man nicht so viel Gemälde der neueren französischen Schule darin aufgestellt fände, die, ich gestehe es, sehr wenige ausgenommen, oft nur wie halbe Karri- katuren auf mich wirken. Diese theatralische Verzer- rung, dieser Bretteranstand, welche selbst Davids Figuren nicht selten zur Schau tragen, und die stets übertriebenen Leidenschaften erscheinen schülermäßig gegen die edle Naturwahrheit der Italiener, und lassen auch die gewinnende Gemüthlichkeit der Deut- schen und niederländischen Schule gänzlich vermissen. Unter diesen berühmten Neuern mißfiel mir Girodet am meisten, und gewiß kann kein gesunder Kunstsinn seine Sündfluth ohne Widerwillen betrachten, auch Horace Vernet glänzt nur in Genre-Stücken, aber Gerards Einzug Heinrich des IV. scheint mir ein Bild, dessen Ruf dauern wird.
Die vielen Rubens und Lesueur die man, um die Lücken zu decken, aus dem Palais Luxemburg her- gebracht hat, ersetzten ebenfalls nur schlecht die ver- schwundenen Raphaels, Leonardo da Vinci's und Van Eyk's. Kurz alles Neue und Alte, seit der Restauration hierhergekommene, macht keinen günsti- gen Eindruck, wohin die schlechten Malerbüsten auch noch gehören, die man in gewissen Distancen in der Gallerie unter Säulen aufgestellt hat, und die sich, auch wenn sie besser gearbeitet wären, in einen Gemälde-Saal nie gut passen würden. Wie immer bildet aber auch noch jetzt die prächtige, lange Gallerie, den angenehmsten Spaziergang im Win-
man nicht ſo viel Gemälde der neueren franzöſiſchen Schule darin aufgeſtellt fände, die, ich geſtehe es, ſehr wenige ausgenommen, oft nur wie halbe Karri- katuren auf mich wirken. Dieſe theatraliſche Verzer- rung, dieſer Bretteranſtand, welche ſelbſt Davids Figuren nicht ſelten zur Schau tragen, und die ſtets übertriebenen Leidenſchaften erſcheinen ſchülermäßig gegen die edle Naturwahrheit der Italiener, und laſſen auch die gewinnende Gemüthlichkeit der Deut- ſchen und niederländiſchen Schule gänzlich vermiſſen. Unter dieſen berühmten Neuern mißfiel mir Girodet am meiſten, und gewiß kann kein geſunder Kunſtſinn ſeine Sündfluth ohne Widerwillen betrachten, auch Horace Vernet glänzt nur in Genre-Stücken, aber Gerards Einzug Heinrich des IV. ſcheint mir ein Bild, deſſen Ruf dauern wird.
Die vielen Rubens und Leſueur die man, um die Lücken zu decken, aus dem Palais Luxemburg her- gebracht hat, erſetzten ebenfalls nur ſchlecht die ver- ſchwundenen Raphaels, Leonardo da Vinci’s und Van Eyk’s. Kurz alles Neue und Alte, ſeit der Reſtauration hierhergekommene, macht keinen günſti- gen Eindruck, wohin die ſchlechten Malerbüſten auch noch gehören, die man in gewiſſen Diſtancen in der Gallerie unter Säulen aufgeſtellt hat, und die ſich, auch wenn ſie beſſer gearbeitet wären, in einen Gemälde-Saal nie gut paſſen würden. Wie immer bildet aber auch noch jetzt die prächtige, lange Gallerie, den angenehmſten Spaziergang im Win-
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man nicht ſo viel Gemälde der neueren franzöſiſchen
Schule darin aufgeſtellt fände, die, ich geſtehe es,
ſehr wenige ausgenommen, oft nur wie halbe Karri-
katuren auf mich wirken. Dieſe theatraliſche Verzer-
rung, dieſer Bretteranſtand, welche ſelbſt Davids
Figuren nicht ſelten zur Schau tragen, und die ſtets
übertriebenen Leidenſchaften erſcheinen ſchülermäßig
gegen die edle Naturwahrheit der Italiener, und
laſſen auch die gewinnende Gemüthlichkeit der Deut-
ſchen und niederländiſchen Schule gänzlich vermiſſen.
Unter dieſen berühmten Neuern mißfiel mir Girodet
am meiſten, und gewiß kann kein geſunder Kunſtſinn
ſeine Sündfluth ohne Widerwillen betrachten, auch
Horace Vernet glänzt nur in Genre-Stücken,
aber Gerards Einzug Heinrich des IV. ſcheint mir
ein Bild, deſſen Ruf dauern wird.
Die vielen Rubens und Leſueur die man, um die
Lücken zu decken, aus dem Palais Luxemburg her-
gebracht hat, erſetzten ebenfalls nur ſchlecht die ver-
ſchwundenen Raphaels, Leonardo da Vinci’s und
Van Eyk’s. Kurz alles Neue und Alte, ſeit der
Reſtauration hierhergekommene, macht keinen günſti-
gen Eindruck, wohin die ſchlechten Malerbüſten
auch noch gehören, die man in gewiſſen Diſtancen
in der Gallerie unter Säulen aufgeſtellt hat, und
die ſich, auch wenn ſie beſſer gearbeitet wären, in
einen Gemälde-Saal nie gut paſſen würden. Wie
immer bildet aber auch noch jetzt die prächtige, lange
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/369>, abgerufen am 22.11.2024.
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