Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Den andern Morgen um 9 Uhr setzte ich mich, bei
ziemlich versprechender Witterung, auf einen char-a-
banc
mit zwei inländischen Pferden bespannt, die ein
kleiner Junge führte, welcher kein Wort englisch ver-
stand. Wie toll jagte er im train de chasse über
schmale Seitenwege durch die felsige Gegend. All
mein Rufen war vergebens, und schien ganz entge-
gen gesetz[ - 1 Zeichen fehlt] von ihm interpretirt zu werden, so daß
wir die neun Meilen bis zum See von Llanberris,
in weniger als einer halben Stunde, über Stock und
Stein, zurücklegten. Ich begreife jetzt noch kaum,
wie Wagen und Pferde es ausgehalten haben. An
den Fischerhütten, die hier zerstreut und einsam lie-
gen, erwartete mich ein sanfteres Fuhrwerk, nämlich
ein nettes Boot, auf welchen ich mich mit zwei rü-
stigen Bergbewohnern einschiffte. Der Snowdon lag
jetzt vor uns, hatte aber leider, wie die Leute es
nannten, seine Nachtmütze über den Kopf gezogen,
während die umgebenden niederen Verge im hellsten
Sonnenscheine glänzten. Er ist zwar nur gegen vier
tausend Fuß hoch, erscheint aber deswegen weit an-
sehnlicher, weil er seine ganze Höhe ohne Absatz vom
Seeufer hinan steigt, während andere Berge dieses
Ranges ihre Spitze gewöhnlich erst von einer schon
hohen Basis erheben. Die Ueberfahrt bis zu dem
kleinen Gasthofe am Fuße des Snowdon ist drei
Meilen lang, und da der Wind heftig wehte, ging es
sehr langsam und schwankend vorwärts. Das Wasser
des Sees ist so schwarz als Tinte, die Berge kahl
und mit Steinen besäet, nur mit wenigen grünen

Briefe eines Verstorbenen I. 5

Den andern Morgen um 9 Uhr ſetzte ich mich, bei
ziemlich verſprechender Witterung, auf einen char-a-
banc
mit zwei inländiſchen Pferden beſpannt, die ein
kleiner Junge führte, welcher kein Wort engliſch ver-
ſtand. Wie toll jagte er im train de chasse über
ſchmale Seitenwege durch die felſige Gegend. All
mein Rufen war vergebens, und ſchien ganz entge-
gen geſetz[ – 1 Zeichen fehlt] von ihm interpretirt zu werden, ſo daß
wir die neun Meilen bis zum See von Llanberris,
in weniger als einer halben Stunde, über Stock und
Stein, zurücklegten. Ich begreife jetzt noch kaum,
wie Wagen und Pferde es ausgehalten haben. An
den Fiſcherhütten, die hier zerſtreut und einſam lie-
gen, erwartete mich ein ſanfteres Fuhrwerk, nämlich
ein nettes Boot, auf welchen ich mich mit zwei rü-
ſtigen Bergbewohnern einſchiffte. Der Snowdon lag
jetzt vor uns, hatte aber leider, wie die Leute es
nannten, ſeine Nachtmütze über den Kopf gezogen,
während die umgebenden niederen Verge im hellſten
Sonnenſcheine glänzten. Er iſt zwar nur gegen vier
tauſend Fuß hoch, erſcheint aber deswegen weit an-
ſehnlicher, weil er ſeine ganze Höhe ohne Abſatz vom
Seeufer hinan ſteigt, während andere Berge dieſes
Ranges ihre Spitze gewöhnlich erſt von einer ſchon
hohen Baſis erheben. Die Ueberfahrt bis zu dem
kleinen Gaſthofe am Fuße des Snowdon iſt drei
Meilen lang, und da der Wind heftig wehte, ging es
ſehr langſam und ſchwankend vorwärts. Das Waſſer
des Sees iſt ſo ſchwarz als Tinte, die Berge kahl
und mit Steinen beſäet, nur mit wenigen grünen

Briefe eines Verſtorbenen I. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0089" n="65"/>
          <p>Den andern Morgen um 9 Uhr &#x017F;etzte ich mich, bei<lb/>
ziemlich ver&#x017F;prechender Witterung, auf einen <hi rendition="#aq">char-a-<lb/>
banc</hi> mit zwei inländi&#x017F;chen Pferden be&#x017F;pannt, die ein<lb/>
kleiner Junge führte, welcher kein Wort engli&#x017F;ch ver-<lb/>
&#x017F;tand. Wie toll jagte er im <hi rendition="#aq">train de chasse</hi> über<lb/>
&#x017F;chmale Seitenwege durch die fel&#x017F;ige Gegend. All<lb/>
mein Rufen war vergebens, und &#x017F;chien ganz entge-<lb/>
gen ge&#x017F;etz<gap unit="chars" quantity="1"/> von ihm interpretirt zu werden, &#x017F;o daß<lb/>
wir die neun Meilen bis zum See von Llanberris,<lb/>
in weniger als einer halben Stunde, über Stock und<lb/>
Stein, zurücklegten. Ich begreife jetzt noch kaum,<lb/>
wie Wagen und Pferde es ausgehalten haben. An<lb/>
den Fi&#x017F;cherhütten, die hier zer&#x017F;treut und ein&#x017F;am lie-<lb/>
gen, erwartete mich ein &#x017F;anfteres Fuhrwerk, <choice><sic>na&#x0307;mlich</sic><corr>nämlich</corr></choice><lb/>
ein nettes Boot, auf welchen ich mich mit zwei rü-<lb/>
&#x017F;tigen Bergbewohnern ein&#x017F;chiffte. Der Snowdon lag<lb/>
jetzt vor uns, hatte aber leider, wie die Leute es<lb/>
nannten, &#x017F;eine Nachtmütze über den Kopf gezogen,<lb/>
während die umgebenden niederen Verge im hell&#x017F;ten<lb/>
Sonnen&#x017F;cheine glänzten. Er i&#x017F;t zwar nur gegen vier<lb/>
tau&#x017F;end Fuß hoch, er&#x017F;cheint aber deswegen weit an-<lb/>
&#x017F;ehnlicher, weil er &#x017F;eine ganze Höhe ohne Ab&#x017F;atz vom<lb/>
Seeufer hinan &#x017F;teigt, während andere Berge die&#x017F;es<lb/>
Ranges ihre Spitze gewöhnlich er&#x017F;t von einer &#x017F;chon<lb/>
hohen Ba&#x017F;is erheben. Die Ueberfahrt bis zu dem<lb/>
kleinen Ga&#x017F;thofe am Fuße des Snowdon i&#x017F;t drei<lb/>
Meilen lang, und da der Wind heftig wehte, ging es<lb/>
&#x017F;ehr lang&#x017F;am und &#x017F;chwankend vorwärts. Das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
des Sees i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;chwarz als Tinte, die Berge kahl<lb/>
und mit Steinen <choice><sic>be&#x017F;a&#x0307;et</sic><corr>be&#x017F;äet</corr></choice>, nur mit wenigen grünen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen <hi rendition="#aq">I.</hi> 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0089] Den andern Morgen um 9 Uhr ſetzte ich mich, bei ziemlich verſprechender Witterung, auf einen char-a- banc mit zwei inländiſchen Pferden beſpannt, die ein kleiner Junge führte, welcher kein Wort engliſch ver- ſtand. Wie toll jagte er im train de chasse über ſchmale Seitenwege durch die felſige Gegend. All mein Rufen war vergebens, und ſchien ganz entge- gen geſetz_ von ihm interpretirt zu werden, ſo daß wir die neun Meilen bis zum See von Llanberris, in weniger als einer halben Stunde, über Stock und Stein, zurücklegten. Ich begreife jetzt noch kaum, wie Wagen und Pferde es ausgehalten haben. An den Fiſcherhütten, die hier zerſtreut und einſam lie- gen, erwartete mich ein ſanfteres Fuhrwerk, nämlich ein nettes Boot, auf welchen ich mich mit zwei rü- ſtigen Bergbewohnern einſchiffte. Der Snowdon lag jetzt vor uns, hatte aber leider, wie die Leute es nannten, ſeine Nachtmütze über den Kopf gezogen, während die umgebenden niederen Verge im hellſten Sonnenſcheine glänzten. Er iſt zwar nur gegen vier tauſend Fuß hoch, erſcheint aber deswegen weit an- ſehnlicher, weil er ſeine ganze Höhe ohne Abſatz vom Seeufer hinan ſteigt, während andere Berge dieſes Ranges ihre Spitze gewöhnlich erſt von einer ſchon hohen Baſis erheben. Die Ueberfahrt bis zu dem kleinen Gaſthofe am Fuße des Snowdon iſt drei Meilen lang, und da der Wind heftig wehte, ging es ſehr langſam und ſchwankend vorwärts. Das Waſſer des Sees iſt ſo ſchwarz als Tinte, die Berge kahl und mit Steinen beſäet, nur mit wenigen grünen Briefe eines Verſtorbenen I. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/89
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/89>, abgerufen am 23.11.2024.