Ich habe vortrefflich ausgeschlafen, und sitze nun im Gasthof am Meere, von der Reise ausruhend, und ergötze mich an den Schiffen, die auf allen Sei- ten die klare Fluth durchziehen. Nach der Landseite zu ragt eine Burg, von schwarzem Marmor aufge- baut, aus den uralten Eichenkronen hervor. Mit diesem Schloß werde ich meine Ausflüge beginnen, und überhaupt hier, wo ich mich sehr gut aufgeho- ben sehe, mein Hauptquartier aufschlagen. Auch fand ich hier ganz unerwartet einen unterhaltenden Lands- mann. Du kennst den geistreichen A ..., der so ma- ger ist, und doch so stattliche Waden besitzt, so ele- gant gekleidet und doch so sparsam, so gutmüthig und doch so sarkastisch, so englisch und doch so deutsch erscheint. Kurz A ... frühstückte zum zweitenmal gu- ten Appetits mit mir, und erzählte dabei die lustig- sten Dinge. Er kam von S ...., über welches er sich ohngefähr so vernehmen ließ:
Scherz und Ernst,
Sie wissen, lieber Freund, sagte er, daß man in Wien Jedem, der ein gebacknes Hendel essen, und NB bezahlen kann, den Titel Euer Gnaden ertheilt -- in S ..... nennt man dagegen Jeden, der einen ganzen Rock trägt, in dubio, Herr .... Rath, oder noch besser, Herr Geheimer Rath, unbekümmert ob es ein wirklicher, oder nicht wirklicher (also blos scheinbarer, fantasmagorischer) ein halber, d. h. ein pensionirter, ein ganzer, nämlich voll bezahlter, oder
Den 16ten.
Ich habe vortrefflich ausgeſchlafen, und ſitze nun im Gaſthof am Meere, von der Reiſe ausruhend, und ergötze mich an den Schiffen, die auf allen Sei- ten die klare Fluth durchziehen. Nach der Landſeite zu ragt eine Burg, von ſchwarzem Marmor aufge- baut, aus den uralten Eichenkronen hervor. Mit dieſem Schloß werde ich meine Ausflüge beginnen, und überhaupt hier, wo ich mich ſehr gut aufgeho- ben ſehe, mein Hauptquartier aufſchlagen. Auch fand ich hier ganz unerwartet einen unterhaltenden Lands- mann. Du kennſt den geiſtreichen A …, der ſo ma- ger iſt, und doch ſo ſtattliche Waden beſitzt, ſo ele- gant gekleidet und doch ſo ſparſam, ſo gutmüthig und doch ſo ſarkaſtiſch, ſo engliſch und doch ſo deutſch erſcheint. Kurz A … frühſtückte zum zweitenmal gu- ten Appetits mit mir, und erzählte dabei die luſtig- ſten Dinge. Er kam von S ...., über welches er ſich ohngefähr ſo vernehmen ließ:
Scherz und Ernſt,
Sie wiſſen, lieber Freund, ſagte er, daß man in Wien Jedem, der ein gebacknes Hendel eſſen, und NB bezahlen kann, den Titel Euer Gnaden ertheilt — in S ..... nennt man dagegen Jeden, der einen ganzen Rock trägt, in dubio, Herr .... Rath, oder noch beſſer, Herr Geheimer Rath, unbekümmert ob es ein wirklicher, oder nicht wirklicher (alſo blos ſcheinbarer, fantasmagoriſcher) ein halber, d. h. ein penſionirter, ein ganzer, nämlich voll bezahlter, oder
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0052"n="28"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 16ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Ich habe vortrefflich ausgeſchlafen, und ſitze nun<lb/>
im Gaſthof am Meere, von der Reiſe ausruhend,<lb/>
und ergötze mich an den Schiffen, die auf allen Sei-<lb/>
ten die klare Fluth durchziehen. Nach der Landſeite<lb/>
zu ragt eine Burg, von ſchwarzem Marmor aufge-<lb/>
baut, aus den uralten Eichenkronen hervor. Mit<lb/>
dieſem Schloß werde ich meine Ausflüge beginnen,<lb/>
und überhaupt hier, wo ich mich ſehr gut aufgeho-<lb/>
ben ſehe, mein Hauptquartier aufſchlagen. Auch fand<lb/>
ich hier ganz unerwartet einen unterhaltenden Lands-<lb/>
mann. Du kennſt den geiſtreichen A …, der ſo ma-<lb/>
ger iſt, und doch ſo ſtattliche Waden beſitzt, ſo ele-<lb/>
gant gekleidet und doch ſo ſparſam, ſo gutmüthig<lb/>
und doch ſo ſarkaſtiſch, ſo engliſch und doch ſo deutſch<lb/>
erſcheint. Kurz A … frühſtückte zum zweitenmal gu-<lb/>
ten Appetits mit mir, und erzählte dabei die luſtig-<lb/>ſten Dinge. Er kam von S ...., über welches er<lb/>ſich ohngefähr ſo vernehmen ließ:</p><lb/><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">Scherz und Ernſt,</hi></hi></p><lb/><p>Sie wiſſen, lieber Freund, ſagte er, daß man in<lb/>
Wien Jedem, der ein gebacknes Hendel eſſen, und<lb/><hirendition="#aq">NB</hi> bezahlen kann, den Titel Euer Gnaden ertheilt<lb/>— in S ..... nennt man dagegen Jeden, der einen<lb/>
ganzen Rock trägt, <hirendition="#aq">in dubio,</hi> Herr .... Rath, oder<lb/>
noch beſſer, Herr Geheimer Rath, unbekümmert ob<lb/>
es ein wirklicher, oder nicht wirklicher (alſo blos<lb/>ſcheinbarer, fantasmagoriſcher) ein halber, d. h. ein<lb/>
penſionirter, ein ganzer, nämlich voll bezahlter, oder<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[28/0052]
Den 16ten.
Ich habe vortrefflich ausgeſchlafen, und ſitze nun
im Gaſthof am Meere, von der Reiſe ausruhend,
und ergötze mich an den Schiffen, die auf allen Sei-
ten die klare Fluth durchziehen. Nach der Landſeite
zu ragt eine Burg, von ſchwarzem Marmor aufge-
baut, aus den uralten Eichenkronen hervor. Mit
dieſem Schloß werde ich meine Ausflüge beginnen,
und überhaupt hier, wo ich mich ſehr gut aufgeho-
ben ſehe, mein Hauptquartier aufſchlagen. Auch fand
ich hier ganz unerwartet einen unterhaltenden Lands-
mann. Du kennſt den geiſtreichen A …, der ſo ma-
ger iſt, und doch ſo ſtattliche Waden beſitzt, ſo ele-
gant gekleidet und doch ſo ſparſam, ſo gutmüthig
und doch ſo ſarkaſtiſch, ſo engliſch und doch ſo deutſch
erſcheint. Kurz A … frühſtückte zum zweitenmal gu-
ten Appetits mit mir, und erzählte dabei die luſtig-
ſten Dinge. Er kam von S ...., über welches er
ſich ohngefähr ſo vernehmen ließ:
Scherz und Ernſt,
Sie wiſſen, lieber Freund, ſagte er, daß man in
Wien Jedem, der ein gebacknes Hendel eſſen, und
NB bezahlen kann, den Titel Euer Gnaden ertheilt
— in S ..... nennt man dagegen Jeden, der einen
ganzen Rock trägt, in dubio, Herr .... Rath, oder
noch beſſer, Herr Geheimer Rath, unbekümmert ob
es ein wirklicher, oder nicht wirklicher (alſo blos
ſcheinbarer, fantasmagoriſcher) ein halber, d. h. ein
penſionirter, ein ganzer, nämlich voll bezahlter, oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/52>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.