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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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sie zeigen, könnte einen Menschen von lebhafter Ein-
bildungskraft verrückt machen. Es kann gar nichts
Schauerlicheres geben, keine furchtbareren Teufels-
frazzen je erfunden worden seyn, als jene gräßlich
scheußlichen Wasserinsekten, die wir täglich (mit blo-
ßen Augen und selbst geringern Vergrößerungsglä-
sern unbemerkbar) hinunterschlucken -- wie sie gleich
Verdammten in dem sumpfig erscheinenden Kloak mit
der Schnelle des Blitzes umherschießen, und deren
wahrscheinliche Begattung wie Kampf und Schmerz
auf Tod und Leben aussieht.

Da ich einmal im Sehen begriffen war, und
den entsetzlichen Eindruck dieser Unterwelt durch lieb-
lichere Bilder tilgen wollte, so wurden noch drei ver-
schiedene Panorama mit Muße genossen: Rio Ja-
neiro, Madrid, Genf.

Das erste ist eine, aus unsern Naturformen
ganz heraustretende, originelle und zugleich paradie-
sisch üppige Natur. Das zweite sieht in der baum-
losen, sandigen Ebene wie Stillstand und Inqui-
sition aus. Glühende Hitze brütet über dem Gan-
zen, wie ein Auto da fe. Das dritte dagegen erschien
mir wie ein lieber alter Bekannter, und Herz erho-
ben blickte ich lange auf den unerschütterlichen, sich
allein stets gleichbleibenden vaterländischen Freund hin,
den majestätischen Montblanc.


ſie zeigen, könnte einen Menſchen von lebhafter Ein-
bildungskraft verrückt machen. Es kann gar nichts
Schauerlicheres geben, keine furchtbareren Teufels-
frazzen je erfunden worden ſeyn, als jene gräßlich
ſcheußlichen Waſſerinſekten, die wir täglich (mit blo-
ßen Augen und ſelbſt geringern Vergrößerungsglä-
ſern unbemerkbar) hinunterſchlucken — wie ſie gleich
Verdammten in dem ſumpfig erſcheinenden Kloak mit
der Schnelle des Blitzes umherſchießen, und deren
wahrſcheinliche Begattung wie Kampf und Schmerz
auf Tod und Leben ausſieht.

Da ich einmal im Sehen begriffen war, und
den entſetzlichen Eindruck dieſer Unterwelt durch lieb-
lichere Bilder tilgen wollte, ſo wurden noch drei ver-
ſchiedene Panorama mit Muße genoſſen: Rio Ja-
neiro, Madrid, Genf.

Das erſte iſt eine, aus unſern Naturformen
ganz heraustretende, originelle und zugleich paradie-
ſiſch üppige Natur. Das zweite ſieht in der baum-
loſen, ſandigen Ebene wie Stillſtand und Inqui-
ſition aus. Glühende Hitze brütet über dem Gan-
zen, wie ein Auto da fe. Das dritte dagegen erſchien
mir wie ein lieber alter Bekannter, und Herz erho-
ben blickte ich lange auf den unerſchütterlichen, ſich
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[126/0142] ſie zeigen, könnte einen Menſchen von lebhafter Ein- bildungskraft verrückt machen. Es kann gar nichts Schauerlicheres geben, keine furchtbareren Teufels- frazzen je erfunden worden ſeyn, als jene gräßlich ſcheußlichen Waſſerinſekten, die wir täglich (mit blo- ßen Augen und ſelbſt geringern Vergrößerungsglä- ſern unbemerkbar) hinunterſchlucken — wie ſie gleich Verdammten in dem ſumpfig erſcheinenden Kloak mit der Schnelle des Blitzes umherſchießen, und deren wahrſcheinliche Begattung wie Kampf und Schmerz auf Tod und Leben ausſieht. Da ich einmal im Sehen begriffen war, und den entſetzlichen Eindruck dieſer Unterwelt durch lieb- lichere Bilder tilgen wollte, ſo wurden noch drei ver- ſchiedene Panorama mit Muße genoſſen: Rio Ja- neiro, Madrid, Genf. Das erſte iſt eine, aus unſern Naturformen ganz heraustretende, originelle und zugleich paradie- ſiſch üppige Natur. Das zweite ſieht in der baum- loſen, ſandigen Ebene wie Stillſtand und Inqui- ſition aus. Glühende Hitze brütet über dem Gan- zen, wie ein Auto da fe. Das dritte dagegen erſchien mir wie ein lieber alter Bekannter, und Herz erho- ben blickte ich lange auf den unerſchütterlichen, ſich allein ſtets gleichbleibenden vaterländiſchen Freund hin, den majeſtätiſchen Montblanc.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/142>, abgerufen am 24.11.2024.