len weit, bis eine Stunde vor Monmouth, wo sie mit einem einzeln stehenden Colosse schließt, welcher der Kopf des Druiden genannt wird. Von einem gewissen Puncte gesehen, zeigt er nämlich das schöne, antike Profil eines Greises, der in tiefem Schlaf ver- sunken scheint. -- Als wir vorbeifuhren, stieg eben der Mond über ihn empor, und gab ihm einen er- greifenden Ausdruck. Wie lange, dachte ich, sind dieses Schläfers Augen schon geschlossen, wie oft mag seitdem der Mond sein bleiches Antlitz bestrahlt, und was mag in uralten Zeiten sein Auge gesehen haben, wenn es je offen stand! Ich zweifelte daran in die- sem Augenblick gar nicht, der Glaube war über mich gekommen und hatte mich selig gemacht, denn der heilige Augustin hat ganz recht, wenn er sagt: Eben deswegen glaube ich es, weil es kindisch und unmöglich ist! Ja, es war so, der todte Stein hatte für mich mehr Leben gewonnen, als alle wirk- lich lebenden Figuren um mich her.
Eine kurze Zeit lang fuhren wir nun zwischen verengten, dicht vom Wasser bis zur Spitze bewal- deten Ufern, hin, bis eine große kahle Felsenplatte sichtbar wurde, die König Arthurs Ebne genannt wird, weil der fabelhafte Held hier sein Lager aufge- schlagen haben soll. Eine halbe Stunde darauf lang- ten wir in Monmouth an, einer kleinen alterthümli- chen Stadt, in der Heinrich der V. geboren wurde. Seine hohe Statue prangt auf dem Dache des Rath- hauses; von dem Schloße aber, in dem er das Licht
len weit, bis eine Stunde vor Monmouth, wo ſie mit einem einzeln ſtehenden Coloſſe ſchließt, welcher der Kopf des Druiden genannt wird. Von einem gewiſſen Puncte geſehen, zeigt er nämlich das ſchöne, antike Profil eines Greiſes, der in tiefem Schlaf ver- ſunken ſcheint. — Als wir vorbeifuhren, ſtieg eben der Mond über ihn empor, und gab ihm einen er- greifenden Ausdruck. Wie lange, dachte ich, ſind dieſes Schläfers Augen ſchon geſchloſſen, wie oft mag ſeitdem der Mond ſein bleiches Antlitz beſtrahlt, und was mag in uralten Zeiten ſein Auge geſehen haben, wenn es je offen ſtand! Ich zweifelte daran in die- ſem Augenblick gar nicht, der Glaube war über mich gekommen und hatte mich ſelig gemacht, denn der heilige Auguſtin hat ganz recht, wenn er ſagt: Eben deswegen glaube ich es, weil es kindiſch und unmöglich iſt! Ja, es war ſo, der todte Stein hatte für mich mehr Leben gewonnen, als alle wirk- lich lebenden Figuren um mich her.
Eine kurze Zeit lang fuhren wir nun zwiſchen verengten, dicht vom Waſſer bis zur Spitze bewal- deten Ufern, hin, bis eine große kahle Felſenplatte ſichtbar wurde, die König Arthurs Ebne genannt wird, weil der fabelhafte Held hier ſein Lager aufge- ſchlagen haben ſoll. Eine halbe Stunde darauf lang- ten wir in Monmouth an, einer kleinen alterthümli- chen Stadt, in der Heinrich der V. geboren wurde. Seine hohe Statue prangt auf dem Dache des Rath- hauſes; von dem Schloße aber, in dem er das Licht
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len weit, bis eine Stunde vor Monmouth, wo ſie
mit einem einzeln ſtehenden Coloſſe ſchließt, welcher
der Kopf des Druiden genannt wird. Von einem
gewiſſen Puncte geſehen, zeigt er nämlich das ſchöne,
antike Profil eines Greiſes, der in tiefem Schlaf ver-
ſunken ſcheint. — Als wir vorbeifuhren, ſtieg eben
der Mond über ihn empor, und gab ihm einen er-
greifenden Ausdruck. Wie lange, dachte ich, ſind
dieſes Schläfers Augen ſchon geſchloſſen, wie oft mag
ſeitdem der Mond ſein bleiches Antlitz beſtrahlt, und
was mag in uralten Zeiten ſein Auge geſehen haben,
wenn es je offen ſtand! Ich zweifelte daran in die-
ſem Augenblick gar nicht, der Glaube war über mich
gekommen und hatte mich ſelig gemacht, denn der
heilige Auguſtin hat ganz recht, wenn er ſagt: Eben
deswegen glaube ich es, weil es kindiſch und
unmöglich iſt! Ja, es war ſo, der todte Stein
hatte für mich mehr Leben gewonnen, als alle wirk-
lich lebenden Figuren um mich her.
Eine kurze Zeit lang fuhren wir nun zwiſchen
verengten, dicht vom Waſſer bis zur Spitze bewal-
deten Ufern, hin, bis eine große kahle Felſenplatte
ſichtbar wurde, die König Arthurs Ebne genannt
wird, weil der fabelhafte Held hier ſein Lager aufge-
ſchlagen haben ſoll. Eine halbe Stunde darauf lang-
ten wir in Monmouth an, einer kleinen alterthümli-
chen Stadt, in der Heinrich der V. geboren wurde.
Seine hohe Statue prangt auf dem Dache des Rath-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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