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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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gesprengten Hohlweg einzulassen, an dessen Stein-
wänden ebenfalls von beiden Seiten die üppigste Ve-
getation herabrankt. Dumpf rollt der Wagen auf dem
glatten Felsengrunde hin, den in der Höhe alte Ei-
chen dunkel überwölben. Plötzlich bricht bei einer
Wendung des Weges das Schloß im freien Himmels-
lichte aus dem Walde hervor, auf einem sanften Ra-
senabhang ruhend, und zwischen den ungeheuren
Thürmen, an deren Fuß Du Dich befindest, ver-
schwindet der weite Bogen des Eingangs zu dem
Schein einer unbedeutenden Pforte. Eine noch grö-
ßere Ueberraschung steht Dir bevor, wenn Du durch
das zweite eiserne Gitterthor den Schloßhof erreichst.
Etwas Mahlerischeres und zugleich Imposanteres läßt
sich beinah nicht denken! Laß Dir durch Deine Phan-
tasie einen Raum hinzaubern, ungefähr noch einmal
so groß als das Innere des römischen Colosseums,
und versetze Dich damit in einen Wald voll romanti-
scher Ueppigkeit. Du übersiehst nun den weiten Hof-
platz, rund umher von bemoosten Bäumen und maje-
stätischen Gebäuden umgeben, die, obgleich überall
verschieden an Form, dennoch ein erhabenes und zu-
sammenhängendes Ganze bilden, dessen bald stei-
gende, bald sich senkende Linien in der blauen Luft,
wie die stete Abwechselung der grünen Grundfläche
am Boden, nirgends Symmetrie, wohl aber eine
sonst nur den Werken der Natur eigne, höhere
Harmonie
verrathen. Der erste Blick zu Deinen
Füßen fällt auf einen weiten einfachen Rasenteppich,
um den ein sanft geschlungner Kiesweg nach allen

Briefe eines Verstorbenen. III. 15

geſprengten Hohlweg einzulaſſen, an deſſen Stein-
wänden ebenfalls von beiden Seiten die üppigſte Ve-
getation herabrankt. Dumpf rollt der Wagen auf dem
glatten Felſengrunde hin, den in der Höhe alte Ei-
chen dunkel überwölben. Plötzlich bricht bei einer
Wendung des Weges das Schloß im freien Himmels-
lichte aus dem Walde hervor, auf einem ſanften Ra-
ſenabhang ruhend, und zwiſchen den ungeheuren
Thürmen, an deren Fuß Du Dich befindeſt, ver-
ſchwindet der weite Bogen des Eingangs zu dem
Schein einer unbedeutenden Pforte. Eine noch grö-
ßere Ueberraſchung ſteht Dir bevor, wenn Du durch
das zweite eiſerne Gitterthor den Schloßhof erreichſt.
Etwas Mahleriſcheres und zugleich Impoſanteres läßt
ſich beinah nicht denken! Laß Dir durch Deine Phan-
taſie einen Raum hinzaubern, ungefähr noch einmal
ſo groß als das Innere des römiſchen Coloſſeums,
und verſetze Dich damit in einen Wald voll romanti-
ſcher Ueppigkeit. Du überſiehſt nun den weiten Hof-
platz, rund umher von bemoosten Bäumen und maje-
ſtätiſchen Gebäuden umgeben, die, obgleich überall
verſchieden an Form, dennoch ein erhabenes und zu-
ſammenhängendes Ganze bilden, deſſen bald ſtei-
gende, bald ſich ſenkende Linien in der blauen Luft,
wie die ſtete Abwechſelung der grünen Grundfläche
am Boden, nirgends Symmetrie, wohl aber eine
ſonſt nur den Werken der Natur eigne, höhere
Harmonie
verrathen. Der erſte Blick zu Deinen
Füßen fällt auf einen weiten einfachen Raſenteppich,
um den ein ſanft geſchlungner Kiesweg nach allen

Briefe eines Verſtorbenen. III. 15
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[225/0269] geſprengten Hohlweg einzulaſſen, an deſſen Stein- wänden ebenfalls von beiden Seiten die üppigſte Ve- getation herabrankt. Dumpf rollt der Wagen auf dem glatten Felſengrunde hin, den in der Höhe alte Ei- chen dunkel überwölben. Plötzlich bricht bei einer Wendung des Weges das Schloß im freien Himmels- lichte aus dem Walde hervor, auf einem ſanften Ra- ſenabhang ruhend, und zwiſchen den ungeheuren Thürmen, an deren Fuß Du Dich befindeſt, ver- ſchwindet der weite Bogen des Eingangs zu dem Schein einer unbedeutenden Pforte. Eine noch grö- ßere Ueberraſchung ſteht Dir bevor, wenn Du durch das zweite eiſerne Gitterthor den Schloßhof erreichſt. Etwas Mahleriſcheres und zugleich Impoſanteres läßt ſich beinah nicht denken! Laß Dir durch Deine Phan- taſie einen Raum hinzaubern, ungefähr noch einmal ſo groß als das Innere des römiſchen Coloſſeums, und verſetze Dich damit in einen Wald voll romanti- ſcher Ueppigkeit. Du überſiehſt nun den weiten Hof- platz, rund umher von bemoosten Bäumen und maje- ſtätiſchen Gebäuden umgeben, die, obgleich überall verſchieden an Form, dennoch ein erhabenes und zu- ſammenhängendes Ganze bilden, deſſen bald ſtei- gende, bald ſich ſenkende Linien in der blauen Luft, wie die ſtete Abwechſelung der grünen Grundfläche am Boden, nirgends Symmetrie, wohl aber eine ſonſt nur den Werken der Natur eigne, höhere Harmonie verrathen. Der erſte Blick zu Deinen Füßen fällt auf einen weiten einfachen Raſenteppich, um den ein ſanft geſchlungner Kiesweg nach allen Briefe eines Verſtorbenen. III. 15

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/269>, abgerufen am 26.11.2024.