Ich fand auch einen Brief von Dir, klage aber daß Du mir zu wenig Details schreihst! Bedenke doch, daß jede Kleinigkeit von dort mir werth ist. Ob mein Lieblingspferd wohl ist, meine süße Freun- din (die perruche) noch zuweilen meinen Namen ruft, Dein Haustyrann Fancy mehr oder weniger unartig, die Papageyen in good spirits, die neuen Pflanzungen gut gewachsen, die Badegäste fröhlich gewesen sind, alles das hat, ein paar hundert Meilen weit, bedeutendes Interesse. Um aber davon etwas zu erfahren, sehe ich wohl ein, daß ich Dich einmal, wenn auch nur auf einen Tag lang, überraschen muß. Du weißt, ich hasse Scenen und Feierliches, also auch geräuschvollen Empfang, wie alles Abschiednehmen -- un beau matin also, wirst Du mich in Deinem Früh- stücks-Sallon etablirt finden, wo ich Dich scherzend und neckend empfangen will, als sey die lange Reise nur ein Traum gewesen, et toute la vie helas! est elle autre chose? Ganz im Ernst, man sollte alle solche Dinge weit gleichgültiger und behaglicher neh- men, als man thun zu können glaubt. Ein engli- scher Dandy diene Dir darin zum Muster. Sein bester Freund und Regimentskamerad ging nach In- dien, und als dieser, gerührt von ihm Abschied neh- mend, in hoher Bewegung seine beiden Hände ergrei- fen wollte, um sie zum letztenmal vielleicht zu schüt- teln, hielt der Incroyable ihm, halb abwehrend, nur die Fingerspitzen hin, indem er lächelnd lispelte: "Sonderbare und höchst fatiguante englische Gewohn-
Ich fand auch einen Brief von Dir, klage aber daß Du mir zu wenig Details ſchreihſt! Bedenke doch, daß jede Kleinigkeit von dort mir werth iſt. Ob mein Lieblingspferd wohl iſt, meine ſüße Freun- din (die perruche) noch zuweilen meinen Namen ruft, Dein Haustyrann Fancy mehr oder weniger unartig, die Papageyen in good spirits, die neuen Pflanzungen gut gewachſen, die Badegäſte fröhlich geweſen ſind, alles das hat, ein paar hundert Meilen weit, bedeutendes Intereſſe. Um aber davon etwas zu erfahren, ſehe ich wohl ein, daß ich Dich einmal, wenn auch nur auf einen Tag lang, überraſchen muß. Du weißt, ich haſſe Scenen und Feierliches, alſo auch geräuſchvollen Empfang, wie alles Abſchiednehmen — un beau matin alſo, wirſt Du mich in Deinem Früh- ſtücks-Sallon etablirt finden, wo ich Dich ſcherzend und neckend empfangen will, als ſey die lange Reiſe nur ein Traum geweſen, et toute la vie hélas! est elle autre chose? Ganz im Ernſt, man ſollte alle ſolche Dinge weit gleichgültiger und behaglicher neh- men, als man thun zu können glaubt. Ein engli- ſcher Dandy diene Dir darin zum Muſter. Sein beſter Freund und Regimentskamerad ging nach In- dien, und als dieſer, gerührt von ihm Abſchied neh- mend, in hoher Bewegung ſeine beiden Hände ergrei- fen wollte, um ſie zum letztenmal vielleicht zu ſchüt- teln, hielt der Incroyable ihm, halb abwehrend, nur die Fingerſpitzen hin, indem er lächelnd lispelte: „Sonderbare und höchſt fatiguante engliſche Gewohn-
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Ich fand auch einen Brief von Dir, klage aber
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doch, daß jede Kleinigkeit von dort mir werth iſt.
Ob mein Lieblingspferd wohl iſt, meine ſüße Freun-
din (die perruche) noch zuweilen meinen Namen
ruft, Dein Haustyrann Fancy mehr oder weniger
unartig, die Papageyen in good spirits, die neuen
Pflanzungen gut gewachſen, die Badegäſte fröhlich
geweſen ſind, alles das hat, ein paar hundert Meilen
weit, bedeutendes Intereſſe. Um aber davon etwas
zu erfahren, ſehe ich wohl ein, daß ich Dich einmal,
wenn auch nur auf einen Tag lang, überraſchen muß.
Du weißt, ich haſſe Scenen und Feierliches, alſo auch
geräuſchvollen Empfang, wie alles Abſchiednehmen —
un beau matin alſo, wirſt Du mich in Deinem Früh-
ſtücks-Sallon etablirt finden, wo ich Dich ſcherzend
und neckend empfangen will, als ſey die lange Reiſe
nur ein Traum geweſen, et toute la vie hélas! est
elle autre chose? Ganz im Ernſt, man ſollte alle
ſolche Dinge weit gleichgültiger und behaglicher neh-
men, als man thun zu können glaubt. Ein engli-
ſcher Dandy diene Dir darin zum Muſter. Sein
beſter Freund und Regimentskamerad ging nach In-
dien, und als dieſer, gerührt von ihm Abſchied neh-
mend, in hoher Bewegung ſeine beiden Hände ergrei-
fen wollte, um ſie zum letztenmal vielleicht zu ſchüt-
teln, hielt der Incroyable ihm, halb abwehrend, nur
die Fingerſpitzen hin, indem er lächelnd lispelte:
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/212>, abgerufen am 25.11.2024.
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