Doch um auf die gelehrte und liebenswürdige Dame zurückzukommen, von der eben die Rede war, so spielte zu der Zeit, als ich in den dortigen Regionen verweilte, um die Wintersonne ihres Hof- und Schriftglanzes, ein seltsamer Insektenschwarm, in der großen Welt eine Cotterie genannt -- welche, soviel ich weiß, noch jetzt als Grundsatz aufstellt (wer hätte heut zu Tage nicht Grundsätze!): daß der Adel wirk- lich von einer andern Sorte Blut, als andre Men- schen, durchströmt werde, und nur höchstens im Wege der Impfung ein gemeiner Baum noch ver- edelt werden möge, z. B. durch natürliche Kinder großer Herren u. s. w. Dieser Adel bleibe also vor allem rein und abgeschlossen, lehrt sie, er entehre sich weder durch Industrie noch gemeinnützige Spekula- tionen, welches eine gewisse Frau von Tonne, in einer fehr gehaltreichen Schrift, als einen Haupt- grund des Verfalles des Adels im Lande aufführt. Etwas schriftstellern und künstlern (auch für Geld, ja selbst für bürgerliches Geld) bleibt jedoch dem Adel erlaubt, wie man überhaupt Künstlern eine Mittelstufe zwischen Adelichen und Bürgerlichen ge- stattet. Konstitutioneller, hoher Adel und repräsen- tative Verfassung ist dagegen keineswegs nach dem Geschmack dieser Parthei, aus dem sehr natürlichen Grunde, weil unter solchen fatalen Umständen ihr eigner Adel, dessen Alter sie selbst allein genau ken- nen, und dessen verschuldeter Landbesitz sich in tau- send kleine Antheile bis zur mikroskopifchen Unent- deckbarkeit versplittert hat -- zu dem schrecklichen
Doch um auf die gelehrte und liebenswürdige Dame zurückzukommen, von der eben die Rede war, ſo ſpielte zu der Zeit, als ich in den dortigen Regionen verweilte, um die Winterſonne ihres Hof- und Schriftglanzes, ein ſeltſamer Inſektenſchwarm, in der großen Welt eine Cotterie genannt — welche, ſoviel ich weiß, noch jetzt als Grundſatz aufſtellt (wer hätte heut zu Tage nicht Grundſätze!): daß der Adel wirk- lich von einer andern Sorte Blut, als andre Men- ſchen, durchſtrömt werde, und nur höchſtens im Wege der Impfung ein gemeiner Baum noch ver- edelt werden möge, z. B. durch natürliche Kinder großer Herren u. ſ. w. Dieſer Adel bleibe alſo vor allem rein und abgeſchloſſen, lehrt ſie, er entehre ſich weder durch Induſtrie noch gemeinnützige Spekula- tionen, welches eine gewiſſe Frau von Tonne, in einer fehr gehaltreichen Schrift, als einen Haupt- grund des Verfalles des Adels im Lande aufführt. Etwas ſchriftſtellern und künſtlern (auch für Geld, ja ſelbſt für bürgerliches Geld) bleibt jedoch dem Adel erlaubt, wie man überhaupt Künſtlern eine Mittelſtufe zwiſchen Adelichen und Bürgerlichen ge- ſtattet. Konſtitutioneller, hoher Adel und repräſen- tative Verfaſſung iſt dagegen keineswegs nach dem Geſchmack dieſer Parthei, aus dem ſehr natürlichen Grunde, weil unter ſolchen fatalen Umſtänden ihr eigner Adel, deſſen Alter ſie ſelbſt allein genau ken- nen, und deſſen verſchuldeter Landbeſitz ſich in tau- ſend kleine Antheile bis zur mikroskopifchen Unent- deckbarkeit verſplittert hat — zu dem ſchrecklichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0064"n="40"/><p>Doch um auf die gelehrte und liebenswürdige Dame<lb/>
zurückzukommen, von der eben die Rede war, ſo<lb/>ſpielte zu der Zeit, als ich in den dortigen Regionen<lb/>
verweilte, um die Winterſonne ihres Hof- und<lb/>
Schriftglanzes, ein ſeltſamer Inſektenſchwarm, in der<lb/>
großen Welt eine Cotterie genannt — welche, ſoviel<lb/>
ich weiß, noch jetzt als Grundſatz aufſtellt (wer hätte<lb/>
heut zu Tage nicht Grundſätze!): daß der Adel wirk-<lb/>
lich von einer andern Sorte Blut, als andre Men-<lb/>ſchen, durchſtrömt werde, und nur höchſtens im<lb/>
Wege der Impfung ein gemeiner Baum noch ver-<lb/>
edelt werden möge, z. B. durch natürliche Kinder<lb/>
großer Herren u. ſ. w. Dieſer Adel bleibe alſo vor<lb/>
allem rein und abgeſchloſſen, lehrt ſie, er entehre ſich<lb/>
weder durch Induſtrie noch gemeinnützige Spekula-<lb/>
tionen, welches eine gewiſſe Frau von Tonne, in<lb/>
einer fehr gehaltreichen Schrift, als einen Haupt-<lb/>
grund des Verfalles des Adels im Lande aufführt.<lb/>
Etwas ſchriftſtellern und künſtlern (auch für Geld,<lb/>
ja ſelbſt für bürgerliches Geld) bleibt jedoch dem<lb/>
Adel erlaubt, wie man überhaupt Künſtlern eine<lb/>
Mittelſtufe zwiſchen Adelichen und Bürgerlichen ge-<lb/>ſtattet. Konſtitutioneller, hoher Adel und repräſen-<lb/>
tative Verfaſſung iſt dagegen keineswegs nach dem<lb/>
Geſchmack dieſer Parthei, aus dem ſehr natürlichen<lb/>
Grunde, weil unter ſolchen fatalen Umſtänden ihr<lb/>
eigner Adel, deſſen Alter ſie ſelbſt allein genau ken-<lb/>
nen, und deſſen verſchuldeter Landbeſitz ſich in tau-<lb/>ſend kleine Antheile bis zur mikroskopifchen Unent-<lb/>
deckbarkeit verſplittert hat — zu dem ſchrecklichen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[40/0064]
Doch um auf die gelehrte und liebenswürdige Dame
zurückzukommen, von der eben die Rede war, ſo
ſpielte zu der Zeit, als ich in den dortigen Regionen
verweilte, um die Winterſonne ihres Hof- und
Schriftglanzes, ein ſeltſamer Inſektenſchwarm, in der
großen Welt eine Cotterie genannt — welche, ſoviel
ich weiß, noch jetzt als Grundſatz aufſtellt (wer hätte
heut zu Tage nicht Grundſätze!): daß der Adel wirk-
lich von einer andern Sorte Blut, als andre Men-
ſchen, durchſtrömt werde, und nur höchſtens im
Wege der Impfung ein gemeiner Baum noch ver-
edelt werden möge, z. B. durch natürliche Kinder
großer Herren u. ſ. w. Dieſer Adel bleibe alſo vor
allem rein und abgeſchloſſen, lehrt ſie, er entehre ſich
weder durch Induſtrie noch gemeinnützige Spekula-
tionen, welches eine gewiſſe Frau von Tonne, in
einer fehr gehaltreichen Schrift, als einen Haupt-
grund des Verfalles des Adels im Lande aufführt.
Etwas ſchriftſtellern und künſtlern (auch für Geld,
ja ſelbſt für bürgerliches Geld) bleibt jedoch dem
Adel erlaubt, wie man überhaupt Künſtlern eine
Mittelſtufe zwiſchen Adelichen und Bürgerlichen ge-
ſtattet. Konſtitutioneller, hoher Adel und repräſen-
tative Verfaſſung iſt dagegen keineswegs nach dem
Geſchmack dieſer Parthei, aus dem ſehr natürlichen
Grunde, weil unter ſolchen fatalen Umſtänden ihr
eigner Adel, deſſen Alter ſie ſelbſt allein genau ken-
nen, und deſſen verſchuldeter Landbeſitz ſich in tau-
ſend kleine Antheile bis zur mikroskopifchen Unent-
deckbarkeit verſplittert hat — zu dem ſchrecklichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/64>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.