Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.gründen Wollende, der geistige Chemiker, dem ein Dies ist ein schlimmer Durchgang, den diejenigen *) Wie geschieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er-
kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens und Gefühls ist, wozu der Kopf nur taugt, um gleichsam als Wächter vor dem Heiligthume zu stehen, und es mit dem Schwerdte der Vernunst vor seinen Erbfeinden zu be- wahren, dem Aberglauben und der Unduldsamkeit. Be- gnügt er sich damit nicht, und will er begreifen lernen, was seiner Natur nach für uns unbegreiflich ist, so muß er jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun seine Zu- flucht zu einer sogenannten positiven Religion, oder einem Systeme speculativer Philosophie. Beide befriedigen nicht, sobald man mehr als ein interessantes Spiel der Phan- tasie, oder des Verstandes, daraus machen will -- während das innere angeborne Gefühl Gottes, der Liebe und des Guten in jeder gesunden Geistesstunde, dem Niedrigsten an Geistesfähigkeit, wie dem Höchsten mit glei- cher, unumstößlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, son- dern als die wahre Essenz seines Wesens, sein eigentliches Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver- stand unmittelbar thätig zu werden brauchen, wenn gleich beide dasselbe, bei eintretender Reflexion, bestätigen müssen. A. d. H. gründen Wollende, der geiſtige Chemiker, dem ein Dies iſt ein ſchlimmer Durchgang, den diejenigen *) Wie geſchieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er-
kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens und Gefuͤhls iſt, wozu der Kopf nur taugt, um gleichſam als Waͤchter vor dem Heiligthume zu ſtehen, und es mit dem Schwerdte der Vernunſt vor ſeinen Erbfeinden zu be- wahren, dem Aberglauben und der Unduldſamkeit. Be- gnuͤgt er ſich damit nicht, und will er begreifen lernen, was ſeiner Natur nach fuͤr uns unbegreiflich iſt, ſo muß er jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun ſeine Zu- flucht zu einer ſogenannten poſitiven Religion, oder einem Syſteme ſpeculativer Philoſophie. Beide befriedigen nicht, ſobald man mehr als ein intereſſantes Spiel der Phan- taſie, oder des Verſtandes, daraus machen will — waͤhrend das innere angeborne Gefuͤhl Gottes, der Liebe und des Guten in jeder geſunden Geiſtesſtunde, dem Niedrigſten an Geiſtesfaͤhigkeit, wie dem Hoͤchſten mit glei- cher, unumſtoͤßlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, ſon- dern als die wahre Eſſenz ſeines Weſens, ſein eigentliches Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver- ſtand unmittelbar thaͤtig zu werden brauchen, wenn gleich beide daſſelbe, bei eintretender Reflexion, beſtaͤtigen muͤſſen. A. d. H. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0210" n="166"/> gründen Wollende, der geiſtige Chemiker, dem <hi rendition="#g">ein</hi><lb/> ſcheinbar feſtes Gebäude nach dem andern einſtürzt,<lb/> der kann — bis es ihm nicht durch die allgöttliche<lb/> Kraft gelungen, ein inneres Unzerſtörbares aufzu-<lb/> richten <note place="foot" n="*)">Wie geſchieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er-<lb/> kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens<lb/> und Gefuͤhls iſt, wozu der Kopf nur taugt, um gleichſam<lb/> als Waͤchter vor dem Heiligthume zu ſtehen, und es mit<lb/> dem Schwerdte der Vernunſt vor ſeinen Erbfeinden zu be-<lb/> wahren, dem Aberglauben und der Unduldſamkeit. Be-<lb/> gnuͤgt er ſich damit nicht, und will er begreifen lernen,<lb/> was ſeiner Natur nach fuͤr uns unbegreiflich iſt, ſo muß er<lb/> jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun ſeine Zu-<lb/> flucht zu einer ſogenannten poſitiven Religion, oder einem<lb/> Syſteme ſpeculativer Philoſophie. Beide befriedigen nicht,<lb/> ſobald man mehr als ein intereſſantes Spiel der <hi rendition="#g">Phan-<lb/> taſie</hi>, oder des <hi rendition="#g">Verſtandes</hi>, daraus machen will —<lb/> waͤhrend das innere angeborne <hi rendition="#g">Gefuͤhl</hi> Gottes, der Liebe<lb/> und des Guten in jeder <hi rendition="#g">geſunden</hi> Geiſtesſtunde, dem<lb/> Niedrigſten an Geiſtesfaͤhigkeit, wie dem Hoͤchſten mit glei-<lb/> cher, unumſtoͤßlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, ſon-<lb/> dern als die wahre Eſſenz ſeines Weſens, ſein eigentliches<lb/> Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver-<lb/> ſtand unmittelbar thaͤtig zu werden brauchen, wenn gleich<lb/> beide daſſelbe, bei eintretender Reflexion, beſtaͤtigen muͤſſen.<lb/><hi rendition="#et">A. d. H.</hi></note>, und ſoweit iſt Hamlet offenbar noch nicht<lb/> gekommen, — der allein, ſage ich, <hi rendition="#g">kann nicht<lb/> mehr beten</hi>, denn der Gegenſtand fehlt ihm. Er<lb/> kann ſich’s nicht mehr ableugnen, er ſpielt, indem er<lb/> betet, nur Comödie mit ſich ſelbſt.</p><lb/> <p>Dies iſt ein ſchlimmer Durchgang, den diejenigen<lb/> am armen Menſchen verſchulden, welche ſchon das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0210]
gründen Wollende, der geiſtige Chemiker, dem ein
ſcheinbar feſtes Gebäude nach dem andern einſtürzt,
der kann — bis es ihm nicht durch die allgöttliche
Kraft gelungen, ein inneres Unzerſtörbares aufzu-
richten *), und ſoweit iſt Hamlet offenbar noch nicht
gekommen, — der allein, ſage ich, kann nicht
mehr beten, denn der Gegenſtand fehlt ihm. Er
kann ſich’s nicht mehr ableugnen, er ſpielt, indem er
betet, nur Comödie mit ſich ſelbſt.
Dies iſt ein ſchlimmer Durchgang, den diejenigen
am armen Menſchen verſchulden, welche ſchon das
*) Wie geſchieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er-
kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens
und Gefuͤhls iſt, wozu der Kopf nur taugt, um gleichſam
als Waͤchter vor dem Heiligthume zu ſtehen, und es mit
dem Schwerdte der Vernunſt vor ſeinen Erbfeinden zu be-
wahren, dem Aberglauben und der Unduldſamkeit. Be-
gnuͤgt er ſich damit nicht, und will er begreifen lernen,
was ſeiner Natur nach fuͤr uns unbegreiflich iſt, ſo muß er
jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun ſeine Zu-
flucht zu einer ſogenannten poſitiven Religion, oder einem
Syſteme ſpeculativer Philoſophie. Beide befriedigen nicht,
ſobald man mehr als ein intereſſantes Spiel der Phan-
taſie, oder des Verſtandes, daraus machen will —
waͤhrend das innere angeborne Gefuͤhl Gottes, der Liebe
und des Guten in jeder geſunden Geiſtesſtunde, dem
Niedrigſten an Geiſtesfaͤhigkeit, wie dem Hoͤchſten mit glei-
cher, unumſtoͤßlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, ſon-
dern als die wahre Eſſenz ſeines Weſens, ſein eigentliches
Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver-
ſtand unmittelbar thaͤtig zu werden brauchen, wenn gleich
beide daſſelbe, bei eintretender Reflexion, beſtaͤtigen muͤſſen.
A. d. H.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |