Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

einmal gekannt, fast unentbehrlich machen, so ist er
doch ein ganz andrer, wenn er bei Hofe in Gegen-
wart des Königs und ernster würdiger Männer er-
scheint, oder mit dem Prinzen und seinen Genossen
Possen treibt, oder endlich mit diesen Letzteren allein
bleibt. Im ersten Fall sieht man einen komischen
Mann, ohngefähr wie den Marechal de Bassompiere,
lächerlich dick, aber vornehm und mit Anstand, im-
mer ein Spaßmacher, aber mit gutem Ton, nie ohne
den gebührenden Respekt, den er dem Ort und der
Umgebung schuldig ist, wo er sich befindet; in der
zweiten Station läßt er sich schon weit mehr gehen,
nimmt sich jede derbe Freiheit heraus, aber doch im-
mer mit einer merklichen Rücksicht, die schmeichelnd
den Prinzen hervorhebt, und sich nur das Privile-
gium des Hofnarren nimmt, der scheinbar alles sa-
gen darf, was ihm in den Kopf kömmt; nur auf der
letzten Stufe endlich sehen wir Falstaff im völligen
Neglige, von dem aller Schein herabgefallen ist. Wie
das Schwein in der Pfütze wälzt er sich hier behag-
lich im Kothe, und doch bleibt er auch dabei noch
originell, erregt noch mehr Lachen als Abscheu, die
große Kunst des Dichters, welcher auch bei den hor-
rendesten Mißgeburten der Sünde und Schande, doch,
gleich einem göttlichen Siegel, etwas in sie zu legen
weiß, was unser Interesse erregt, und uns, fast zu
unserm eignen Erstaunen, anzieht. Es ist dies die
dramatische Wahrheit, die Schöpfungskraft der Schil-
derung, von der Walter Scott so artig sagt: "Sie
läßt mich Shakspeare nur mit jenem Manne in den

einmal gekannt, faſt unentbehrlich machen, ſo iſt er
doch ein ganz andrer, wenn er bei Hofe in Gegen-
wart des Königs und ernſter würdiger Männer er-
ſcheint, oder mit dem Prinzen und ſeinen Genoſſen
Poſſen treibt, oder endlich mit dieſen Letzteren allein
bleibt. Im erſten Fall ſieht man einen komiſchen
Mann, ohngefähr wie den Maréchal de Baſſompiere,
lächerlich dick, aber vornehm und mit Anſtand, im-
mer ein Spaßmacher, aber mit gutem Ton, nie ohne
den gebührenden Reſpekt, den er dem Ort und der
Umgebung ſchuldig iſt, wo er ſich befindet; in der
zweiten Station läßt er ſich ſchon weit mehr gehen,
nimmt ſich jede derbe Freiheit heraus, aber doch im-
mer mit einer merklichen Rückſicht, die ſchmeichelnd
den Prinzen hervorhebt, und ſich nur das Privile-
gium des Hofnarren nimmt, der ſcheinbar alles ſa-
gen darf, was ihm in den Kopf kömmt; nur auf der
letzten Stufe endlich ſehen wir Falſtaff im völligen
Negligé, von dem aller Schein herabgefallen iſt. Wie
das Schwein in der Pfütze wälzt er ſich hier behag-
lich im Kothe, und doch bleibt er auch dabei noch
originell, erregt noch mehr Lachen als Abſcheu, die
große Kunſt des Dichters, welcher auch bei den hor-
rendeſten Mißgeburten der Sünde und Schande, doch,
gleich einem göttlichen Siegel, etwas in ſie zu legen
weiß, was unſer Intereſſe erregt, und uns, faſt zu
unſerm eignen Erſtaunen, anzieht. Es iſt dies die
dramatiſche Wahrheit, die Schöpfungskraft der Schil-
derung, von der Walter Scott ſo artig ſagt: „Sie
läßt mich Shakspeare nur mit jenem Manne in den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="164"/>
einmal gekannt, fa&#x017F;t unentbehrlich machen, &#x017F;o i&#x017F;t er<lb/>
doch ein ganz andrer, wenn er bei Hofe in Gegen-<lb/>
wart des Königs und ern&#x017F;ter würdiger Männer er-<lb/>
&#x017F;cheint, oder mit dem Prinzen und &#x017F;einen Geno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Po&#x017F;&#x017F;en treibt, oder endlich mit die&#x017F;en Letzteren allein<lb/>
bleibt. Im er&#x017F;ten Fall &#x017F;ieht man einen komi&#x017F;chen<lb/>
Mann, ohngefähr wie den Mar<hi rendition="#aq">é</hi>chal de Ba&#x017F;&#x017F;ompiere,<lb/>
lächerlich dick, aber vornehm und mit An&#x017F;tand, im-<lb/>
mer ein Spaßmacher, aber mit gutem Ton, nie ohne<lb/>
den gebührenden Re&#x017F;pekt, den er dem Ort und der<lb/>
Umgebung &#x017F;chuldig i&#x017F;t, wo er &#x017F;ich befindet; in der<lb/>
zweiten Station läßt er &#x017F;ich &#x017F;chon weit mehr gehen,<lb/>
nimmt &#x017F;ich jede derbe Freiheit heraus, aber doch im-<lb/>
mer mit einer merklichen Rück&#x017F;icht, die &#x017F;chmeichelnd<lb/>
den Prinzen hervorhebt, und &#x017F;ich nur das Privile-<lb/>
gium des Hofnarren nimmt, der &#x017F;cheinbar alles &#x017F;a-<lb/>
gen darf, was ihm in den Kopf kömmt; nur auf der<lb/>
letzten Stufe endlich &#x017F;ehen wir Fal&#x017F;taff im völligen<lb/>
Neglig<hi rendition="#aq">é</hi>, von dem aller Schein herabgefallen i&#x017F;t. Wie<lb/>
das Schwein in der Pfütze wälzt er &#x017F;ich hier behag-<lb/>
lich im Kothe, und doch bleibt er auch <hi rendition="#g">dabei noch</hi><lb/>
originell, erregt noch mehr Lachen als Ab&#x017F;cheu, die<lb/>
große Kun&#x017F;t des Dichters, welcher auch bei den hor-<lb/>
rende&#x017F;ten Mißgeburten der Sünde und Schande, doch,<lb/>
gleich einem göttlichen Siegel, etwas in &#x017F;ie zu legen<lb/>
weiß, was un&#x017F;er Intere&#x017F;&#x017F;e erregt, und uns, fa&#x017F;t zu<lb/>
un&#x017F;erm eignen Er&#x017F;taunen, anzieht. Es i&#x017F;t dies die<lb/>
dramati&#x017F;che Wahrheit, die Schöpfungskraft der Schil-<lb/>
derung, von der Walter Scott &#x017F;o artig &#x017F;agt: &#x201E;Sie<lb/>
läßt mich Shakspeare nur mit jenem Manne in den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0208] einmal gekannt, faſt unentbehrlich machen, ſo iſt er doch ein ganz andrer, wenn er bei Hofe in Gegen- wart des Königs und ernſter würdiger Männer er- ſcheint, oder mit dem Prinzen und ſeinen Genoſſen Poſſen treibt, oder endlich mit dieſen Letzteren allein bleibt. Im erſten Fall ſieht man einen komiſchen Mann, ohngefähr wie den Maréchal de Baſſompiere, lächerlich dick, aber vornehm und mit Anſtand, im- mer ein Spaßmacher, aber mit gutem Ton, nie ohne den gebührenden Reſpekt, den er dem Ort und der Umgebung ſchuldig iſt, wo er ſich befindet; in der zweiten Station läßt er ſich ſchon weit mehr gehen, nimmt ſich jede derbe Freiheit heraus, aber doch im- mer mit einer merklichen Rückſicht, die ſchmeichelnd den Prinzen hervorhebt, und ſich nur das Privile- gium des Hofnarren nimmt, der ſcheinbar alles ſa- gen darf, was ihm in den Kopf kömmt; nur auf der letzten Stufe endlich ſehen wir Falſtaff im völligen Negligé, von dem aller Schein herabgefallen iſt. Wie das Schwein in der Pfütze wälzt er ſich hier behag- lich im Kothe, und doch bleibt er auch dabei noch originell, erregt noch mehr Lachen als Abſcheu, die große Kunſt des Dichters, welcher auch bei den hor- rendeſten Mißgeburten der Sünde und Schande, doch, gleich einem göttlichen Siegel, etwas in ſie zu legen weiß, was unſer Intereſſe erregt, und uns, faſt zu unſerm eignen Erſtaunen, anzieht. Es iſt dies die dramatiſche Wahrheit, die Schöpfungskraft der Schil- derung, von der Walter Scott ſo artig ſagt: „Sie läßt mich Shakspeare nur mit jenem Manne in den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/208
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/208>, abgerufen am 24.11.2024.