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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Ich schilderte Dir einmal einen gewissen Sir L. M.
als ein besonderes Original.

Bei diesem war ich heute zu einem luxurieusen
Mahle eingeladen, welches seit so lange vorbereitet
wurde, daß sogar einer der diplomatischen Gäste, vor
vier Wochen schon, durch einen Courier von Baden
über das Meer herüber dazu citirt worden war, auch
pünktlich am selben Morgen eintraf, und ausländischen
mit inländischen Appetit vereinigt, mitgebracht zu haben
schien. Er hatte nicht vergessen, sich mit verschiedenen
continentalen Delicatessen zu befrachten, denen man,
nebst einer Anzahl der ausgesuchtesten Weine, die
größte Gerechtigkeit wiederfahren ließ. Es gehört ein
starker Kopf dazu, um solchen Gelagen hier zu wider-
stehen, aber die Luft macht wirklich viel Essen und
starke Getränke nöthiger als bei uns, und wer im
Anfang kaum einigen englischen (d. h. mit Brannt-
wein versetzten) Claret trinkt, findet später eine ganze
Flasche Portwein recht verträglich mit seiner Gesund-
heit und den englischen Nebeln.

Wenn aber auch dem sinnlichen Genuß hier haupt-
sächlich geopfert ward, so blieb die Unterhaltung doch
auch nicht ohne Salz. Ein Officier unter andern,
der den Krieg gegen die Birmanen mitgemacht, er-
zählte uns sehr interessante Details aus jenen Ge-
genden, z. B. daß die dortigen Kinder, nach unsrer
Theorie Kälber fett zu machen, oft drei Jahre lang
gesäugt werden. Da nun auch das Tabakrauchen in
frühester Jugend anfängt, so sah der Capitän öfters

Ich ſchilderte Dir einmal einen gewiſſen Sir L. M.
als ein beſonderes Original.

Bei dieſem war ich heute zu einem luxurieuſen
Mahle eingeladen, welches ſeit ſo lange vorbereitet
wurde, daß ſogar einer der diplomatiſchen Gäſte, vor
vier Wochen ſchon, durch einen Courier von Baden
über das Meer herüber dazu citirt worden war, auch
pünktlich am ſelben Morgen eintraf, und ausländiſchen
mit inländiſchen Appetit vereinigt, mitgebracht zu haben
ſchien. Er hatte nicht vergeſſen, ſich mit verſchiedenen
continentalen Delicateſſen zu befrachten, denen man,
nebſt einer Anzahl der ausgeſuchteſten Weine, die
größte Gerechtigkeit wiederfahren ließ. Es gehört ein
ſtarker Kopf dazu, um ſolchen Gelagen hier zu wider-
ſtehen, aber die Luft macht wirklich viel Eſſen und
ſtarke Getränke nöthiger als bei uns, und wer im
Anfang kaum einigen engliſchen (d. h. mit Brannt-
wein verſetzten) Claret trinkt, findet ſpäter eine ganze
Flaſche Portwein recht verträglich mit ſeiner Geſund-
heit und den engliſchen Nebeln.

Wenn aber auch dem ſinnlichen Genuß hier haupt-
ſächlich geopfert ward, ſo blieb die Unterhaltung doch
auch nicht ohne Salz. Ein Officier unter andern,
der den Krieg gegen die Birmanen mitgemacht, er-
zählte uns ſehr intereſſante Details aus jenen Ge-
genden, z. B. daß die dortigen Kinder, nach unſrer
Theorie Kälber fett zu machen, oft drei Jahre lang
geſäugt werden. Da nun auch das Tabakrauchen in
früheſter Jugend anfängt, ſo ſah der Capitän öfters

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[122/0138] Ich ſchilderte Dir einmal einen gewiſſen Sir L. M. als ein beſonderes Original. Bei dieſem war ich heute zu einem luxurieuſen Mahle eingeladen, welches ſeit ſo lange vorbereitet wurde, daß ſogar einer der diplomatiſchen Gäſte, vor vier Wochen ſchon, durch einen Courier von Baden über das Meer herüber dazu citirt worden war, auch pünktlich am ſelben Morgen eintraf, und ausländiſchen mit inländiſchen Appetit vereinigt, mitgebracht zu haben ſchien. Er hatte nicht vergeſſen, ſich mit verſchiedenen continentalen Delicateſſen zu befrachten, denen man, nebſt einer Anzahl der ausgeſuchteſten Weine, die größte Gerechtigkeit wiederfahren ließ. Es gehört ein ſtarker Kopf dazu, um ſolchen Gelagen hier zu wider- ſtehen, aber die Luft macht wirklich viel Eſſen und ſtarke Getränke nöthiger als bei uns, und wer im Anfang kaum einigen engliſchen (d. h. mit Brannt- wein verſetzten) Claret trinkt, findet ſpäter eine ganze Flaſche Portwein recht verträglich mit ſeiner Geſund- heit und den engliſchen Nebeln. Wenn aber auch dem ſinnlichen Genuß hier haupt- ſächlich geopfert ward, ſo blieb die Unterhaltung doch auch nicht ohne Salz. Ein Officier unter andern, der den Krieg gegen die Birmanen mitgemacht, er- zählte uns ſehr intereſſante Details aus jenen Ge- genden, z. B. daß die dortigen Kinder, nach unſrer Theorie Kälber fett zu machen, oft drei Jahre lang geſäugt werden. Da nun auch das Tabakrauchen in früheſter Jugend anfängt, ſo ſah der Capitän öfters

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/138>, abgerufen am 28.04.2024.