dem Dache, von welcher man eine schöne Uebersicht der mit tausend Spitzen gen Himmel strebenden go- thischen Paläste hat. Auch die umliegende Gegend ist freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt in allem vier und zwanzig Colleges (Art Klöster für Erziehung bestimmt), und dreizehn Kirchen in dem kleinen Raum einer Stadt, die nur 16,000 Einwoh- ner hat.
Von hier besuchten wir die von Heinrich VIII. er- baute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtentheils in ihrem primitiven Zustand erhalten, und mit nicht weniger als 300,000 Büchern ausgestattet. Das Lo- kal sieht keinem andern dieser Art ähnlich, und versetzt auch im Innern vollständig in dahin gegangene Jahr- hunderte. Die Kreuzesform, die seltsamen Schränke und Eisengitter halb blau, halb vergoldet, von einer jetzt nicht mehr gesehenen Form, die ungeheuren Fen- ster, von der Breite dreier Kirchenfenster zusammen- genommen, und mit dem schönsten farbigen Glase geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen Caissons, jedes das Bild einer aufgeschlagenen Bibel mit vier Kronen enthaltend -- selbst das noch beibe- haltene alte Costüme der an den Tischen sitzenden Doctoren in Luthers Tracht -- wie ungewöhnlich wird die Phantasie durch solchen Anblick angeregt! In der Mitte der hohen Schränke geht eine Gallerie rund umher, um zu den höher stehenden Büchern zu gelangen. An dem Geländer dieser Gallerie, die un- ten wieder eine Decke bemalter Caissons bildet, sind die Portraits der verschiedenen Bibliothekare, vom er-
dem Dache, von welcher man eine ſchöne Ueberſicht der mit tauſend Spitzen gen Himmel ſtrebenden go- thiſchen Paläſte hat. Auch die umliegende Gegend iſt freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt in allem vier und zwanzig Colleges (Art Klöſter für Erziehung beſtimmt), und dreizehn Kirchen in dem kleinen Raum einer Stadt, die nur 16,000 Einwoh- ner hat.
Von hier beſuchten wir die von Heinrich VIII. er- baute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtentheils in ihrem primitiven Zuſtand erhalten, und mit nicht weniger als 300,000 Büchern ausgeſtattet. Das Lo- kal ſieht keinem andern dieſer Art ähnlich, und verſetzt auch im Innern vollſtändig in dahin gegangene Jahr- hunderte. Die Kreuzesform, die ſeltſamen Schränke und Eiſengitter halb blau, halb vergoldet, von einer jetzt nicht mehr geſehenen Form, die ungeheuren Fen- ſter, von der Breite dreier Kirchenfenſter zuſammen- genommen, und mit dem ſchönſten farbigen Glaſe geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen Caiſſons, jedes das Bild einer aufgeſchlagenen Bibel mit vier Kronen enthaltend — ſelbſt das noch beibe- haltene alte Coſtüme der an den Tiſchen ſitzenden Doctoren in Luthers Tracht — wie ungewöhnlich wird die Phantaſie durch ſolchen Anblick angeregt! In der Mitte der hohen Schränke geht eine Gallerie rund umher, um zu den höher ſtehenden Büchern zu gelangen. An dem Geländer dieſer Gallerie, die un- ten wieder eine Decke bemalter Caiſſons bildet, ſind die Portraits der verſchiedenen Bibliothekare, vom er-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0334"n="288"/>
dem Dache, von welcher man eine ſchöne Ueberſicht<lb/>
der mit tauſend Spitzen gen Himmel ſtrebenden go-<lb/>
thiſchen Paläſte hat. Auch die umliegende Gegend<lb/>
iſt freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt<lb/>
in allem vier und zwanzig Colleges (Art Klöſter für<lb/>
Erziehung beſtimmt), und dreizehn Kirchen in dem<lb/>
kleinen Raum einer Stadt, die nur 16,000 Einwoh-<lb/>
ner hat.</p><lb/><p>Von hier beſuchten wir die von Heinrich <hirendition="#aq">VIII.</hi> er-<lb/>
baute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtentheils<lb/>
in ihrem primitiven Zuſtand erhalten, und mit nicht<lb/>
weniger als 300,000 Büchern ausgeſtattet. Das Lo-<lb/>
kal ſieht keinem andern dieſer Art ähnlich, und verſetzt<lb/>
auch im Innern vollſtändig in dahin gegangene Jahr-<lb/>
hunderte. Die Kreuzesform, die ſeltſamen Schränke<lb/>
und Eiſengitter halb blau, halb vergoldet, von einer<lb/>
jetzt nicht mehr geſehenen Form, die ungeheuren Fen-<lb/>ſter, von der Breite dreier Kirchenfenſter zuſammen-<lb/>
genommen, und mit dem ſchönſten farbigen Glaſe<lb/>
geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen<lb/>
Caiſſons, jedes das Bild einer aufgeſchlagenen Bibel<lb/>
mit vier Kronen enthaltend —ſelbſt das noch beibe-<lb/>
haltene alte Coſtüme der an den Tiſchen ſitzenden<lb/>
Doctoren in Luthers Tracht — wie ungewöhnlich<lb/>
wird die Phantaſie durch ſolchen Anblick angeregt!<lb/>
In der Mitte der hohen Schränke geht eine Gallerie<lb/>
rund umher, um zu den höher ſtehenden Büchern zu<lb/>
gelangen. An dem Geländer dieſer Gallerie, die un-<lb/>
ten wieder eine Decke bemalter Caiſſons bildet, ſind<lb/>
die Portraits der verſchiedenen Bibliothekare, vom er-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[288/0334]
dem Dache, von welcher man eine ſchöne Ueberſicht
der mit tauſend Spitzen gen Himmel ſtrebenden go-
thiſchen Paläſte hat. Auch die umliegende Gegend
iſt freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt
in allem vier und zwanzig Colleges (Art Klöſter für
Erziehung beſtimmt), und dreizehn Kirchen in dem
kleinen Raum einer Stadt, die nur 16,000 Einwoh-
ner hat.
Von hier beſuchten wir die von Heinrich VIII. er-
baute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtentheils
in ihrem primitiven Zuſtand erhalten, und mit nicht
weniger als 300,000 Büchern ausgeſtattet. Das Lo-
kal ſieht keinem andern dieſer Art ähnlich, und verſetzt
auch im Innern vollſtändig in dahin gegangene Jahr-
hunderte. Die Kreuzesform, die ſeltſamen Schränke
und Eiſengitter halb blau, halb vergoldet, von einer
jetzt nicht mehr geſehenen Form, die ungeheuren Fen-
ſter, von der Breite dreier Kirchenfenſter zuſammen-
genommen, und mit dem ſchönſten farbigen Glaſe
geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen
Caiſſons, jedes das Bild einer aufgeſchlagenen Bibel
mit vier Kronen enthaltend — ſelbſt das noch beibe-
haltene alte Coſtüme der an den Tiſchen ſitzenden
Doctoren in Luthers Tracht — wie ungewöhnlich
wird die Phantaſie durch ſolchen Anblick angeregt!
In der Mitte der hohen Schränke geht eine Gallerie
rund umher, um zu den höher ſtehenden Büchern zu
gelangen. An dem Geländer dieſer Gallerie, die un-
ten wieder eine Decke bemalter Caiſſons bildet, ſind
die Portraits der verſchiedenen Bibliothekare, vom er-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/334>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.