüre drängte, und ehe man<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[194/0210]
teſten, und in jedem öffentlichen Zimmer ſind beſtän-
dig mehrere Fenſter offen, ſo daß man es vor Zug
kaum aushalten kann. Auch wenn ſie zugemacht
ſind, pfeift der Wind doch hindurch, denn ſelten ſind
ſie dicht und nie doppelt. Das Clima ſelbſt iſt aber
auch, ſo gut es die Vegetation unterſtützt, für Men-
ſchen abſcheulich. Heute ritt ich bei dem ſchönſten
Wetter und klarſten Himmel, auf einem Miethgaul,
um 9 Uhr früh aus, und war noch keine Stunde
fort, als mich ſchon der ſchrecklichſte Platzregen über-
fiel, und durch und durch badete. Endlich erreichte
ich ein Dorf, wo ich, in der Verzweiflung, nirgends
einen Thorweg zum Unterreiten zu finden, vom
Pferde abſprang, und in eine Stube zu ebner Erde
eindrang, deren Thür offen ſtand, und wo zwei ur-
alte Weiber etwas am Kamine brauten. In Eng-
land wird alles Häusliche ſo heilig gehalten, daß ein
Menſch, der in eine fremde Stube tritt, ohne ſorg-
fältig vorher ſich annoncirt und um Erlaubniß ge-
beten zu haben, ſtets Schrecken und Unwillen erregt.
Auch ich wurde daher, ohngeachtet die Urſache meines
Eindringens deutlich genug von meinem Hut und
Kleidernrann, nicht zum beſten von den alten Da-
men empfangen, deren Rang höchſtens dem einer
Schuſters- oder Tiſchlers-Frau gleich ſeyn mochte;
nichts aber malt das Entſetzen und den ohnmächti-
gen Zorn meiner Wirthinnen malgré elles, als, kaum
daß ich beim Feuer angelangt war, der Miethgaul,
deſſen Klugheit Neſtor Ehre gemacht haben würde,
ſich ebenfalls durch die Thüre drängte, und ehe man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/210>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.