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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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besser selbst lernend, vielleicht sich bald an die Spitze
des ganzen alternden Welttheils stellen wird. Nicht
zu berechnende Folgen kann, muß dieser Krieg ha-
ben. -- Es ist kein gewöhnlicher Türkenkrieg mehr.
Alle Zeichen verkünden in ihm den Beginn einer
neuen Weltepoche, und sollte auch das europäische
Interesse schwerlich jetzt noch keine Hauptcrisis gestat-
ten, so wird er doch der erste der magnetischen Striche
seyn (das baquet bilden die russischen Kanonen) von
denen der, seit so vielen Jahrhunderten, wie im unbe-
weglichen Grabe schlummernde Orient, zum Hellse-
hen zu erwachen bestimmt ist. Wie unermüdlich wird
hier Wirkung und Wechselwirkung seyn, und welche
Geheimnisse wird der Magnetisirte dem Magnetiseur
verrathen!

In Europa aber nimmt Cultur und Politik einen
solchen Weg, daß hier der letzte Akt des Dramas uns-
rer Zeit sich wahrscheinlich nur mit einem allgemeinen
commerziellen Kampf gegen England schließen kann,
dem stolzen England, dessen Handels-Universal-Mo-
narchie schwereren Tribut von uns erhebt, als aller
militairische Druck weiland Napoleons. Gewiß hatte
dieser Heros bei seinem Continental-Systeme die rich-
tige Ansicht gefaßt, woran es eigentlich Europa Noth
thue. Er glich nur einem zu gewaltsamen Arzte, der
vorläufig seinem Patienten Hände und Füße bindet,
um ihm die, seiner Meinung nach, heilsame Medizin
sofort bongre malgre einzuflößen. Es war daher
sehr natürlich, daß sich der Patient, sobald er konnte,

beſſer ſelbſt lernend, vielleicht ſich bald an die Spitze
des ganzen alternden Welttheils ſtellen wird. Nicht
zu berechnende Folgen kann, muß dieſer Krieg ha-
ben. — Es iſt kein gewöhnlicher Türkenkrieg mehr.
Alle Zeichen verkünden in ihm den Beginn einer
neuen Weltepoche, und ſollte auch das europäiſche
Intereſſe ſchwerlich jetzt noch keine Hauptcriſis geſtat-
ten, ſo wird er doch der erſte der magnetiſchen Striche
ſeyn (das baquet bilden die ruſſiſchen Kanonen) von
denen der, ſeit ſo vielen Jahrhunderten, wie im unbe-
weglichen Grabe ſchlummernde Orient, zum Hellſe-
hen zu erwachen beſtimmt iſt. Wie unermüdlich wird
hier Wirkung und Wechſelwirkung ſeyn, und welche
Geheimniſſe wird der Magnetiſirte dem Magnetiſeur
verrathen!

In Europa aber nimmt Cultur und Politik einen
ſolchen Weg, daß hier der letzte Akt des Dramas unſ-
rer Zeit ſich wahrſcheinlich nur mit einem allgemeinen
commerziellen Kampf gegen England ſchließen kann,
dem ſtolzen England, deſſen Handels-Univerſal-Mo-
narchie ſchwereren Tribut von uns erhebt, als aller
militairiſche Druck weiland Napoleons. Gewiß hatte
dieſer Heros bei ſeinem Continental-Syſteme die rich-
tige Anſicht gefaßt, woran es eigentlich Europa Noth
thue. Er glich nur einem zu gewaltſamen Arzte, der
vorläufig ſeinem Patienten Hände und Füße bindet,
um ihm die, ſeiner Meinung nach, heilſame Medizin
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[66/0088] beſſer ſelbſt lernend, vielleicht ſich bald an die Spitze des ganzen alternden Welttheils ſtellen wird. Nicht zu berechnende Folgen kann, muß dieſer Krieg ha- ben. — Es iſt kein gewöhnlicher Türkenkrieg mehr. Alle Zeichen verkünden in ihm den Beginn einer neuen Weltepoche, und ſollte auch das europäiſche Intereſſe ſchwerlich jetzt noch keine Hauptcriſis geſtat- ten, ſo wird er doch der erſte der magnetiſchen Striche ſeyn (das baquet bilden die ruſſiſchen Kanonen) von denen der, ſeit ſo vielen Jahrhunderten, wie im unbe- weglichen Grabe ſchlummernde Orient, zum Hellſe- hen zu erwachen beſtimmt iſt. Wie unermüdlich wird hier Wirkung und Wechſelwirkung ſeyn, und welche Geheimniſſe wird der Magnetiſirte dem Magnetiſeur verrathen! In Europa aber nimmt Cultur und Politik einen ſolchen Weg, daß hier der letzte Akt des Dramas unſ- rer Zeit ſich wahrſcheinlich nur mit einem allgemeinen commerziellen Kampf gegen England ſchließen kann, dem ſtolzen England, deſſen Handels-Univerſal-Mo- narchie ſchwereren Tribut von uns erhebt, als aller militairiſche Druck weiland Napoleons. Gewiß hatte dieſer Heros bei ſeinem Continental-Syſteme die rich- tige Anſicht gefaßt, woran es eigentlich Europa Noth thue. Er glich nur einem zu gewaltſamen Arzte, der vorläufig ſeinem Patienten Hände und Füße bindet, um ihm die, ſeiner Meinung nach, heilſame Medizin ſofort bongré malgré einzuflößen. Es war daher ſehr natürlich, daß ſich der Patient, ſobald er konnte,

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/88>, abgerufen am 30.04.2024.