Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

nung des Tageslichts hineinließen. Die andern Bei-
den aber wurden unruhig; sie fühlten, es gäbe noch
etwas Besseres und Schöneres außerhalb, und ent-
schlossen sich endlich die hohe Mauer, es koste was
es wolle, zu übersteigen. Wohlversehen auf lange
mit Allem, was sie nöthig zu haben glaubten, be-
gannen sie die große Unternehmung. Viele Gefahr,
vieles Ungemach mußten sie ausstehen, -- doch end-
lich erreichten sie glücklich die Höhe. Hier gewahrten
sie nun zwar der Sonne glänzendes Gestirn, aber
Wolken verbargen es oft, und auch das schöne Grün
der Wiesen unter ihnen ward oft unterbrochen, durch
Unkraut und stachlichtes Gebüsch, wo wilde gefahr-
volle Thiere lauschend umherschlichen. Doch nichts
konnte den Zweiten der Drei entmuthigen, noch von
seinem Vornehmen abschrecken; die innere Geistes-
stimme besiegte alle Furcht und jeden Zweifel. Wohl-
gemuth ließ er sich hinab, in die neue Welt, und da
er, um ganz ungehindert zu seyn, alles Mitgenommene
zurück gelassen hatte, verschwand er, leichten Fußes,
bald in dem heiligen Hain. Aber der Dritte -- der
sitzt noch immer auf der Mauer, zwischen Himmel
und Erde, von der mitgebrachten Nahrung zehrend,
und sich an dem mitgebrachten Flitter weidend, von
dem er sich nicht losreißen kann, obgleich die Strah-
len der Sonne, die jetzt ungehindert auf den falschen
Tand fallen, ihn schon weit unscheinlicher gemacht.
Wie das Thier der Fabel schwankt er zwischen den
zwei Heubündeln, ohne zu wissen, welchem er sich
gänzlich zuwenden soll. Zurück kann er nicht mehr,

nung des Tageslichts hineinließen. Die andern Bei-
den aber wurden unruhig; ſie fühlten, es gäbe noch
etwas Beſſeres und Schöneres außerhalb, und ent-
ſchloſſen ſich endlich die hohe Mauer, es koſte was
es wolle, zu überſteigen. Wohlverſehen auf lange
mit Allem, was ſie nöthig zu haben glaubten, be-
gannen ſie die große Unternehmung. Viele Gefahr,
vieles Ungemach mußten ſie ausſtehen, — doch end-
lich erreichten ſie glücklich die Höhe. Hier gewahrten
ſie nun zwar der Sonne glänzendes Geſtirn, aber
Wolken verbargen es oft, und auch das ſchöne Grün
der Wieſen unter ihnen ward oft unterbrochen, durch
Unkraut und ſtachlichtes Gebüſch, wo wilde gefahr-
volle Thiere lauſchend umherſchlichen. Doch nichts
konnte den Zweiten der Drei entmuthigen, noch von
ſeinem Vornehmen abſchrecken; die innere Geiſtes-
ſtimme beſiegte alle Furcht und jeden Zweifel. Wohl-
gemuth ließ er ſich hinab, in die neue Welt, und da
er, um ganz ungehindert zu ſeyn, alles Mitgenommene
zurück gelaſſen hatte, verſchwand er, leichten Fußes,
bald in dem heiligen Hain. Aber der Dritte — der
ſitzt noch immer auf der Mauer, zwiſchen Himmel
und Erde, von der mitgebrachten Nahrung zehrend,
und ſich an dem mitgebrachten Flitter weidend, von
dem er ſich nicht losreißen kann, obgleich die Strah-
len der Sonne, die jetzt ungehindert auf den falſchen
Tand fallen, ihn ſchon weit unſcheinlicher gemacht.
Wie das Thier der Fabel ſchwankt er zwiſchen den
zwei Heubündeln, ohne zu wiſſen, welchem er ſich
gänzlich zuwenden ſoll. Zurück kann er nicht mehr,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0176" n="154"/>
nung des Tageslichts hineinließen. Die andern Bei-<lb/>
den aber wurden unruhig; &#x017F;ie fühlten, es gäbe noch<lb/>
etwas Be&#x017F;&#x017F;eres und Schöneres außerhalb, und ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich endlich die hohe Mauer, es ko&#x017F;te was<lb/>
es wolle, zu über&#x017F;teigen. Wohlver&#x017F;ehen auf lange<lb/>
mit Allem, was &#x017F;ie nöthig zu haben glaubten, be-<lb/>
gannen &#x017F;ie die große Unternehmung. Viele Gefahr,<lb/>
vieles Ungemach mußten &#x017F;ie aus&#x017F;tehen, &#x2014; doch end-<lb/>
lich erreichten &#x017F;ie glücklich die Höhe. Hier gewahrten<lb/>
&#x017F;ie nun zwar der Sonne glänzendes Ge&#x017F;tirn, aber<lb/>
Wolken verbargen es oft, und auch das &#x017F;chöne Grün<lb/>
der Wie&#x017F;en unter ihnen ward oft unterbrochen, durch<lb/>
Unkraut und &#x017F;tachlichtes Gebü&#x017F;ch, wo wilde gefahr-<lb/>
volle Thiere lau&#x017F;chend umher&#x017F;chlichen. Doch nichts<lb/>
konnte den Zweiten der Drei entmuthigen, noch von<lb/>
&#x017F;einem Vornehmen ab&#x017F;chrecken; die innere Gei&#x017F;tes-<lb/>
&#x017F;timme be&#x017F;iegte alle Furcht und jeden Zweifel. Wohl-<lb/>
gemuth ließ er &#x017F;ich hinab, in die neue Welt, und da<lb/>
er, um ganz ungehindert zu &#x017F;eyn, alles Mitgenommene<lb/>
zurück gela&#x017F;&#x017F;en hatte, ver&#x017F;chwand er, leichten Fußes,<lb/>
bald in dem heiligen Hain. Aber der Dritte &#x2014; der<lb/>
&#x017F;itzt noch immer auf der Mauer, zwi&#x017F;chen Himmel<lb/>
und Erde, von der mitgebrachten Nahrung zehrend,<lb/>
und &#x017F;ich an dem mitgebrachten Flitter weidend, von<lb/>
dem er &#x017F;ich nicht losreißen kann, obgleich die Strah-<lb/>
len der Sonne, die jetzt ungehindert auf den fal&#x017F;chen<lb/>
Tand fallen, ihn &#x017F;chon weit un&#x017F;cheinlicher gemacht.<lb/>
Wie das Thier der Fabel &#x017F;chwankt er zwi&#x017F;chen den<lb/>
zwei Heubündeln, ohne zu wi&#x017F;&#x017F;en, welchem er &#x017F;ich<lb/>
gänzlich zuwenden &#x017F;oll. Zurück kann er nicht mehr,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0176] nung des Tageslichts hineinließen. Die andern Bei- den aber wurden unruhig; ſie fühlten, es gäbe noch etwas Beſſeres und Schöneres außerhalb, und ent- ſchloſſen ſich endlich die hohe Mauer, es koſte was es wolle, zu überſteigen. Wohlverſehen auf lange mit Allem, was ſie nöthig zu haben glaubten, be- gannen ſie die große Unternehmung. Viele Gefahr, vieles Ungemach mußten ſie ausſtehen, — doch end- lich erreichten ſie glücklich die Höhe. Hier gewahrten ſie nun zwar der Sonne glänzendes Geſtirn, aber Wolken verbargen es oft, und auch das ſchöne Grün der Wieſen unter ihnen ward oft unterbrochen, durch Unkraut und ſtachlichtes Gebüſch, wo wilde gefahr- volle Thiere lauſchend umherſchlichen. Doch nichts konnte den Zweiten der Drei entmuthigen, noch von ſeinem Vornehmen abſchrecken; die innere Geiſtes- ſtimme beſiegte alle Furcht und jeden Zweifel. Wohl- gemuth ließ er ſich hinab, in die neue Welt, und da er, um ganz ungehindert zu ſeyn, alles Mitgenommene zurück gelaſſen hatte, verſchwand er, leichten Fußes, bald in dem heiligen Hain. Aber der Dritte — der ſitzt noch immer auf der Mauer, zwiſchen Himmel und Erde, von der mitgebrachten Nahrung zehrend, und ſich an dem mitgebrachten Flitter weidend, von dem er ſich nicht losreißen kann, obgleich die Strah- len der Sonne, die jetzt ungehindert auf den falſchen Tand fallen, ihn ſchon weit unſcheinlicher gemacht. Wie das Thier der Fabel ſchwankt er zwiſchen den zwei Heubündeln, ohne zu wiſſen, welchem er ſich gänzlich zuwenden ſoll. Zurück kann er nicht mehr,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/176
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/176>, abgerufen am 22.11.2024.