Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen
anzünden muß, und dennoch nichts sieht -- etwas
von demselben trüben Charakter. Le pire est, que
je suis tantot trop, et tantot trop peu sensible a
l'opinion et aux procedes des autres.
In der ersten
Stimmung (und Stimmungen beherrschen mich lei-
der mit despotischer Gewalt, machen mich nicht nur
traurig und fröhlich, sondern leider auch klug und
dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je-
mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo
ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er
lange im vergeblichen Bestreben weiter zu dringen in
der Höhe geschwebt, im Begriff ist, endlich loslassen
zu müssen, wo er leicht bis auf die unterste Stufe
wieder herabsinken mag. Dennoch würde ihm viel-
leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und
Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als
in den stürmischen Lüften zu Muthe seyn, und bei
weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli-
chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan-
gen! Doch hinweg mit solchen Grübeleyen. Sie
taugen zu nichts, und selbst Befürchtungen eines dro-
henden wahren Unglücks, sollte man immer mit
Gewalt verbannen, denn warum sich mit Sorgen
quälen über das, was kommen kann, und doch viel-
leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan-
tom uns so viel frohe Gegenwart verkümmert hat.

In allen solchen Gemüthszuständen ist am Ende
Dein Bild mein bester Trost, und an Dich, meine

man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen
anzünden muß, und dennoch nichts ſieht — etwas
von demſelben trüben Charakter. Le pire est, que
je suis tantôt trop, et tantôt trop peu sensible â
l’opinion et aux procédés des autres.
In der erſten
Stimmung (und Stimmungen beherrſchen mich lei-
der mit deſpotiſcher Gewalt, machen mich nicht nur
traurig und fröhlich, ſondern leider auch klug und
dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je-
mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo
ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er
lange im vergeblichen Beſtreben weiter zu dringen in
der Höhe geſchwebt, im Begriff iſt, endlich loslaſſen
zu müſſen, wo er leicht bis auf die unterſte Stufe
wieder herabſinken mag. Dennoch würde ihm viel-
leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und
Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als
in den ſtürmiſchen Lüften zu Muthe ſeyn, und bei
weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli-
chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan-
gen! Doch hinweg mit ſolchen Grübeleyen. Sie
taugen zu nichts, und ſelbſt Befürchtungen eines dro-
henden wahren Unglücks, ſollte man immer mit
Gewalt verbannen, denn warum ſich mit Sorgen
quälen über das, was kommen kann, und doch viel-
leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan-
tom uns ſo viel frohe Gegenwart verkümmert hat.

In allen ſolchen Gemüthszuſtänden iſt am Ende
Dein Bild mein beſter Troſt, und an Dich, meine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0244" n="200"/>
man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen<lb/>
anzünden muß, und dennoch nichts &#x017F;ieht &#x2014; etwas<lb/>
von dem&#x017F;elben trüben Charakter. <hi rendition="#aq">Le pire est, que<lb/>
je suis tantôt trop, et tantôt trop peu sensible â<lb/>
l&#x2019;opinion et aux procédés des autres.</hi> In der er&#x017F;ten<lb/>
Stimmung (und Stimmungen beherr&#x017F;chen mich lei-<lb/>
der mit de&#x017F;poti&#x017F;cher Gewalt, machen mich nicht nur<lb/>
traurig und fröhlich, &#x017F;ondern leider auch klug und<lb/>
dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je-<lb/>
mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo<lb/>
ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er<lb/>
lange im vergeblichen Be&#x017F;treben weiter zu dringen in<lb/>
der Höhe ge&#x017F;chwebt, im Begriff i&#x017F;t, endlich losla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu mü&#x017F;&#x017F;en, wo er leicht bis auf die unter&#x017F;te Stufe<lb/>
wieder herab&#x017F;inken mag. Dennoch würde ihm viel-<lb/>
leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und<lb/>
Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als<lb/>
in den &#x017F;türmi&#x017F;chen Lüften zu Muthe &#x017F;eyn, und bei<lb/>
weniger <hi rendition="#g">Hoffnungen</hi> ihn vielleicht eine glückli-<lb/>
chere, wenn auch einfachere <hi rendition="#g">Wirklichkeit</hi> umfan-<lb/>
gen! Doch hinweg mit &#x017F;olchen Grübeleyen. Sie<lb/>
taugen zu nichts, und &#x017F;elb&#x017F;t Befürchtungen eines dro-<lb/>
henden <hi rendition="#g">wahren</hi> Unglücks, &#x017F;ollte man immer mit<lb/>
Gewalt verbannen, denn warum &#x017F;ich mit Sorgen<lb/>
quälen über das, was kommen kann, und doch viel-<lb/>
leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan-<lb/>
tom uns &#x017F;o viel frohe Gegenwart verkümmert hat.</p><lb/>
          <p>In allen &#x017F;olchen Gemüthszu&#x017F;tänden i&#x017F;t am Ende<lb/><hi rendition="#g">Dein</hi> Bild mein be&#x017F;ter Tro&#x017F;t, und an Dich, meine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0244] man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen anzünden muß, und dennoch nichts ſieht — etwas von demſelben trüben Charakter. Le pire est, que je suis tantôt trop, et tantôt trop peu sensible â l’opinion et aux procédés des autres. In der erſten Stimmung (und Stimmungen beherrſchen mich lei- der mit deſpotiſcher Gewalt, machen mich nicht nur traurig und fröhlich, ſondern leider auch klug und dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je- mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er lange im vergeblichen Beſtreben weiter zu dringen in der Höhe geſchwebt, im Begriff iſt, endlich loslaſſen zu müſſen, wo er leicht bis auf die unterſte Stufe wieder herabſinken mag. Dennoch würde ihm viel- leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als in den ſtürmiſchen Lüften zu Muthe ſeyn, und bei weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli- chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan- gen! Doch hinweg mit ſolchen Grübeleyen. Sie taugen zu nichts, und ſelbſt Befürchtungen eines dro- henden wahren Unglücks, ſollte man immer mit Gewalt verbannen, denn warum ſich mit Sorgen quälen über das, was kommen kann, und doch viel- leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan- tom uns ſo viel frohe Gegenwart verkümmert hat. In allen ſolchen Gemüthszuſtänden iſt am Ende Dein Bild mein beſter Troſt, und an Dich, meine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/244
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/244>, abgerufen am 25.11.2024.