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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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diejenigen Kranken, welche des Arztes, den obern,
die des Chirurgus bedurften. Das Operationszim-
mer war besonders elegant, und mit mehreren Robi-
nets in den Wänden und darunter stehenden Mar-
morbecken versehen, um auf allen Seiten das Blut
sogleich abwaschen zu können. Eine Mahagoni-Stel-
lage in der Mitte, mit Saffiankissen, ist für die zu
Schneidenden bestimmt. Es war in der That Alles
für Liebhaber so einladend als möglich gemacht. So
wohlthätig übrigens dieses Handwerk ist, so werden
doch in der Regel die Chirurgen dadurch ein wenig
fühllos. Der welcher mich begleitete, machte davon
keine Ausnahme. So bemerkte ich unter anderm, in
einem der Säle eine Frau, die sich ganz mit einem
Tuche zugedeckt hatte, und frug ihn leise, was ihr
fehle? "O", erwiederte er ganz laut, "die ist inkurabel
an einer Pulsadergeschwulst; sobald diese berstet
muß sie sterben." An dem Zucken und leisen Stöh-
nen
unter dem Tuche, konnte ich wohl abnehmen,
wie schmerzlich die Nachricht wirkte, und bereuete
meine Frage. Als wir nachher zu den Männern
kamen, sah ich Einen davon, schlohweiß und völlig
wie eine Marmorstatüe, im Bette liegen, und da wir
diesmal noch weit entfernt waren, erkundigte ich mich
abermals nach der Beschaffenheit dieser Krankheit.
"Ich weiß es selbst nicht", rief er, "werde ihn aber gleich
fragen." Um's Himmelswillen nicht, bat ich, er war
aber schon fort, fühlte des Mannes Hand, der sich
nicht rührte, und kam dann lachend wieder, indem er
sagte: "der ist kurirt, denn er ist todt."

diejenigen Kranken, welche des Arztes, den obern,
die des Chirurgus bedurften. Das Operationszim-
mer war beſonders elegant, und mit mehreren Robi-
nets in den Wänden und darunter ſtehenden Mar-
morbecken verſehen, um auf allen Seiten das Blut
ſogleich abwaſchen zu können. Eine Mahagoni-Stel-
lage in der Mitte, mit Saffiankiſſen, iſt für die zu
Schneidenden beſtimmt. Es war in der That Alles
für Liebhaber ſo einladend als möglich gemacht. So
wohlthätig übrigens dieſes Handwerk iſt, ſo werden
doch in der Regel die Chirurgen dadurch ein wenig
fühllos. Der welcher mich begleitete, machte davon
keine Ausnahme. So bemerkte ich unter anderm, in
einem der Säle eine Frau, die ſich ganz mit einem
Tuche zugedeckt hatte, und frug ihn leiſe, was ihr
fehle? „O“, erwiederte er ganz laut, „die iſt inkurabel
an einer Pulsadergeſchwulſt; ſobald dieſe berſtet
muß ſie ſterben.“ An dem Zucken und leiſen Stöh-
nen
unter dem Tuche, konnte ich wohl abnehmen,
wie ſchmerzlich die Nachricht wirkte, und bereuete
meine Frage. Als wir nachher zu den Männern
kamen, ſah ich Einen davon, ſchlohweiß und völlig
wie eine Marmorſtatüe, im Bette liegen, und da wir
diesmal noch weit entfernt waren, erkundigte ich mich
abermals nach der Beſchaffenheit dieſer Krankheit.
„Ich weiß es ſelbſt nicht“, rief er, „werde ihn aber gleich
fragen.“ Um’s Himmelswillen nicht, bat ich, er war
aber ſchon fort, fühlte des Mannes Hand, der ſich
nicht rührte, und kam dann lachend wieder, indem er
ſagte: „der iſt kurirt, denn er iſt todt.“

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[272/0294] diejenigen Kranken, welche des Arztes, den obern, die des Chirurgus bedurften. Das Operationszim- mer war beſonders elegant, und mit mehreren Robi- nets in den Wänden und darunter ſtehenden Mar- morbecken verſehen, um auf allen Seiten das Blut ſogleich abwaſchen zu können. Eine Mahagoni-Stel- lage in der Mitte, mit Saffiankiſſen, iſt für die zu Schneidenden beſtimmt. Es war in der That Alles für Liebhaber ſo einladend als möglich gemacht. So wohlthätig übrigens dieſes Handwerk iſt, ſo werden doch in der Regel die Chirurgen dadurch ein wenig fühllos. Der welcher mich begleitete, machte davon keine Ausnahme. So bemerkte ich unter anderm, in einem der Säle eine Frau, die ſich ganz mit einem Tuche zugedeckt hatte, und frug ihn leiſe, was ihr fehle? „O“, erwiederte er ganz laut, „die iſt inkurabel an einer Pulsadergeſchwulſt; ſobald dieſe berſtet muß ſie ſterben.“ An dem Zucken und leiſen Stöh- nen unter dem Tuche, konnte ich wohl abnehmen, wie ſchmerzlich die Nachricht wirkte, und bereuete meine Frage. Als wir nachher zu den Männern kamen, ſah ich Einen davon, ſchlohweiß und völlig wie eine Marmorſtatüe, im Bette liegen, und da wir diesmal noch weit entfernt waren, erkundigte ich mich abermals nach der Beſchaffenheit dieſer Krankheit. „Ich weiß es ſelbſt nicht“, rief er, „werde ihn aber gleich fragen.“ Um’s Himmelswillen nicht, bat ich, er war aber ſchon fort, fühlte des Mannes Hand, der ſich nicht rührte, und kam dann lachend wieder, indem er ſagte: „der iſt kurirt, denn er iſt todt.“

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/294>, abgerufen am 22.11.2024.