Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntnisse bewundert, welche die russischen Prinzes-
sinnen auszeichnen. Bei der verstorbenen Königin
von Würtemberg konnte man es Gelehrsamkeit nen-
nen. Ich hatte dieser Fürstin einst in Frankfurt
einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich
ihn übergeben, auf ihren Befehl im Cirkel stehen,
bis die Uebrigen entlassen seyn würden. Ein Pro-
fessor der Pestalozzischen Schule war der erste, welcher
an die Reihe kam, und selbst weniger von seinem
Systeme zu wissen schien als die Königin (damals
noch Großfürstin Katharine), da sie seine weitschwei-
figen Antworten mehreremal mit der größten Klar-
heit rektifizirte. Ein Diplomat folgte, und erhielt
eben so in seiner Sphäre, so weit die allgemeine
Unterhaltung es gestattete, die feinsten und gewandte-
sten Antworten. Hierauf begann sie ein gründliches
Gespräch mit einem berühmten Oekonomen aus A....
und zuletzt schlossen tiefsinnige und glänzende Refle-
xionen in einer lebhaften Controverse mit einem be-
kannten Philosophen die merkwürdige Audienz.

Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in
die Pflanzenhäuser, welche, nach Schönbrunn, wohl
die reichhaltigsten in Deutschland sind. Du weist,
liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig
Werth lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur
an dem Schönen ergötze. Daher gingen viele
Schätze an mir verloren, und ich konnte das Ent-
zücken nicht theilen, in welches mehrere Kenner aus-
brachen, als sie eine Staude erblickten, die zwar nur
sechs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blät-

2*

Kenntniſſe bewundert, welche die ruſſiſchen Prinzeſ-
ſinnen auszeichnen. Bei der verſtorbenen Königin
von Würtemberg konnte man es Gelehrſamkeit nen-
nen. Ich hatte dieſer Fürſtin einſt in Frankfurt
einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich
ihn übergeben, auf ihren Befehl im Cirkel ſtehen,
bis die Uebrigen entlaſſen ſeyn würden. Ein Pro-
feſſor der Peſtalozziſchen Schule war der erſte, welcher
an die Reihe kam, und ſelbſt weniger von ſeinem
Syſteme zu wiſſen ſchien als die Königin (damals
noch Großfürſtin Katharine), da ſie ſeine weitſchwei-
figen Antworten mehreremal mit der größten Klar-
heit rektifizirte. Ein Diplomat folgte, und erhielt
eben ſo in ſeiner Sphäre, ſo weit die allgemeine
Unterhaltung es geſtattete, die feinſten und gewandte-
ſten Antworten. Hierauf begann ſie ein gründliches
Geſpräch mit einem berühmten Oekonomen aus A....
und zuletzt ſchloſſen tiefſinnige und glänzende Refle-
xionen in einer lebhaften Controverſe mit einem be-
kannten Philoſophen die merkwürdige Audienz.

Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in
die Pflanzenhäuſer, welche, nach Schönbrunn, wohl
die reichhaltigſten in Deutſchland ſind. Du weiſt,
liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig
Werth lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur
an dem Schönen ergötze. Daher gingen viele
Schätze an mir verloren, und ich konnte das Ent-
zücken nicht theilen, in welches mehrere Kenner aus-
brachen, als ſie eine Staude erblickten, die zwar nur
ſechs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blät-

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="19"/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;e bewundert, welche die ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Prinze&#x017F;-<lb/>
&#x017F;innen auszeichnen. Bei der ver&#x017F;torbenen Königin<lb/>
von Würtemberg konnte man es Gelehr&#x017F;amkeit nen-<lb/>
nen. Ich hatte die&#x017F;er Für&#x017F;tin ein&#x017F;t in Frankfurt<lb/>
einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich<lb/>
ihn übergeben, auf ihren Befehl im Cirkel &#x017F;tehen,<lb/>
bis die Uebrigen entla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn würden. Ein Pro-<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;or der Pe&#x017F;talozzi&#x017F;chen Schule war der er&#x017F;te, welcher<lb/>
an die Reihe kam, und &#x017F;elb&#x017F;t weniger von &#x017F;einem<lb/>
Sy&#x017F;teme zu wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chien als die Königin (damals<lb/>
noch Großfür&#x017F;tin Katharine), da &#x017F;ie &#x017F;eine weit&#x017F;chwei-<lb/>
figen Antworten mehreremal mit der größten Klar-<lb/>
heit rektifizirte. Ein Diplomat folgte, und erhielt<lb/>
eben &#x017F;o in &#x017F;einer Sphäre, &#x017F;o weit die allgemeine<lb/>
Unterhaltung es ge&#x017F;tattete, die fein&#x017F;ten und gewandte-<lb/>
&#x017F;ten Antworten. Hierauf begann &#x017F;ie ein gründliches<lb/>
Ge&#x017F;präch mit einem berühmten Oekonomen aus A....<lb/>
und zuletzt &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en tief&#x017F;innige und glänzende Refle-<lb/>
xionen in einer lebhaften Controver&#x017F;e mit einem be-<lb/>
kannten Philo&#x017F;ophen die merkwürdige Audienz.</p><lb/>
          <p>Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in<lb/>
die Pflanzenhäu&#x017F;er, welche, nach Schönbrunn, wohl<lb/>
die reichhaltig&#x017F;ten in Deut&#x017F;chland &#x017F;ind. Du wei&#x017F;t,<lb/>
liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig<lb/>
Werth lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur<lb/>
an dem <hi rendition="#g">Schönen</hi> ergötze. Daher gingen viele<lb/>
Schätze an mir verloren, und ich konnte das Ent-<lb/>
zücken nicht theilen, in welches mehrere Kenner aus-<lb/>
brachen, als &#x017F;ie eine Staude erblickten, die zwar nur<lb/>
&#x017F;echs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blät-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0059] Kenntniſſe bewundert, welche die ruſſiſchen Prinzeſ- ſinnen auszeichnen. Bei der verſtorbenen Königin von Würtemberg konnte man es Gelehrſamkeit nen- nen. Ich hatte dieſer Fürſtin einſt in Frankfurt einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich ihn übergeben, auf ihren Befehl im Cirkel ſtehen, bis die Uebrigen entlaſſen ſeyn würden. Ein Pro- feſſor der Peſtalozziſchen Schule war der erſte, welcher an die Reihe kam, und ſelbſt weniger von ſeinem Syſteme zu wiſſen ſchien als die Königin (damals noch Großfürſtin Katharine), da ſie ſeine weitſchwei- figen Antworten mehreremal mit der größten Klar- heit rektifizirte. Ein Diplomat folgte, und erhielt eben ſo in ſeiner Sphäre, ſo weit die allgemeine Unterhaltung es geſtattete, die feinſten und gewandte- ſten Antworten. Hierauf begann ſie ein gründliches Geſpräch mit einem berühmten Oekonomen aus A.... und zuletzt ſchloſſen tiefſinnige und glänzende Refle- xionen in einer lebhaften Controverſe mit einem be- kannten Philoſophen die merkwürdige Audienz. Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in die Pflanzenhäuſer, welche, nach Schönbrunn, wohl die reichhaltigſten in Deutſchland ſind. Du weiſt, liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig Werth lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur an dem Schönen ergötze. Daher gingen viele Schätze an mir verloren, und ich konnte das Ent- zücken nicht theilen, in welches mehrere Kenner aus- brachen, als ſie eine Staude erblickten, die zwar nur ſechs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blät- 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/59
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/59>, abgerufen am 03.12.2024.