Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

dreißig Jahr auszusehen) so genau vor der ganzen
Gesellschaft dekliniren zu hören. Uebrigens mußte ich
Lord D ... s Gedächtniß bewundern, denn er erin-
nerte sich aus jener Zeit, wo er mit dem Herzoge von
Portland bei meinen Eltern auf dem Lande gewesen
war, so sehr jeder Kleinigkeit, daß er selbst mir das
Andenken schon längst vergeßner Dinge von neuem
auffrischte. Welche Originale es damals gab, und
wie lustig man in jener Zeit alle Arten von Amuse-
ments aufgriff, bestätigte mir seine Erzählung auf
ganz unterhaltende Weise.

So erwähnte er unter andern eines Barons, der
so fest an Geistererscheinungen als an das Evange-
lium glaubte, und dabei Cagliostro für eine Art zwei-
ten Messias hielt. Als er eines Tages auf einem
unserm Schlosse nahem See allein Schlittschuh lief,
verkleidete sich die ganze Gesellschaft mit Betttüchern
und andern, aus der Theatergarderobe entnommenen
Utensilien, und producirte dem erschrockenen Illumi-
naten am hellen lichten Tage eine Geistererscheinung
in Masse auf dem Eise. In Todesangst fiel er, so
unbequem dies in Schlittschuhen seyn mochte, auf
die Knie, und betete mit einer Volubilität der Zunge,
die den alten Lord noch heute lachen machte, Abra
cadabra
und Vorschriften aus Fausts Höllenzwang,
abwechselnd mit dem tremulirenden Gesang einiger
geistlichen Lieder vermischt. Während dem glitschte
indeß einer der Geister, der, vermöge einer Stange
unter dem Betttuche, sich bald groß bald klein machte,
unglücklicherweise aus, und rutschte, entblöst von al-

dreißig Jahr auszuſehen) ſo genau vor der ganzen
Geſellſchaft dekliniren zu hören. Uebrigens mußte ich
Lord D … s Gedächtniß bewundern, denn er erin-
nerte ſich aus jener Zeit, wo er mit dem Herzoge von
Portland bei meinen Eltern auf dem Lande geweſen
war, ſo ſehr jeder Kleinigkeit, daß er ſelbſt mir das
Andenken ſchon längſt vergeßner Dinge von neuem
auffriſchte. Welche Originale es damals gab, und
wie luſtig man in jener Zeit alle Arten von Amuſe-
ments aufgriff, beſtätigte mir ſeine Erzählung auf
ganz unterhaltende Weiſe.

So erwähnte er unter andern eines Barons, der
ſo feſt an Geiſtererſcheinungen als an das Evange-
lium glaubte, und dabei Caglioſtro für eine Art zwei-
ten Meſſias hielt. Als er eines Tages auf einem
unſerm Schloſſe nahem See allein Schlittſchuh lief,
verkleidete ſich die ganze Geſellſchaft mit Betttüchern
und andern, aus der Theatergarderobe entnommenen
Utenſilien, und producirte dem erſchrockenen Illumi-
naten am hellen lichten Tage eine Geiſtererſcheinung
in Maſſe auf dem Eiſe. In Todesangſt fiel er, ſo
unbequem dies in Schlittſchuhen ſeyn mochte, auf
die Knie, und betete mit einer Volubilität der Zunge,
die den alten Lord noch heute lachen machte, Abra
cadabra
und Vorſchriften aus Fauſts Höllenzwang,
abwechſelnd mit dem tremulirenden Geſang einiger
geiſtlichen Lieder vermiſcht. Während dem glitſchte
indeß einer der Geiſter, der, vermöge einer Stange
unter dem Betttuche, ſich bald groß bald klein machte,
unglücklicherweiſe aus, und rutſchte, entblöst von al-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0382" n="336"/>
dreißig Jahr auszu&#x017F;ehen) &#x017F;o genau vor der ganzen<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft dekliniren zu hören. Uebrigens mußte ich<lb/>
Lord D &#x2026; s Gedächtniß bewundern, denn er erin-<lb/>
nerte &#x017F;ich aus jener Zeit, wo er mit dem Herzoge von<lb/>
Portland bei meinen Eltern auf dem Lande gewe&#x017F;en<lb/>
war, &#x017F;o &#x017F;ehr jeder Kleinigkeit, daß er &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">mir</hi> das<lb/>
Andenken &#x017F;chon läng&#x017F;t vergeßner Dinge von neuem<lb/>
auffri&#x017F;chte. Welche Originale es damals gab, und<lb/>
wie lu&#x017F;tig man in jener Zeit alle Arten von Amu&#x017F;e-<lb/>
ments aufgriff, be&#x017F;tätigte mir &#x017F;eine Erzählung auf<lb/>
ganz unterhaltende Wei&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>So erwähnte er unter andern eines Barons, der<lb/>
&#x017F;o fe&#x017F;t an Gei&#x017F;terer&#x017F;cheinungen als an das Evange-<lb/>
lium glaubte, und dabei Caglio&#x017F;tro für eine Art zwei-<lb/>
ten Me&#x017F;&#x017F;ias hielt. Als er eines Tages auf einem<lb/>
un&#x017F;erm Schlo&#x017F;&#x017F;e nahem See allein Schlitt&#x017F;chuh lief,<lb/>
verkleidete &#x017F;ich die ganze Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft mit Betttüchern<lb/>
und andern, aus der Theatergarderobe entnommenen<lb/>
Uten&#x017F;ilien, und producirte dem er&#x017F;chrockenen Illumi-<lb/>
naten am hellen lichten Tage eine Gei&#x017F;terer&#x017F;cheinung<lb/>
in Ma&#x017F;&#x017F;e auf dem Ei&#x017F;e. In Todesang&#x017F;t fiel er, &#x017F;o<lb/>
unbequem dies in Schlitt&#x017F;chuhen &#x017F;eyn mochte, auf<lb/>
die Knie, und betete mit einer Volubilität der Zunge,<lb/>
die den alten Lord noch heute lachen machte, <hi rendition="#aq">Abra<lb/>
cadabra</hi> und Vor&#x017F;chriften aus Fau&#x017F;ts Höllenzwang,<lb/>
abwech&#x017F;elnd mit dem tremulirenden Ge&#x017F;ang einiger<lb/>
gei&#x017F;tlichen Lieder vermi&#x017F;cht. Während dem glit&#x017F;chte<lb/>
indeß einer der Gei&#x017F;ter, der, vermöge einer Stange<lb/>
unter dem Betttuche, &#x017F;ich bald groß bald klein machte,<lb/>
unglücklicherwei&#x017F;e aus, und rut&#x017F;chte, entblöst von al-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0382] dreißig Jahr auszuſehen) ſo genau vor der ganzen Geſellſchaft dekliniren zu hören. Uebrigens mußte ich Lord D … s Gedächtniß bewundern, denn er erin- nerte ſich aus jener Zeit, wo er mit dem Herzoge von Portland bei meinen Eltern auf dem Lande geweſen war, ſo ſehr jeder Kleinigkeit, daß er ſelbſt mir das Andenken ſchon längſt vergeßner Dinge von neuem auffriſchte. Welche Originale es damals gab, und wie luſtig man in jener Zeit alle Arten von Amuſe- ments aufgriff, beſtätigte mir ſeine Erzählung auf ganz unterhaltende Weiſe. So erwähnte er unter andern eines Barons, der ſo feſt an Geiſtererſcheinungen als an das Evange- lium glaubte, und dabei Caglioſtro für eine Art zwei- ten Meſſias hielt. Als er eines Tages auf einem unſerm Schloſſe nahem See allein Schlittſchuh lief, verkleidete ſich die ganze Geſellſchaft mit Betttüchern und andern, aus der Theatergarderobe entnommenen Utenſilien, und producirte dem erſchrockenen Illumi- naten am hellen lichten Tage eine Geiſtererſcheinung in Maſſe auf dem Eiſe. In Todesangſt fiel er, ſo unbequem dies in Schlittſchuhen ſeyn mochte, auf die Knie, und betete mit einer Volubilität der Zunge, die den alten Lord noch heute lachen machte, Abra cadabra und Vorſchriften aus Fauſts Höllenzwang, abwechſelnd mit dem tremulirenden Geſang einiger geiſtlichen Lieder vermiſcht. Während dem glitſchte indeß einer der Geiſter, der, vermöge einer Stange unter dem Betttuche, ſich bald groß bald klein machte, unglücklicherweiſe aus, und rutſchte, entblöst von al-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/382
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/382>, abgerufen am 25.11.2024.