Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

lienische Musik mit, die sie sangen wie Nachtigallen,
und doch dabei eben so anspruchslos als natürlich
blieben. Ihr Vater ist ein hochgeschätzter Arzt, und
wie hier die meisten Doktoren von Bedeutung, Ba-
ronet oder Sir, ein Titel der, beiläufig gesagt, in
England gar nicht zum Adel gerechnet wird, ob-
gleich sehr alte und angesehene Familien sich darunter
befinden, aber auch Creti und Pleti, wie bei unserm
niedrigen Adel. Ein solcher Sir wird gewöhnlich
nicht bei seinem Familien- sondern Vornamen ge-
nannt, als z. B. Sir Charles, Sir Anthony, wie
man in Wien: Graf Tinterle, Fürst Muckerle u. s. w.
zu sagen pflegt. Der ärztliche Ritter, von dem ich
jetzt spreche, hat diesen Titel für die Anlegung einer
sehr guten Badeanstalt erhalten, die sich in seinem
Hinterhause befindet, und ist dabei ein interessanter
Mann. Noch geistreicher scheint mir seine Frau, die
ihrer berühmten Verwandtin in richtigem Takt und
Urtheil überlegen ist, und ein großes Nachahmungs-
Talent besitzt, mit dessen komischer Anwendung sie
selbst ihre eigene Familie nicht immer verschont. Die
Töchter, obgleich ganz verschieden, sind doch beide sehr
originell, die eine im sanften, die andere im wilden
genre, weshalb ich sie auch nur: Lady M . . . . s
wild 1rish girl, zu nennen pflege, alle drei aber zei-
gen eine charakteristische Nationalität, *) haben auch
Irland nie verlassen.

*) Diese ist in der großen Welt hier sehr selten anzu-

lieniſche Muſik mit, die ſie ſangen wie Nachtigallen,
und doch dabei eben ſo anſpruchslos als natürlich
blieben. Ihr Vater iſt ein hochgeſchätzter Arzt, und
wie hier die meiſten Doktoren von Bedeutung, Ba-
ronet oder Sir, ein Titel der, beiläufig geſagt, in
England gar nicht zum Adel gerechnet wird, ob-
gleich ſehr alte und angeſehene Familien ſich darunter
befinden, aber auch Creti und Pleti, wie bei unſerm
niedrigen Adel. Ein ſolcher Sir wird gewöhnlich
nicht bei ſeinem Familien- ſondern Vornamen ge-
nannt, als z. B. Sir Charles, Sir Anthony, wie
man in Wien: Graf Tinterle, Fürſt Muckerle u. ſ. w.
zu ſagen pflegt. Der ärztliche Ritter, von dem ich
jetzt ſpreche, hat dieſen Titel für die Anlegung einer
ſehr guten Badeanſtalt erhalten, die ſich in ſeinem
Hinterhauſe befindet, und iſt dabei ein intereſſanter
Mann. Noch geiſtreicher ſcheint mir ſeine Frau, die
ihrer berühmten Verwandtin in richtigem Takt und
Urtheil überlegen iſt, und ein großes Nachahmungs-
Talent beſitzt, mit deſſen komiſcher Anwendung ſie
ſelbſt ihre eigene Familie nicht immer verſchont. Die
Töchter, obgleich ganz verſchieden, ſind doch beide ſehr
originell, die eine im ſanften, die andere im wilden
genre, weshalb ich ſie auch nur: Lady M . . . . s
wild 1rish girl, zu nennen pflege, alle drei aber zei-
gen eine charakteriſtiſche Nationalität, *) haben auch
Irland nie verlaſſen.

*) Dieſe iſt in der großen Welt hier ſehr ſelten anzu-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0195" n="173"/>
lieni&#x017F;che Mu&#x017F;ik mit, die &#x017F;ie &#x017F;angen wie Nachtigallen,<lb/>
und doch dabei eben &#x017F;o an&#x017F;pruchslos als natürlich<lb/>
blieben. Ihr Vater i&#x017F;t ein hochge&#x017F;chätzter Arzt, und<lb/>
wie hier die mei&#x017F;ten Doktoren von Bedeutung, Ba-<lb/>
ronet oder Sir, ein Titel der, beiläufig ge&#x017F;agt, in<lb/>
England gar nicht zum Adel gerechnet wird, ob-<lb/>
gleich &#x017F;ehr alte und ange&#x017F;ehene Familien &#x017F;ich darunter<lb/>
befinden, aber auch Creti und Pleti, wie bei un&#x017F;erm<lb/>
niedrigen Adel. Ein &#x017F;olcher Sir wird gewöhnlich<lb/>
nicht bei &#x017F;einem Familien- &#x017F;ondern Vornamen ge-<lb/>
nannt, als z. B. Sir Charles, Sir Anthony, wie<lb/>
man in Wien: Graf Tinterle, Für&#x017F;t Muckerle u. &#x017F;. w.<lb/>
zu &#x017F;agen pflegt. Der ärztliche Ritter, von dem ich<lb/>
jetzt &#x017F;preche, hat die&#x017F;en Titel für die Anlegung einer<lb/>
&#x017F;ehr guten Badean&#x017F;talt erhalten, die &#x017F;ich in &#x017F;einem<lb/>
Hinterhau&#x017F;e befindet, und i&#x017F;t dabei ein intere&#x017F;&#x017F;anter<lb/>
Mann. Noch gei&#x017F;treicher &#x017F;cheint mir &#x017F;eine Frau, die<lb/>
ihrer berühmten Verwandtin in richtigem Takt und<lb/>
Urtheil überlegen i&#x017F;t, und ein großes Nachahmungs-<lb/>
Talent be&#x017F;itzt, mit de&#x017F;&#x017F;en komi&#x017F;cher Anwendung &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ihre eigene Familie nicht immer ver&#x017F;chont. Die<lb/>
Töchter, obgleich ganz ver&#x017F;chieden, &#x017F;ind doch beide &#x017F;ehr<lb/>
originell, die eine im &#x017F;anften, die andere im wilden<lb/><hi rendition="#aq">genre,</hi> weshalb ich &#x017F;ie auch nur: Lady M . . . . s<lb/><hi rendition="#aq">wild 1rish girl,</hi> zu nennen pflege, alle drei aber zei-<lb/>
gen eine charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Nationalität, <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="*)">Die&#x017F;e i&#x017F;t in der großen Welt hier &#x017F;ehr &#x017F;elten anzu-</note> haben auch<lb/>
Irland nie verla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0195] lieniſche Muſik mit, die ſie ſangen wie Nachtigallen, und doch dabei eben ſo anſpruchslos als natürlich blieben. Ihr Vater iſt ein hochgeſchätzter Arzt, und wie hier die meiſten Doktoren von Bedeutung, Ba- ronet oder Sir, ein Titel der, beiläufig geſagt, in England gar nicht zum Adel gerechnet wird, ob- gleich ſehr alte und angeſehene Familien ſich darunter befinden, aber auch Creti und Pleti, wie bei unſerm niedrigen Adel. Ein ſolcher Sir wird gewöhnlich nicht bei ſeinem Familien- ſondern Vornamen ge- nannt, als z. B. Sir Charles, Sir Anthony, wie man in Wien: Graf Tinterle, Fürſt Muckerle u. ſ. w. zu ſagen pflegt. Der ärztliche Ritter, von dem ich jetzt ſpreche, hat dieſen Titel für die Anlegung einer ſehr guten Badeanſtalt erhalten, die ſich in ſeinem Hinterhauſe befindet, und iſt dabei ein intereſſanter Mann. Noch geiſtreicher ſcheint mir ſeine Frau, die ihrer berühmten Verwandtin in richtigem Takt und Urtheil überlegen iſt, und ein großes Nachahmungs- Talent beſitzt, mit deſſen komiſcher Anwendung ſie ſelbſt ihre eigene Familie nicht immer verſchont. Die Töchter, obgleich ganz verſchieden, ſind doch beide ſehr originell, die eine im ſanften, die andere im wilden genre, weshalb ich ſie auch nur: Lady M . . . . s wild 1rish girl, zu nennen pflege, alle drei aber zei- gen eine charakteriſtiſche Nationalität, *) haben auch Irland nie verlaſſen. *) Dieſe iſt in der großen Welt hier ſehr ſelten anzu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/195
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/195>, abgerufen am 23.11.2024.