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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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vorher, als ein wenig ausgetrocknet, verlassen wor-
den. Ein solcher Theezirkel war es bekanntlich auch,
in dem Ahasverus, wie wir in den Memoiren des
Teufels lasen, nach so langer rastloser Wanderung
zum erstenmal Ruhe fand, und selig entschlief. Seit
dem sind die dicken Bände der berühmten Schriftstel-
lerin zu schmalen Erzählungen eingeschwunden, lieb-
liche Ephemeren, die zwar nur einen Tag leben,
aber dafür sich auch nur an Höfen, in Kammern,
unter Prinzen, Hofdamen und Fräuleins, Kammer-
herren, Kammerjunkern und auch Hofkammerlakayen
(denn nichts was dem Hofe angehört, ist gering zu
schätzen) bewegen. Sogar spukende Kammern ka-
men neulich zum Vorschein; die Geister, welche er-
schienen, waren aber so matt, so sehr ausgemergel-
ten Hofschranzen ähnlich, avec un tel air de famille,
daß sie höchstens an eine Gänsehaut erinnerten, ohne
sie jedoch zu erregen. Die Pikanteste von allen war
ohne Zweifel diejenige, welche einst die Gesellschaft
der Hauptstadt persifflirte, in der die arme Viola
eine verdächtige Rolle spielte, und eine vornehme
Dame auftrat, die jene für große Summen an eine
hohe Person verkauft haben sollte. Diese Geschichte
war mit Recht eine moralische zu nennen, denn sie
erweckte bei jedem Gutgearteten, der sie damals las,
gewiß gerechten Abscheu vor Verläumdung und leicht-
sinniger Verdammung. Böswillige aber ergötzten sich
auf andere Art daran -- und so blieb das Ganze
nicht ohne Werth, ein Meisterstück aber könnte man
es nennen, wollte man es gegen alle die Mittel-

vorher, als ein wenig ausgetrocknet, verlaſſen wor-
den. Ein ſolcher Theezirkel war es bekanntlich auch,
in dem Ahasverus, wie wir in den Memoiren des
Teufels laſen, nach ſo langer raſtloſer Wanderung
zum erſtenmal Ruhe fand, und ſelig entſchlief. Seit
dem ſind die dicken Bände der berühmten Schriftſtel-
lerin zu ſchmalen Erzählungen eingeſchwunden, lieb-
liche Ephemeren, die zwar nur einen Tag leben,
aber dafür ſich auch nur an Höfen, in Kammern,
unter Prinzen, Hofdamen und Fräuleins, Kammer-
herren, Kammerjunkern und auch Hofkammerlakayen
(denn nichts was dem Hofe angehört, iſt gering zu
ſchätzen) bewegen. Sogar ſpukende Kammern ka-
men neulich zum Vorſchein; die Geiſter, welche er-
ſchienen, waren aber ſo matt, ſo ſehr ausgemergel-
ten Hofſchranzen ähnlich, avec un tel air de famille,
daß ſie höchſtens an eine Gänſehaut erinnerten, ohne
ſie jedoch zu erregen. Die Pikanteſte von allen war
ohne Zweifel diejenige, welche einſt die Geſellſchaft
der Hauptſtadt perſifflirte, in der die arme Viola
eine verdächtige Rolle ſpielte, und eine vornehme
Dame auftrat, die jene für große Summen an eine
hohe Perſon verkauft haben ſollte. Dieſe Geſchichte
war mit Recht eine moraliſche zu nennen, denn ſie
erweckte bei jedem Gutgearteten, der ſie damals las,
gewiß gerechten Abſcheu vor Verläumdung und leicht-
ſinniger Verdammung. Böswillige aber ergötzten ſich
auf andere Art daran — und ſo blieb das Ganze
nicht ohne Werth, ein Meiſterſtück aber könnte man
es nennen, wollte man es gegen alle die Mittel-

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[38/0062] vorher, als ein wenig ausgetrocknet, verlaſſen wor- den. Ein ſolcher Theezirkel war es bekanntlich auch, in dem Ahasverus, wie wir in den Memoiren des Teufels laſen, nach ſo langer raſtloſer Wanderung zum erſtenmal Ruhe fand, und ſelig entſchlief. Seit dem ſind die dicken Bände der berühmten Schriftſtel- lerin zu ſchmalen Erzählungen eingeſchwunden, lieb- liche Ephemeren, die zwar nur einen Tag leben, aber dafür ſich auch nur an Höfen, in Kammern, unter Prinzen, Hofdamen und Fräuleins, Kammer- herren, Kammerjunkern und auch Hofkammerlakayen (denn nichts was dem Hofe angehört, iſt gering zu ſchätzen) bewegen. Sogar ſpukende Kammern ka- men neulich zum Vorſchein; die Geiſter, welche er- ſchienen, waren aber ſo matt, ſo ſehr ausgemergel- ten Hofſchranzen ähnlich, avec un tel air de famille, daß ſie höchſtens an eine Gänſehaut erinnerten, ohne ſie jedoch zu erregen. Die Pikanteſte von allen war ohne Zweifel diejenige, welche einſt die Geſellſchaft der Hauptſtadt perſifflirte, in der die arme Viola eine verdächtige Rolle ſpielte, und eine vornehme Dame auftrat, die jene für große Summen an eine hohe Perſon verkauft haben ſollte. Dieſe Geſchichte war mit Recht eine moraliſche zu nennen, denn ſie erweckte bei jedem Gutgearteten, der ſie damals las, gewiß gerechten Abſcheu vor Verläumdung und leicht- ſinniger Verdammung. Böswillige aber ergötzten ſich auf andere Art daran — und ſo blieb das Ganze nicht ohne Werth, ein Meiſterſtück aber könnte man es nennen, wollte man es gegen alle die Mittel-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/62>, abgerufen am 03.05.2024.